Inschriftenkatalog: Landkreis Göttingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 66: Lkr. Göttingen (2006)

Nr. 125(†) Duderstadt, ev.-luth. Kirche St. Servatius 1519, 1520

Beschreibung

Schlußsteine. In den Gewölben der Kirche finden sich verschiedene Schlußsteine mit Inschriften, die – wie das gesamte Kirchengebäude – durch den Brand von 1915 schwer beschädigt wurden. Der größere Teil der Schlußsteine wurde während des Wiederaufbaus im Jahr 1916 ausgetauscht, der kleinere Teil überarbeitet.1) So ist auch bei den auf den ersten Blick älter anmutenden Steinen zu fragen, inwieweit hier noch die Originale aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts erhalten sind oder Kopien bzw. Überarbeitungen und damit kopiale Überlieferungen der Inschriften vorliegen. Darauf verweist beispielsweise die modern ausgeführte Jahreszahl auf dem zweiten Schlußstein des Mittelschiffs von Osten, der eine Reliefdarstellung des heiligen Servatius und die Umschrift B trägt. Da Mithoff die Schlußsteine im Zustand vor Brand und Restaurierung beschreibt und auch die Inschriften A, B, C, G wiedergibt, läßt sich zumindest überprüfen, daß das Bildprogramm weitgehend unverändert wiederhergestellt wurde, auch wenn der Schriftduktus der Inschriften teilweise stark verändert worden ist. Dies entspricht den Empfehlungen des Provinzialkonservators Siebern nur bedingt, der in seinem Gutachten zum Wiederaufbau der Kirche vom 5. Januar 1916 bemerkte: Beim Ausbessern von Fehlstellen an Gesimsen, Kapitälen, Konsolen und Schlußsteinen darf nicht zu weit gegangen werden. Besser ein altes Stück mit kleinen Schönheitsfehlern als eine dafür eingesetzte Kopie. Den Bauakten ist zu entnehmen, daß zwei Schlußsteine von dem Architekten Alfred Sasse in Hannover neu entworfen wurden, zehn der insgesamt sechzehn Schlußsteine im Kirchenschiff durch Kopien ersetzt und die anderen sechs ausgebessert und in den fehlenden Teilen ergänzt wurden. Außerdem wurden zwanzig Wappenschilde durch Neuanfertigungen ersetzt. Im Chor wurden zwei Schlußsteine ausgetauscht und der dritte ausgebessert.2)

Die Schlußsteine im Chor von Osten nach Westen: Brustbild des heiligen Bischofs Servatius mit Schlüssel und Krummstab, links und rechts von der Figur die Umschrift A; Wappenschild (Wehre, neu); Wappenschild (Nigerode, neu). Die Schlußsteine im Mittelschiff von Osten nach Westen: 1. Rose, um den abgeschrägten Rand die Inschrift B; 2. Ganzfigur des heiligen Bischofs Servatius mit Schlüssel und Krummstab, auf dem abgeschrägten Rand die Inschrift C; 3. neuer Stein mit großer Öffnung, um den Rand eine Inschrift von 19163); 4. der heilige Georg mit der Beischrift D (neu); 5. Wappenschild (Wehre); 6. Schlußstein von 1915 mit Phönix und Umschrift4) auf dem abgeschrägten Rand. Die Schlußsteine im nördlichen Seitenschiff von Osten nach Westen: 1. Wappenschild (Rode), darüber die Jahreszahl E; 2. Brustbild eines Heiligen mit Hellebarde; 3. drei Halbmonde; 4. Lanzenspitze, links und rechts davon Initialen (F); 5. die Apostel Petrus und Paulus; 6. Hausmarke (H2). Die Schlußsteine des südlichen Seitenschiffs: 1. der Erzengel Michael als Seelenwäger; 2. Rose; 3. Agnus Dei mit Kreuzfahne und der Beischrift G auf einem Schriftband (neu) umgeben von vier kleineren Steinen mit den durch Tituli auf Schriftbändern gekennzeichneten Evangelistensymbolen (H alt, I neu, J neu, K alt); 4. Jacobus maior umgeben von vier kleineren Steinen mit Gildezeichen (Kammrad, vorderhalber Fisch, Rad, drei Scheren, deren übereinandergelegte offene Blätter ein Dreieck bilden); 5. Darstellung der Mantelteilung durch den heiligen Martin, der Schlußstein umgeben von vier Steinen in Form von Wappenschilden mit Gildezeichen (Wurst und Fleisch; Beil, Spaten und anderes Gerät; Gebäckstücke?; Brezeln). 6. Christuskopf. Alle Inschriften sind erhaben gehauen und in Gold auf farbigem Untergrund gefaßt.

Maße: Dm.: ca. 50 cm (jeder Schlußstein); Bu.: ca. 6 cm (A), ca. 8 cm (B, C, E, H, K), ca. 20 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (B, C), mit Versalien (A), frühhumanistische Kapitalis (F, H, K).

