Inschriftenkatalog: Landkreis Holzminden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 83: Landkreis Holzminden (2012)

Nr. 119† Hehlen, Immanuel-Kirche 1591

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet. Auf dem Kelch befanden sich nach einem Eintrag im Kirchenbuch von 1659, der 1753 im Corpus bonorum zitiert wurde, die Inschrift und außerdem die Wappen des Fritz von der Schulenburg und der Ilse von Saldern. 1753 befand sich der Kelch nicht mehr im Besitz der Kirchengemeinde.1)

Inschrift nach Corpus bonorum.

Schriftart(en): Kapitalis.2)

  1. IN STILLER EHE ALS WIR BEID SEINÜBER DREISSIG IAHR GESESSEN FEINHABN WIR DEN KELCH WEILS GOT BESCHERTZU HAELEN IN UNSER KIRCHEN VEREHRTAn(n)o 1591a)

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Auf einem Kelch, der sich heute im Städtischen Museum in Braunschweig befindet, ist die gleiche Inschrift angebracht; nur wird in diesem Fall die St. Johannis-Kapelle bedacht, die Fritz von der Schulenburg zusammen mit dem dazugehörigen früheren Deutsch-Ordenshof erworben hatte und in der er auch begraben wurde.3) Dort gehörten zwei Altardecken und ein Antependium zu der Stiftung,4) in Hehlen ein Meßgewand aus Seidendamast, auf dem, wie bei den Braunschweiger Textilien, die Wappen des Ehepaares angebracht waren.5) Gestiftet wurde der Kelch vermutlich für die Schloßkapelle, deren Bau das Streben des Paares nach Gleichrangigkeit mit dem hohen Adel besonders deutlich machte.6) Die frühere Gemeindekirche von Hehlen, die nicht mehr existierende „Niedere Kirche“, unterstand bis 1736 nicht dem Patronat der Familie von der Schulenburg, sondern dem des Bonifatius-Stiftes in Hameln; die Stifter würden sie daher nicht als ihre Kirche bezeichnet haben. Die „Niedere Kirche“ wurde zudem 1625 von Soldaten geplündert, wobei auch die Altargeräte gestohlen wurden.7) Vermutlich gab die Familie von der Schulenburg den Kelch später in die Gemeindekirche.

Fritz von der Schulenburg ist bereits im Januar 1589 gestorben; die Stiftungen erfolgten dagegen erst 1590 (Braunschweig) und 1591 (Hehlen). Möglich ist, daß das kinderlose Ehepaar sie bereits vor dem Tod des Mannes zum Dank für seine dreißigjährige Ehe beabsichtigt hatte. Möglicherweise gehören die Stiftungen aber auch zu einem Programm, mit dem Ilse von Saldern das Bild ihrer Ehe gestalten wollte; vgl. den Kommentar zu Nr. 143.

Die Kelchinschrift bringt über den memorialen Aspekt hinaus den Dank für die Gnade Gottes und den Zweck des Nutzens für die Gemeinde zum Ausdruck. Die Sorge für das Seelenheil, die für das mittelalterliche Stiftungswesen von zentraler Bedeutung war, spielte nach der Reformation keine Rolle mehr. An deren Stelle tritt eine am Wohl des Nächsten orientierte Stiftungsmotivation,8) die vor allem in Armenfürsorge und Stipendien Ausdruck fand. Beide Eheleute wurden auch in dieser Hinsicht aktiv. Fritz von der Schulenburg setzte in Hehlen ein Legat für Schuldiener und „Hausarme“ aus.9) In seinem Testament vom 28. März 1588 stiftete er ein Kapital von 10.000 Talern, von dessen Erträgen bedürftige Theologiestudenten unterstützt werden sollten; Ilse von Saldern stiftete nach seinem Tod aus ihrem Vermögen denselben Betrag, um drei Rechts-, zwei Medizin- und weitere Theologiestudenten zu unterstützen.10) Der auf sie gehaltenen Leichenpredigt zufolge hat sie im Schloß auf eigene Kosten 14 Jahre (also spätestens seit 1593) einen Prediger unterhalten. Am Ende halb erblindet, soll sie sich schließlich nur noch an Luthers Büchern und Chorälen erfreut und ein Glaubensbekenntnis für ihren Tod verfaßt haben.11) In Hehlen errichtete Ilse von Saldern testamentarisch noch eine weitere milde Stiftung.12)

Textkritischer Apparat

  1. An(n)o 1591] In der Wiedergabe senkrecht neben den Text gestellt.

Anmerkungen

  1. LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 67f. Vgl. Kdm. Kr. Holzminden, S. 348.
  2. Die Abschrift im Corpus bonorum gibt die Inschrift zeilengetreu und mit Kapitalis-Buchstaben wieder; LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 68. Auch die Inschrift auf dem Gegenstück in Braunschweig ist in Kapitalis ausgeführt; vgl. die folg. Anm.
  3. Vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 638.
  4. Alle drei ebenfalls im Städtischen Museum Braunschweig; vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 635 u. 636.
  5. Kdm. Kr. Holzminden, S. 348. LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 67.
  6. Vgl. Hufschmidt, Ilse von Saldern, S. 151.
  7. Vgl. Blomberg, Kirchengemeinde Hehlen, S. 12–21. LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 1 (Plünderung) u. 16–30 (Patronatstausch).
  8. Vgl. Schneider-Ludorff, Stiftung und Memoria, bes. S. 257–268.
  9. Vgl. Lent, Hehlen, S. 17.
  10. Schmidt, Veltheim, Bd. 2, S. 152f. Vgl. den Kommentar zu DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 621.
  11. Vgl. Roth, Auswertungen, Bd. 1, Nr. 555. Hufschmidt, Ilse von Saldern, S. 143–146. Neukirch, Adelskultur, S. 144. Danach Lent, Hehlen, S. 12.
  12. Vgl. LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 3.

Nachweise

  1. LkAW, Corpus bonorum von Hehlen (1753), S. 68.
  2. StAW LB 1225, Heft 35, fol. 8v.
  3. Kdm. Kr. Holzminden, S. 348 (nach Corpus bonorum, leicht normalisiert).

Zitierhinweis:
DI 83, Landkreis Holzminden, Nr. 119† (Jörg H. Lampe und Meike Willing), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di083g015k0011905.