Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 66: Lkr. Göttingen (2006)
Nr. 217 Duderstadt, Rathaus 1592
Beschreibung
Zwei Inschriftentafeln mit Vollwappen. Holz, farbig gefaßt. Die Tafeln, die früher außen auf der Nordseite des Rathauses und später in der Laube hingen,1) sind heute an der Wand im Großen Saal angebracht. Die Inschriften (A, B) sind erhaben geschnitzt und vergoldet. Sie stehen auf Beschlagwerkkartuschen, die über den Wappenschilden angebracht sind. Die Wappenschilde beider Tafeln sind von einer Girlande umgeben, die Girlande der ersten Tafel ist mit vier kleinen Wappenschilden besetzt.
Maße: H.: 116 cm; B.: 125 cm; Bu.: 4,5 cm (A), 4 cm (B).
Schriftart(en): Kapitalis, mit Minuskeln (B).
- A
REVERENDISSIMO, (ET) ILLVST(R)ISSIMO PRIN/CIPE, D(OMI)NO, D(OMI)NO, WOLFFGANGO ARCH(IE)P(I)S(CO)PO MO/GVNTINOa), SACRI ROMANI IMPERII ARCHICANC(ELLARIO) / (ET) ELLECTORE NOS(TRO) D(OMI)NO CLEME NTISSIM(O)
- B
ERVDITIONE (ET) VIRTVTE PRAESTANTISS(IMIS) VIRIS / D(OMI)NIS · IOANNE HE NNICEO · PRETORI · HE NRICO HES/SEN . HE NRICO AB HAGEN · CONSVLIB(VS) IOANNE AB HAGN / (ET) M(A)GI(STR)O PHILIPPOa) KLINKHARDOa) · CAMERARYS · REMP VPL(ICAM) · ADMI/NISTRANTI(BVS) C(E)T(E)R(I)Sq(VE) · S(E)N(A)T(O)RI(BVS) · D(E)·ALBATA · E(ST) · H(EC) · CVRIab) · IDI(BVS) · AVG(V)ST(I)2) / A(NN)Oc) MD LXXXXII ·
Übersetzung:
Zur Zeit, als der hochehrwürdige und hochberühmte Fürst (und) Herr, Herr Wolfgang, Mainzer Erzbischof, Erzkanzler des Heiligen Römischen Reichs und Kurfürst, unser allergnädigster Herr war, (A)
wurde unter dem Stadtregiment der wegen ihrer Gelehrsamkeit und Tugend vortrefflichsten Männer, der Herren Johann Hennicke, Schultheiß, Heinrich Hesse (und) Heinrich von Hagen, Bürgermeister, Johann von Hagen und Magister Philipp Klinckhardt, Kämmerer, und der übrigen Ratsherren dieses Rathaus getüncht an den Iden des August 1592. (B)
Kurmainz/Dalberg3) | |
Dalberg4) | Fleckenstein5) |
Helmstatt6) | Ingelheim7) |
Stadt Duderstadt8) |
Textkritischer Apparat
- O am Ende klein auf der Grundlinie eingefügt.
- a klein auf der Grundlinie eingefügt.
- O hochgestellt.
Anmerkungen
- Jaeger, Bilder, S. 54.
- 13. August.
- Wappen Kurmainz/Dalberg (Vollwappen mit drei Helmen sowie Krummstab und Schwert, quadriert, 1. u. 4. achtspeichiges Rad, 2. u. 3. sechs Lilien, 3:2:1). Wappen Kurmainz vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 5, Teil 1, S. 2.
- Wappen Dalberg (sechs Lilien, 3:2:1). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 6, S. 47 u. Tafel 28.
- Wappen Fleckenstein (drei Balken). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 10, S. 8 u. Tafel 10.
- Wappen Helmstatt (auffliegender gekrönter Rabe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 6, S. 9 u. Tafel 7.
- Wappen Ingelheim (geschachtes Kreuz). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 6, S. 21 u. Tafel 14.
- Wappen Stadt Duderstadt (zwei schreitende Leoparden pfahlweise). Der Wappeninhalt entspricht dem seit dem 13. Jahrhundert nachweisbaren Siegel der Stadt Duderstadt. Vgl. Jaeger, Alt-Duderstadt, S. 4.