Sabine Wehking [1/2]

  1. A

    St · Servaci(us) · ora · // pro nobis · a) 5)

  2. B

    · dvt · hebben · lathen · maken · de · hern · vanb) · de(n) · rose(n)dale

  3. C

    · sanctvs · servativs · ora · pro · nobis · 1520c) 5)

  4. D

    St. Georc d)

  5. E

    1519

  6. F

    H H e)

  7. G

    Ecce = agnus dei qui f) 6)

  8. H

    S · MARCVS g)

  9. I

    S · MATHÄUS

  10. J

    S · JOHANNES

  11. K

    S LVCAS · EVA(NGELISTA)h)

Übersetzung:

Heiliger Servatius bitte für uns. (A, C) Dies haben die Herren vom Rosental machen lassen. (B) Siehe das Lamm Gottes, das ... . (G)

Wappen:
Wehre7)Nigerode8)Wehre7)Rode9)

Kommentar

Bei den in Inschrift B genannten Herren vom Rosental handelt es sich um die Mitglieder der Realgemeinde des westlich von Duderstadt bei Werxhausen gelegenen ehemaligen Dorfes Rosental, das schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts eine Wüstung war. Die Nachkommen der Rosentaler Grundbesitzer bildeten eine Erbengemeinschaft, die bis in das 19. Jahrhundert existierte. Verzeichnet sind die Mitglieder in dem heute im Stadtarchiv Duderstadt befindlichen Rosentaler Erbenbuch, das Anfang des 16. Jahrhunderts angelegt wurde und bis in das Jahr 1854 reicht. Schon auf dem ersten Blatt des Erbenbuchs findet sich die Bezeichnung der Mitglieder als Herren und Erben zum rosendall.10) Ob die Rosentaler Erbengemeinschaft den Bau eines Teils des Kirchengewölbes finanzierte, oder ob sich die Inschrift lediglich auf die Anfertigung des Schlußsteins bezog, läßt sich nicht feststellen.

Textkritischer Apparat

  1. Die Ausführung der Inschrift läßt darauf schließen, daß der Schlußstein lediglich ausgebessert wurde. Die Version bei Mithoff mit Auflösung der Kürzungen lautet: sanct . servacius . ora pro nobis . Die Kürzung St. in der heutigen Inschrift entspricht dem Gebrauch in modernen deutschen Texten, ursprünglich wohl sc. oder Sc.
  2. van] von im heutigen Zustand farbig gefaßt, Mithoff gibt die niederdeutsche Version wieder, die sicher dem Original entspricht. Das gesamte Erscheinungsbild der Inschrift läßt darauf schließen, daß der Stein lediglich ausgebessert wurde.
  3. Die Jahreszahl entspricht in der Ausführung der Ziffern 5 und 2 modernem Gebrauch, aber nicht der Gestaltung im Jahr 1520. Da die übrige Inschrift dem Schriftbild nach alt zu sein scheint, wurde möglicherweise nur die stark zerstörte Jahreszahl ergänzt.
  4. Die ursprüngliche Version auf dem Vorgängerstein dürfte s(anctu)s georg(ius) gelautet haben.
  5. Die Querbalken beider H nach unten ausgebuchtet.
  6. Die Version bei Mithoff lautet: ECCE AGNVS DEI QVI. Vermutlich war diese Inschrift wie auch die Tituli der beiden noch im alten Zustand erhaltenen Evangelistensymbole in frühhumanistischer Kapitalis ausgeführt.
  7. Die Inschriften H und K stehen in auffälligem Kontrast zu den modernen Inschriften I und J und entsprechen weitgehend dem alten Befund, auch wenn die Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis durch die Überarbeitung der Steine möglicherweise etwas abgeschwächt wurden. Das große us-Kürzel wurde in die modernen Inschriften übernommen.
  8. Epsilonförmiges E, abgeschlossen durch die linke Schräghaste des V.

Anmerkungen

  1. Deutlich wird dies an dem nach altem Vorbild gearbeiteten Schlußstein über der Orgelempore, der in der Mitte einen von einem Flammenkranz umgebenen Phönix zeigt. Auf dem abgeschrägten Rand des Steins die auf die Renovierung von 1916 bezogene Inschrift: ernevt (sic!) dvrch Sasse architect. von Mavrermeister Borchard. Unter dem Phönix in den Flammen die Inschrift 17. Juni MCMXV, das Datum des Brandes. Der dritte Schlußstein des Mittelschiffs von Osten trägt die Umschrift Ein feste Burg ist unser Gott. Wieder aufgebavt im Weltkriege 1916.
  2. Pfarrarchiv St. Servatius, Duderstadt, Nr. 256. Zu den neuen Schlußsteinen vgl. Anm. 1.
  3. Vgl. Anm. 1.
  4. Vgl. Anm. 1.
  5. Lit. Text, Allerheiligenlitanei.
  6. Io. 1,29.
  7. Wappen Wehre (fünfmal geasteter Baumstamm, an den Astenden mit Flammen besetzt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 26 u. Tafel 27.
  8. Wappen Nigerode (drei von Ästen herabhängende Blätter, 2:1). Vgl. Meyermann, Hausmarken, S. 61 u. Tafel 16, Nr. 371.
  9. Wappen Rode (Sparren, darüber zwei, darunter eine Muschel). Vgl. Meyermann, Hausmarken, S. 68f. u. Tafel 18, Nr. 420.
  10. StA Duderstadt, Dud 1, Nr. 2902, fol. 1v. Die Bezeichnung herren zum rosendall wird im folgenden ständig wiederholt.

Nachweise

  1. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 28 (A–C, G).
  2. Jaeger, Alt-Duderstadt, S. 81 (A–C, G).

Zitierhinweis:
DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 125(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0012503.