Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 247 Kemnade, Klosterkirche St. Marien 1642

Beschreibung

Grabplatte für Anna Maria Lensen. Grauer Sandstein, farbig gefaßt. Die heute im südlichen Seitenschiff angebrachte Grabplatte befand sich bis in die 1870er Jahre im Chor der früheren Dorfkirche St. Dionys.1) Auf der Rahmenleiste der hochrechteckigen Platte verläuft die Inschrift A, erhaben in vertiefter Zeile, farbig, rot vor braunem Hintergrund, gefaßt. Im Innenfeld ist die Verstorbene mit gefalteten Händen in einer Nische stehend dargestellt. Oben links und rechts in den Zwickeln je ein Vollwappen. Im unteren Bereich des Innenfeldes die Inschrift B auf einer von Rollwerk umgebenen Kartusche, erhaben in vertiefter Zeile, farbig, hell vor braunem Hintergrund, gefaßt.

Maße: H.: 184 cm; B.: 82,5 cm; Bu.: 5 cm (A), 3,5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis (A), Kapitalis mit Minuskeln (B).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/1]

  1. A

    ANNA MARIA LENSEN HERRN IOHA/NNIS SCHWANFLVGELS PASTORIS · BODENWERDENSIS HAVSEHRE SEHLIG IST A(NNO) D(OMINI) 1600 DEN / 21 FEBRV(ARII) GEBOREN VND A(NN)O 1642 · 5 / MAY IM KINDBETTE GESTORBEN IHRES ALTERS 42 IAHR 11a) WOCHEN.

  2. B

    AVS DEM 73 PSALM . / HERR WE(NN) ICH NVR DICH HABE SO FRAGE / ICH NICHT NACH HIMEL VND ERDEN, / WEN(N) MIR GLEIH LEIB VND SEELE VER/SCHMACHT, SO BISTV DOCH GOTT ALLE, / ZEITb) MEINES HERtz(EN)c) TROST VND MEIN THEIL ·2)

Wappen:
Schwanflügel3)Lensen4)

Kommentar

Der erste Buchstabe der Inschrift A, das halbrunde A von ANNA, ist als Versal mit Schmuckformen gestaltet. Der Nachname LENSEN ist in einen zu engen Zwischenraum gedrängt. Der Schrägschaft des N und die Cauda des R sind leicht geschwungen; G ist mit nach rechts ausgestellter, gebogener Cauda versehen. Die 1 der Jahreszahlen ist mit einem Anstrich versehen und unten gespalten, daneben gibt es das römische Zahlzeichen in der Wochenzahl; die spitze 2 tritt in zwei Formen auf, einmal mit zum Bogen umgeformten Schrägschaft und unterem Balken, einmal Z-förmig (42); hinzu kommt eine aufrechte 4.

Die großen Übereinstimmungen im Aufbau und in der Gestaltung sowie die Schrifteigentümlichkeiten, vor allem das G und der A-Versal, lassen vermuten, daß hier derselbe Steinmetz tätig war, der 1648 auch die Platte für den früheren Rühler Pastor Barthold Albrecht schuf; vgl. Nr. 261.

Anna Maria Lensen, Tochter des Haller Superintendenten Tilemann Lensen (Lensius), war in erster Ehe mit dem Pastor und Superintendenten in Halle, David Meibom (1592–1626) verheiratet; vgl. Nr. 230. Am 25. August 1629 heiratete sie den in Uslar geborenen, aus einer Göttinger Ratsfamilie stammenden Johann Schwanflügel (1598–1663), der seit Dezember 1627 Pastor in Bodenwerder war und bis zum Abzug der kaiserlichen Soldaten aus Bodenwerder 1632 wiederholt Kämpfe um die Anerkennung seiner Stellung auszufechten hatte.5)

Die Pastoren von Bodenwerder waren seit 1591 – mit Ausnahme der Jahre 1628 bis 1632 – mit der Wahrnehmung der Pfarrei Kemnade beauftragt, zu der neben der Klosterkirche auch die unmittelbar hinter dieser bzw. deren Kirchhof gelegene Kirche St. Dionys gehörte, von der heute nur noch Reste in Privatbesitz erhalten sind. In St. Dionys befanden sich ursprünglich die Grabdenkmäler der Familie Schwanflügel/Lensen, die um 1870 in die Klosterkirche verlegt wurden. Neben der Grabplatte der Anna Maria Lensen befindet sich die für ihren 1633 als Säugling gestorbenen Sohn Gabriel;6) vgl. Nr. 240. Ihre gleichnamige Tochter Anna Maria starb sechs Tage vor der Mutter am 30. April 1642, offenbar kurz nach der Geburt, an deren Folgen die Mutter verschied.7) Außerhalb des Erfassungszeitraums fällt die Grabplatte für Pastor Johann Schwanflügel und seine zweite Frau Maria von Strombeck (1626–1663), die er 1643 heiratete.8) Ebenfalls aus St. Dionys verlegt wurde das Doppelepitaph, das Bussomann Lensen, der am 22. Februar 1602 in Halle geborene und im Mai 1679 in Bodenwerder gestorbene Bruder der Anna Maria, 1666 für sich und seinen Neffen Johann Joachim Schwanflügel (1634–1664) hat anfertigen lassen.9) Bussomann Lensen hatte im Jahr zuvor Reparaturen an der Kirche St. Dionys vornehmen und dies durch eine Inschrift festhalten lassen.10)

