Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 496† Dürnau, ev. Pfarrkirche (St. Kilian und Cyriakus) Göppingen, Städt. Museum im „Storchen“ um 1650, 1711

Beschreibung

Gedenk- und Mahninschrift. Ursprünglich auf zwei nicht erhaltenen Tafeln, die in der Dürnauer Pfarrkirche über den Epitaphien der Ritter von Zillenhart an der Langhaus-Nordwand zwischen Orgel und Empore aufgehängt waren. Diese Tafeln – zwei langgestreckte, nebeneinander angebrachte Holztafeln, jeweils von einem ausgesägten und bemalten und oben in der Mitte mit einem Engelskopf versehenen Zierrahmen eingefaßt und an der Verbindungsstelle mit einer Zierleiste zusammengesetzt – wurden 1686 auf Veranlassung der neuen kurbayerischen Ortsherrschaft abgenommen, nachdem zuvor schon die letzten Worte der Inschrift getilgt worden waren, und in die bayerische Obervogtei nach Wiesensteig abtransportiert. Da die Tafeln mit der Inschrift während der Lagerung im dortigen Schloß abhanden kamen und 1711 nur mehr einige Fragmente der beiden Rahmen mit Teilen der „Zierraden“ übrig waren, ließen Christoph Ferdinand von Degenfeld und seine Vettern im März 1711 durch den Boller Schreiner Mändlin und den Salacher Schulmeister und Tüncher Heyden textgenaue Kopien der beiden Inschrifttafeln anfertigen; die Zierrahmen wurden unter Verwendung der erhaltenen Fragmente ergänzt. Gleichzeitig wurde eine notarielle Beglaubigung der getreuen Abschrift (B) angefügt, welche am 27. November 1711 vollzogen wurde. Inschrift (B) wurde also erst im November 1711 durch Einfügung des Datums vollendet. Aus der Schriftanordnung ist ersichtlich, daß zwar der Wortlaut der Inschrift (A), nicht aber das Schriftbild vom Original übernommen wurde, denn der usprüngliche Text wurde sicherlich in verkleinertem Schriftgrad wiedergegeben, um Platz für die Beglaubigung zu schaffen. Nachdem am 13. November 1711 eine Befragung von 13 Dürnauer Zeugen stattgefunden hatte, die das Schicksal der Originaltafeln und die Übereinstimmung der kopierten Inschriften mit den ursprünglichen klären sollte, wurden die Kopien am 27. November im Beisein der gesamten Dürnauer evangelischen Bürgerschaft im Rahmen eines Gottesdienstes feierlich in der Dürnauer Kirche aufgehängt. Über den gesamten Vorgang existiert ein ausführliches Protokoll in Form eines Notariatsinstruments des Notars Gros aus Esslingen1. 1880 wurden die „sehr beschädigte(n) Holztafeln“ dann bei einer Kirchenrenovierung in das Dürnauer Schloß2 verbracht3, wo sie zuletzt im Durchgang unter dem Jägerhaus hingen4; jetzt im Depot des Städt. Museums im „Storchen“ in Göppingen.

Wiedergabe des Wortlauts nach der erhaltenen Kopie5: zwei langgestreckte Holztafeln; die ursprüngliche Inschrift (A) 2zeilig auf der ersten Tafel beginnend und in zwei Zeilen auf der zweiten fortgesetzt; darunter die Beglaubigungsinschrift (B) 4zeilig auf der ersten Tafel beginnend und 3zeilig auf der zweiten endend.

Maße: H. (jeweils) 53,5, B. 348, Bu. 5,0–5,5 (A), 2,5 cm (B).

Schriftart(en): Fraktur, Kapitalis, einzelne Wörter in humanistischer Minuskel.

  1. A

    Dise unden stehende EPITAPHIA, seynd von dem uhralt Adelichen Dapfern Rittermäsigen Geschlechta) deren von Zillhardt, vonb) / Welchem Geschlechtc) das Guth Dürnaw auff die Freyherrn von Degenfeldt Erblichd) kommen, und erstlich uff Christoph Martin // Freyherrne) von Degenfeldt, Ritternf), und der herrschafftg) Venedig GENERALNh) in DALMATIA, und ALBANIA. Welcher auchi) / Seine POSTERITAETk) ernstlich ermahnet, dises Guth ohne äuserste Noth nit von dem Geschlecht der Freyherrn von DegenFeldt zu alienirenl)m).

