Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 142 Hann. Münden, ev.-luth. Kirche St. Blasius nach 1525, vor 1540

Beschreibung

Epitaph des Herzogs Erich I. von Braunschweig-Calenberg und seiner Gemahlinnen Katharina von Sachsen und Elisabeth von Brandenburg. Jurakalkstein. Das Epitaph hängt an der nördlichen Wand im Chor. Es handelt sich um eine hochrechteckige Steintafel mit einem niedrigen Giebelaufsatz. Im vertieften Innenfeld ein Relief, das vor einem Architekturhintergrund Maria und Johannes unter dem Kreuz zeigt, am Kreuz der Titulus A, im Vordergrund knien links der Herzog und rechts seine Gemahlinnen. Darunter auf einem Fries vier Vollwappen, unten drei Kartuschen nebeneinander, auf den beiden äußeren die Grabschriften für Erich I. (B) und Katharina von Sachsen (C), die Grabschrift auf der mittleren Kartusche für Elisabeth von Brandenburg wurde nicht nachgetragen. In der Inschrift B ist das Todesdatum zunächst ausgespart und später unvollständig nachgetragen worden. Sämtliche Inschriften sind eingehauen, die Buchstaben in Schwarz hervorgehoben.

Maße: H.: 274 cm; B.: 112 cm; Bu.: 3 cm (A), 1,5 cm (B, C).

Schriftart(en): Kapitalis.

Sabine Wehking [1/5]

  1. A

    I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDAEORVM) 1)

  2. B

    ANNO D(OMI)NI · M · D · <XL> AM / <30> TAG <.....> IST VERSCH=/IDEN DER DVRCHLEVCHTIG / HOCHGEBORN FVRST VN(D) / HERR HERR ERICH HER/CZOG ZW BRANNSCHWE=/IGK VND LVNNEBVRG KAY(SERLICHE)Ra) / MAIEST(AET) MAXIMILIANS HO=/CHLOBLICHER GEDECHT=/NVS GETREWER DIENER / DEM GOT GENEDIG VND / BARMHERCZIG SEIN WOLL ·

  3. C

    ANNO D(OMI)NI · M · D · XXIIII · AM / · X · TAG FEBRVARY IST VER=/SCHIDEN DIE HOCHGEBORN / FVRSTIN FRAW CATARINA / HERCZOGIN ZV SAXEN (ET CETERA)b) / ETWO ERCZHERCZOG / SIGMVNDS VON ESTERE=/ICH GEMAHEL HERCZ=/OGIN ZW BRANNSCHW=/EIGK VND LVNEBVRG (ET CETERA)b) / DER GOT GENEDIG SEI DER / HOCHLOBLICHEN FVRSTIN

Wappen:
Braunschweig-
Calenberg2)
Brandenburg3)Österreich4)Sachsen5)

Kommentar

Das unvollständig und sehr unbeholfen ergänzte Todesdatum Herzog Erichs I. zeigt, daß das Epitaph vor dem Tod des Herzogs im Juli 1540 angefertigt wurde. Die durchgängig hochdeutschen Texte der Inschriften B und C und die für den niedersächsischen Raum ungewöhnlichen Schreibungen wie das wiederholt verwendete CZ oder die in den norddeutschen Inschriftenbeständen sonst nicht vorkommende zweimalige Schreibung BRANNSCHWEIGK mit ANN statt des üblichen AVN verweisen auf eine süddeutsche Herkunft des Epitaphs, das aus stilistischen Gründen dem in Eichstätt ansässigen Bildhauer Loy Hering zugewiesen wird.6) Diese nach kunsthistorischen Kriterien getroffene Zuweisung des besonders qualitätvollen Epitaphs an die süddeutsche Werkstatt läßt sich aufgrund epigraphischer Kriterien mit absoluter Sicherheit bestätigen, da sämtliche von Franz Bornschlegel für Loy Hering und seine Werkstatt herausgearbeiteten Besonderheiten der Kapitalisgestaltung auf die Inschriften des Epitaphs zutreffen.7) Charakteristisch sind neben den insgesamt sehr ausgeprägten Serifen vor allem die als kleine unten offene Bögen gehauenen i-Punkte, das K mit waagerechtem Mittelteil, in dem die Schrägschäfte zusammenlaufen, geradem oberen Schrägschaft und stachelförmigem durchgebogenen unteren Schrägschaft sowie die beidseitig an die Balkenenden des T angesetzten linksschrägen Serifen.

