Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 174 Halle, Mauer des Kirchengrundstücks 1609

Beschreibung

Inschriftentafel. Grauer Sandstein. Die Tafel, ursprünglich im Turm der 1879 abgerissenen Kirche,1) ist heute eingelassen in die die Kirche umgebende Mauer. Die Inschrift im vertieften Feld, erhaben in vertieften Zeilen. Ein Riß reicht von der Mitte des linken Randes bis zum rechten Viertel des oberen Randes der Tafel; die rechte Hälfte ist, besonders im unteren Teil, stark verwittert. Die Tafel wird oben mit einem Gesims abgeschlossen, rechts und links von Rollwerk und floralem Gehänge gerahmt.

Maße: H.: 109 cm (über der Erde); B.: 119 cm; Bu.: 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Meike Willing) [1/1]

  1. MILLE ET SEXC(E)NTOS ANNOS CARISSIME LECTOR / ATQVE NOVEM DOMINVS NOSTER IESVS HABET / REGNIQVE AVSTRIACVS BVDOLPHVSa) SCEPTRA : DVCATVSb) / HVIVS AT HENRICVS IVLIVS ECCE TENENT / HAEC QVA NDO TVRRIS VETERI MINI[T]ANTE [R]VINAM / DIA SVPREMI SVRGERE COEPIT OPE : /NVLLVS QVAM VENTVS LABEFACTE[T] RIMAVE NVLLAc) / SVBVERTAT POTIVS MAXIMVS ILLE DIES · / PASTOR ID EX ANIMO T[ILE]MANNVS / LENSIV[S] OPTAT / PRO SERA HOC CAR MEN POSTERITATE / CANENS ·

Übersetzung:

1609 Jahre, hochgeschätzter Leser, zählt (die Ära) unseres Herrn Jesus, das Zepter des Reiches hält Rudolf von Österreich und das dieses Herzogtums gerade Heinrich Julius in der Hand, als dieser Turm, da der alte einzustürzen drohte, mit Gottes Hilfe errichtet zu werden begann. Kein Wind und kein Riß soll ihn ins Wanken bringen; es stürze (ihn erst) der Tag des Jüngsten Gerichts um.

Pastor Tilemann Lensen, der für die späte Nachwelt dieses Gedicht verfaßte, wünscht dies von Herzen.

Versmaß: Elegische Distichen.

Kommentar

Bemerkenswert ist die linksgerichtete Cauda des Q, die eingestellt am rechten Bogen ansetzt. Die Cauda von G und R ist geschwungen, V endet teilweise über der Grundlinie (z. B. POTIVS).

Die Inschrift datiert einen Neubau des Turms der früheren Kirche von Halle im Jahr 1609, an dem offenbar romanische Spolien des Vorgängers Wiederverwendung fanden.2) Der sich hier als gelehrter Autor präsentierende Tilemann Lensen oder Lensius (1570–1623) wurde im Januar 1598 Pastor in Hardegsen.3) Von 1601 bis 1622 war er Pastor und Superintendent in Halle; zu seiner Person vgl. den Artikel zu seiner Grabplatte Nr. 218. Rudolf II. (reg. 1576 bis 1612) wird noch in zwei weiteren Inschriften als Kaiser genannt; vgl. Nr. 83 u. 181. Zu Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (reg. 1589 bis 1613), der sich von 1605 bis zu seinem Tod 1613 hauptsächlich in Prag aufhielt, hatte der Kaiser, trotz des konfessionellen Gegensatzes, ein enges Vertrauensverhältnis gewonnen.4)

Textkritischer Apparat

  1. BVDOLPHVS] Statt: RVDOLPHVS.
  2. DVCATVS] TVS im Rahmen.
  3. NVLLA] LA im Rahmen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 278f.
  2. Ebd. Die Inschrift wird von Steinacker nicht erwähnt.
  3. Vgl. Matrikel Helmstedt, Bd. 1, Abt. 1, S. 136, Nr. 11. Vgl. Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 462 (2. Pfarrstelle).
  4. Vgl. Brüdermann, Glaubensspaltung, S. 457f.

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 174 (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0017409.