- StA Duderstadt, AB 142, fol. 159v.
- Daß es dem Duderstädter Rat darum ging, auf diesem Weg in Kombination mit der Verherrlichung des Landesherrn durch dessen Wappentafel das daneben gestellte Duderstädter Stadtwappen quasi durch die Hintertür einzuführen (vgl. Rathaus Duderstadt, S. 133), ist eher unwahrscheinlich, da die beiden Leoparden als Stadtsiegel schon seit dem 13. Jahrhundert in Gebrauch waren.
- StA Duderstadt, AB 141, fol. 152v–154r.
- Zu dem Prozeß vgl. Wehking, Amt Gieboldehausen, S. 115–123.
Nachweise
- Engelhard, Hausinschriften, S. 37.
- Jaeger, Cyriakuskirche, S. 45.
- Jaeger, Alt-Duderstadt, S. 55.
- Jaeger, Bilder, S. 54.
- Rathaus Duderstadt, S. 133 mit Abb. 150 u. 151.
Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 217 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0021706.
Kommentar
Bei der Schrift handelt es sich um eine sehr manierierte, im Fall der Inschrift A rechtsgeneigte Form der Kapitalis mit zahlreichen Ligaturen. Viele Hastenenden sind im Bogen weit nach links oben oder rechts unten ausgezogen, die Hasten teilweise geschwungen. Damit zeigt die auffällige Schrift große Ähnlichkeit mit der des Altarretabels in Beienrode (Nr. 268). Da die Stadtrechnung von 1592/3 den Meister Claus Wale als Bildhauer der Wappentafeln ausweist,9) für deren Anfertigung er im November 1592 14 Taler erhielt, kommt Wale auch als Künstler des Altarretabels in Betracht.
Über den Grund der Anbringung zweier pompöser Wappentafeln aus Anlaß des Anstrichs des Rathauses, an den die feierlich formulierte Inschrift erinnert, läßt sich nur spekulieren.10) Auffällig ist, daß der Anlaß und die daran erinnernden Tafeln in keinem rechten Verhältnis zueinander stehen. Da die Stadtrechnung von 1591/2 eindeutig ausweist, daß für das Rathaus – neben Kosten für kleinere Ausbesserungen an verschiedenen Stellen – mehrfach Ausgaben für Kalk, Leim und Farbe aufgewendet wurden und der Maler Michel Sunthof einmal mit 4 Mark, einmal mit 5 Talern entlohnt wurde,11) erinnert die Inschrift tatsächlich nur an einen neuen Anstrich. Daß sich diese Arbeiten über einen längeren Zeitraum hinzogen, geht aus der Stadtrechnung eindeutig hervor. Nicht nur in diesem Punkt ist die Inschrift, die den 13. August als den Tag des Anstrichs – zu verstehen wohl als Tag der Fertigstellung – angibt, eigenartig formuliert. Es fällt auch auf, daß hier mit dem Erzbischof Wolfgang von Dalberg (1582–1601) und seinem Schultheißen Johann Hennicke (vgl. Nr. 209) auf der einen und den Mitgliedern des Duderstädter Rates auf der anderen Seite die beiden sich in den Auseinandersetzungen um die Durchführung der Gegenreformation feindlich gegenüberstehenden Parteien in schönster Eintracht aufgezählt sind, verstärkt noch dadurch, daß dem Landesherrn durch sein Bischofswappen samt vierteiliger Ahnenprobe eine besondere Ehrung zuteil wurde. Der Stimmung der weitgehend evangelischen Bevölkerung der Stadt Duderstadt dürfte dies kaum entsprochen haben. Daher ist zumindest zu erwägen, ob der Rat hier mit Verwendung des auf das welfische Wappen zurückgehenden Siegelmotivs der zwei Leoparden anstelle des üblicherweise zu dieser Zeit als Stadtwappen verwendeten bekrönten D nicht seine – auch historisch begründete – Nähe zum protestantischen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg verdeutlichen wollte, zumal um 1590 der vor dem Reichskammergericht geführte langjährige Prozeß um die vermeintlichen Besitzansprüche der Braunschweiger Herzöge auf Duderstadt und das Amt Gieboldehausen einen seiner Höhepunkte erreichte.12)