Textkritischer Apparat

  1. 11] Befund: römische Ziffern II. Kdm. Kr. Holzminden irrtümlich 2.
  2. ZEIT] Z außerhalb des Schriftfeldes auf dem Rand in schmaler Gestalt, die Balken schräggestellt und gebogen, fast gleichlanger, gerader Mittelbalken.
  3. HERtz(EN)] Minuskel-t ohne Balken ligiert mit einem unter die Zeile gesetzten zweistöckigen z.

Anmerkungen

  1. Vgl. Reitemeyer, Kulturgeschichtsbild, S. 45. André, Klosterkirche Kemnade, S. 15. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 64. Oeler, Kemnade, S. 24 u. 29.
  2. Ps. 73,25–26.
  3. Wappen Schwanflügel (Flug).
  4. Wappen Lensen (Blume).
  5. Vgl. Billig, Pastores, S. 53–66 u. 76–79. Freist/Seebaß, Pastoren, Bd. 2, S. 200 (Nr. 2563, Meibom). Johannes Schwanflugell, Uslariensis, war am 29. März 1615 in Helmstedt immatrikuliert worden; Matrikel Helmstedt, Bd. 1, Abt. 1, S. 241, Nr. 46. Am 5. September 1627 wurde er in Helmstedt ordiniert; ebd., S. 314, Nr. 94. Bei Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 108, erst ab 1628 in Bodenwerder.
  6. Vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 375 u. 396f. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 64 mit Tafel 121f. Oeler, Kemnade, S. 24 u. 29f.
  7. Vgl. Billig, Pastores, S. 64.
  8. Sie trägt die Inschriften: SEPULCHRUM. / REV(ERENDI) · D(OMI)N(I) · M(AGISTRI) / IOHANNIS SCHWAN/FLÜGELS · P(ASTORIS) · B(ODENWERDENSIS) · ETC · / ANNO N(ATI) · 1598 · / + · 1663 · d(ie) · 15 NOV(EMBRIS) · / AETATIS · 66 · / PASTORATUS · 36 // ET HONESTISS(MAE) D(OMI)NAE / MARIAE A STROM·/BEC PATRICIAE BR(UNSVIGIAE) / ANNO / N(ATAE) · 1626 · / + · 1663 · d(ie) · 23 NOV(EMBRIS) · / AETATIS · 37 · / CONIUGII · 20 · // OB WIR GLEICH HINTERLASSEN / BETRÜBTE KINDERLEIN / DERN NOTH UNS ÜBR DIE MASSEN / IAMMERT IM HERTZENSCHREIN / WOLN WIR DOCH GERNE STERBEN / UND TRAWEN UNSERN GOT / ER WERD SIE WOL VERSORGEN / RETTEN AUS ALLER NOTH. Vgl. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 62 u. Tafel 118. Oeler, Kemnade, S. 24 (Abb.) u. 29. Billig, Pastores, Abb. S. 136.
  9. Vgl. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 61f. (Lit. g, h, k) mit Tafel 119. Kdm. Kr. Holzminden, S. 394f. Oeler, Kemnade, S. 24 (Abb.) u. 29.
  10. D(EO) · O(PTIMO) · M(AXIMO) · / Ruinosum et tan=/tum non profanatum / hoc Adytum reparari / fecit / Bussomannus lensen / Anno 1665. (Dem allmächtigen Gott. Weil es baufällig, aber doch nicht entweiht war, hat Bussomann Lensen diese heilige Stätte erneuern lassen.) Vgl. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 64. Kdm. Kr. Holzminden, S. 397. Billig, Pastores, S. 73 (Anm. 30). Oeler, Kemnade, S. 28f. Vgl. auch StAW 11 Alt Kemn., Nr. 24 u. 26.

Nachweise

  1. Kdm. Bodenwerder/Pegestorf, S. 62 u. Tafel 116.
  2. Kdm. Kr. Holzminden, S. 393f. (A).
  3. Reitemeyer, Kulturgeschichtsbild, S. 44.
  4. Oeler, Kemnade, S. 24 u. 29 (ohne Inschrift).

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 247 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0024707.