Erich I. wurde 1470 als Sohn des Herzogs Wilhelm II. von Braunschweig-Wolfenbüttel (vgl. Nr. 76) und der Elisabeth von Stolberg geboren.8) Seine Jugend verbrachte er am bayerischen Hof und am kaiserlichen Hof in Wien, woraus sich die enge Beziehung zu seinem Taufpaten Kaiser Maximilian ergab, in dessen Diensten Erich I. lange Zeit stand. Seine Verbindung zu Österreich zeigt sich auch in seiner ersten Ehe, die durch Vermittlung Kaiser Maximilians zustandekam. Im Jahr 1497 heiratete er die Witwe des Erzherzogs Sigismund, Katharina von Sachsen, die 1524 starb. Wie wichtig diese eheliche Verbindung zu Österreich für Erich I. war, zeigt der eher ungewöhnliche Umstand, daß er neben dem väterlichen Wappen seiner ersten Ehefrau auch das ihres ersten Ehemanns auf sein Epitaph setzen ließ. In zweiter Ehe heiratete Erich I. 1525 Elisabeth von Brandenburg. Im Gegensatz zu ihrem Mann, der Zeit seines Lebens schon aus alter Verbundenheit zum Kaiserhof am katholischen Glauben festhielt, trat Elisabeth mit Duldung ihres Ehemanns zur evangelischen Konfession über und förderte die Ausbreitung der lutherischen Lehre im Fürstentum Calenberg. Erich I. starb am 30. Juli 1540 auf dem Reichstag in Hagenau, wo er sich wegen seiner – wohl aus Rücksicht auf seine Gattin indifferenten – Haltung in der Religionsfrage und dem daraus resultierenden Vorwurf der Untreue gegen Karl V. rechtfertigen sollte.

Da der Herzog bei seinem Tod etwa 900.000 Taler Schulden hinterließ, mangelte es sogar an Geld, seinen einbalsamierten Leichnam nach Münden zu überführen. Erich I. konnte daher erst 1541 in St. Blasius in Münden beigesetzt werden. Herzogin Elisabeth erhob zum Ausgleich für die Überführungskosten eine Sondersteuer in Höhe von 16 Pfennigen für jeden Einwohner des Fürstentums Calenberg, die zu einer offenen Empörung in den Ämtern Harste, Moringen, Hardegsen, Dransfeld und in der Stadt Göttingen führte. Die Herzogin ging dagegen unterstützt von einigen Adligen mit militärischen Mitteln vor.9) Die einjährige Verzögerung der Beisetzung zeigt sich auch darin, daß Cort Mente die Bronzeplatte, die das Grab Erichs I. in St. Blasius bedeckte, erst im Jahr 1541 goß (vgl. Nr. 145). Angesichts der Finanzprobleme beim Tod Erichs I. erwies es sich als Vorteil, daß dieser sein anspruchsvolles Epitaph schon zu Lebzeiten hatte anfertigen lassen. Die Kartusche, auf der die Inschrift für Elisabeth von Brandenburg vorgesehen war, blieb leer, da diese nach einer sechsjährigen Vormundschaftsregierung für ihren Sohn Erich II. (vgl. Nr. 153) den Grafen Boppo von Henneberg heiratete und nach ihrem Tod 1558 in der Klosterkirche zu Veßra in der Grablege der Grafen von Henneberg begraben wurde, die wenig später in die Johanniskirche von Schleusingen verlegt wurde.10)

Textkritischer Apparat

  1. R hochgestellt.
  2. Ausgeführt als ZC.

Anmerkungen

  1. Io. 19,19.
  2. Wappen Braunschweig-Calenberg (quadriert, 1. zwei Leoparden übereinander (Braunschweig), 2. steigender Löwe im mit Herzen besäten Schild (Lüneburg), 3. bekrönter Löwe (Eberstein), 4. Löwe (Homburg)). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 1, S. 28 u. Tafel 49.
  3. Wappen Brandenburg (neun Felder, im mittleren Feld der preußische Adler). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 109 u. Tafel 119.
  4. Wappen Herzöge von Österreich (Balken). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, S. 128 u. Tafel 128.
  5. Wappen Sachsen (zehn Felder, 3:3:4, das mittlere Feld neunmal geteilt und von Rautenkranz schräglinks überlegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 3, S. 19 u. Tafel 27.
  6. Peter Reindl, Loy Herings Epitaph in Hann. Münden als Typus eines süddeutschen Renaissance-Epitaphs. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 10, 1971, S. 143–187. Peter Reindl, Loy Hering – Zur Rezeption der Renaissance in Süddeutschland. Basel 1977, Katalog A44, S. 315f. Reindl setzt die Entstehung des Epitaphs aus stilistischen Gründen schon auf die Zeit von 1526–28 an.
  7. Franz-Albrecht Bornschlegel, Die Inschriften des Loy Hering und seiner Werkstatt. In: pinxit/sculpsit/fecit – Festschrift für Bruno Bushart, hg. v. Bärbel Hamacher u. Christl Karnehm. München 1994, S. 39–50, hier S. 41.
  8. Hierzu und zum folgenden Kunze, Erich II., S. 32f.
  9. Vgl. Eckart, Adelebsen, S. 43.
  10. Vgl. Kunze, Erich II., S. 76 mit Abb. des Epitaphs.

Nachweise

  1. Biskamp, Münden, Ergänzungsstück, p. 34 (B, C).
  2. Willigerod, Geschichte, S. 224 (B, C).
  3. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 140 (B, C).
  4. Fischer, Kunstdenkmäler, S. 16 (B, C).
  5. Lotze, St. Blasii-Kirche, S. 22 (B, C).
  6. Peter Reindl, Loy Herings Epitaph in Hann. Münden als Typus eines süddeutschen Renaissance-Epitaphs. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 10, 1971, S. 143–187, hier S. 145 mit Abb. (B, C).
  7. Peter Reindl, Loy Hering – Zur Rezeption der Renaissance in Süddeutschland. Basel 1977, Katalog A44, S. 316 (B, C).
  8. Kunze, Erich II., S. 44 (B, C) mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 142 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0014204.