Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 264 Kemnade, Klosterkirche St. Marien 2. V. 17. Jh.

Beschreibung

Grabplatte für Balduin von Zerbst. Grauer Sandstein, farbig gefaßt. Der hochrechteckige Stein befindet sich im nördlichen Seitenschiff. Oeler zufolge gehört er zu den Grabdenkmälern, die ursprünglich in der Kemnader Dorfkirche St. Dionys aufgestellt waren und um 1870 in die Klosterkirche gebracht wurden.1) Die farbig gefaßte Inschrift A läuft erhaben in vertiefter Zeile auf der Rahmenleiste der Platte um. Im Innenfeld eine Reliefdarstellung des Verstorbenen in einer Nische, in der Linken den Knauf des ehemals vermutlich in Metall ausgeführten Degens, in der Rechten eine Fahne haltend. Oben in den Zwickeln und unten in der Nische insgesamt vier Vollwappen mit Beischriften B, erhaben in vertiefter Zeile; die obere rechte Beischrift ist nicht erhalten, die obere linke farbig gefaßt.

Maße: H.: 176 cm; B.: 95 cm; Bu.: 4 cm (A), 2 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/1]

  1. A

    BALDUIN . DE ZERVEST . HAEREDI[TARIUS] / [.....]RN NAT(US) A(NN)O 1590 · SIGNIFER ILLUSTRISS(IMI) DUCIS FRIS(IAE) HOLL/ANCI(AE) GENEROS(I)a) COM[IT](IS)b) HENR[ICI DE] / ORTENBURGK COMMEND(ATOR)c) · OBIIT 24 · D(E)C(EM)BR(I)S · HORA · I · NOCTIS

  2. B
    ZER/WEST [– – –] 
    BREIDOW ZERWEST 

Übersetzung:

Balduin von Zerbst, Erbherr (auf) ...rn, geboren im Jahr 1590, Bannerträger des durchlauchtigsten Statthalters von Friesland und Holland, Offizier des hochgeborenen Grafen Heinrich von Ortenburg, starb am 24. Dezember zur ersten Nachtstunde.

Wappen:
Zerbst2)Münchow?4)
Bredow3)Zerbst2)

Kommentar

Die etwas grob ausgeführte Kapitalis zeichnet sich durch serifenartige Sporen an den Schaftenden von N, M und V aus. U besteht aus zwei Schäften mit einem Verbindungsbogen. Die Cauda des R ist geschwungen und teilweise weit ausgestellt, das G ist mit durchgebogener, nach rechts ausgestellter Cauda versehen; der obere Schrägschaft des K gebogen.

Die Familie von Zerbst war seit 1457 in der Burg Hundeluft (zwischen Coswig und Zerbst) im Fürstentum Anhalt ansässig, die sie 1735 an den Fürsten von Anhalt-Zerbst verkaufte. Ihre Grablege findet sich in der Kirche von Thießen.5) In der Nähe liegt das Dorf Serno, das der Verstorbene möglicherweise als Erbherr in Besitz hatte (A).

Das Todesjahr des 1590 geborenen Balduin von Zerbst ist nicht angegeben, was auf einem Fehler des Steinmetzen beruhen dürfte. Ein Textverlust ist auszuschließen. Braun nimmt an, daß er vor 1622 gestorben ist, da Heinrich (VIII.) von Ortenburg (1594–1622), dessen Offizier der Verstorbene gewesen war, in der Schlacht von Fleurus am 29. August 1622 fiel.6) Dies ist nicht stichhaltig. Sicher war Balduin von Zerbst erst nach dem Tod Ortenburgs Bannerträger der Statthalter von Holland und Friesland, als der er auf der Grabplatte abgebildet ist. Da das Amt des Statthalters dieser Provinzen von verschiedenen Mitgliedern der Familien Nassau-Oranien und Nassau-Dietz ausgeübt wurde,7) wechselte er, anders als der Singular DUCIS nahelegt, möglicherweise zwischen diesen ebenfalls den Dienst.

Da Bodenwerder und Kemnade von 1627 bis 1633 durch Soldaten Tillys besetzt waren, ist ein Todesdatum nach 1633 wahrscheinlicher. Offenbleiben muß, ob Balduin von Zerbst durch Kriegsereignisse nach Kemnade gekommen ist, oder ob er nur zufällig, etwa auf der Durchreise, dort gestorben ist und seine Familie ihm aus der Ferne eine Grabplatte anfertigen ließ.

Textkritischer Apparat

  1. GENEROS(I)] Befund: GENEROS:N. Das nur aufgemalte N beruht auf einer Fehlrestaurierung.
  2. COM[IT](IS)] Außer dem farbig gefaßten linken Schaft des M sind noch das serifenförmige untere Ende des rechten Schaftes und der Deckbalken des T zu erkennen.
  3. COMMEND(ATOR)] Möglich wäre auch die Ergänzung COMMEND(ATUS), also Gefolgsmann.

Anmerkungen

  1. Oeler, Kemnade, S. 30.
  2. Wappen Zerbst (drei Löwenköpfe 2:1). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 7, S. 8 u. Tafel 9. Siebmacher, Wappenbuch 1605, S. 188 (Tafel 168).
  3. Wappen Bredow (Steigbaum). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 3, S. 22 u. Tafel 23. Siebmacher, Wappenbuch 1605, S. 194 (Tafel 174).
  4. Wappen Münchow? (drei Mohrenköpfe 2:1). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 274 u. Tafel 325. Helmzier dort aber 5 Pfauenfedern, hier Halbfigur, den Kopf nach (heraldisch) rechts gedreht.
  5. An der Kirche in Thießen (Kr. Wittenberg) finden sich Grabplatten des 1605 verstorbenen Wiprecht von Zerbst und seiner 1610 gestorbenen Gattin Katharina, geb. von Staupitz; vgl. Kdm. Anhalt, S. 541. Den Wappen nach kommen weder diese noch die 1592 gestorbene frühere Frau des Wiprecht von Zerbst, Katharina von Arnstedt, als Mutter des Balduin von Zerbst in Frage; vgl. ebd., S. 542.
  6. Vgl. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 60.
  7. Statthalter von Holland, Seeland und Utrecht waren im fraglichen Zeitraum Moritz (1585–1625) und Friedrich Heinrich (1625–1647) von Nassau-Oranien; Statthalter von Friesland waren Ernst Casimir (1620–1632) und Heinrich Casimir (1632–1640) von Nassau-Dietz.

Nachweise

  1. Kdm. Kr. Holzminden, S. 395.
  2. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 60 u. Tafel 115.
  3. Oeler, Kemnade, S. 30 (ohne Inschriften).

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 264 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0026408.