  2. B

    Daß diese gedoppelte Taffel, (n) welche nach der = in anno 1711. Mensel) Martiol) zu Göppingen, vorgewesenen Kayserlichen Immisions=Commissionl), gethanen höchsten verordnung, / mit solcher ihrer ob vor stehende ehemahligen schrifft, heut dato ordentlich Renovirtl) = und darauff auch wider an dise Stell öffentlich affigiretl) worden)o) der vor hin solcher gestalt an // gegen wertigem Orth gehangenen = jpsô factô aber, in Anno 1686, abgenommenen gedoppelten alten Taffeln, in allem durchaus conform; hat über das hier über verförttigte / Jnstrumentuml) publicuml), zu gleich an disem orth mit=attestiren sollen Dürnaw den 27ten Monats Tag Novembris, Annol) Christi: 1711p) Test(is)q) Johannesl) Fridericusl) Gros Jmperiali / authoritate Notarius publicus

Übersetzung:

… durch kaiserliche Vollmacht öffentlicher Notar.

Kommentar

Die von Zillenhart waren ab 1479 Ortsherren von Dürnau. Nach dem Tod des letzten Zillenharters, Wolf Nikolaus, fiel der Ort 1623 mitsamt dem Schloß auf dem Erbwege über Wolf Nikolaus’ Schwester Margarethe, die mit Konrad von Degenfeld († 1600) verheiratet war, an die Herren von Degenfeld6. Der neue Ortsherr Christoph Martin I. von Degenfeld (1599–1653) wurde 1625 in den Reichsfreiherrenstand erhoben. Er diente als General unter Wallenstein sowie in schwedischen und französischen und schließlich in venezianischen Diensten7. Das Allianzwappen Christoph Martins und seiner Frau Anna Maria Adelmann von Adelmannsfelden ist in Stuck an der Decke der Dürnauer Kirche angebracht. Die Ausführung der Inschrifttafeln könnte noch in den Berichtszeitraum fallen8. Christoph Martin scheint Grund zu der Befürchtung gehabt zu haben, daß seine Nachkommen die Ortsherrschaft nach seinem Tode aus der Hand geben könnten, sonst hätte er wohl kaum die ungewöhnliche Form der inschriftlichen Ermahnung an öffentlicher Stelle gewählt. Tatsächlich verkaufte Hannibal von Degenfeld aber bereits 1684 Schloß und Dorf an Kurbayern „wider zerschiedene Kayserl. Cammergerichtliche Befehle, sonderlich aber auch wider seines Vaters … Verordnung“. Die letzten Worte der Inschrift, die die Veräußerung des Guts Dürnau verbieten, wurden „vermuthlich“ durch „die Catholische(n)“ herausgekratzt, wobei sie „solche aber doch nicht völlig auszulöschen vermöcht, und man also das Lateinische wörtlein alieniren, doch noch lesen können“. Der kurbayerische Vogt zu Dürnau Beckensteiner befahl 1686 zwei Dürnauer Zimmerleuten, die Tafeln abzunehmen. Auf deren Weigerung hin wurde ein Zimmermann von Wiesensteig zu diesem Behuf nach Dürnau geschickt. Die Tafeln wurden schließlich – damals noch unbeschädigt – zum Sitz des bayerischen Obervogts Cammerlohr ins Wiesensteiger Schloß abtransportiert.

Daß die Inschrift letztlich doch nicht ihre Wirkung verfehlte, zeigt sich in dem Bemühen des älteren Bruders von Hannibal, Christoph Ferdinand von Degenfeld, und seinen Vettern, die beglaubigte inschriftliche Kopie herstellen zu lassen und den Verkauf des Dürnauer Ritterguts rückgängig zu machen. Noch 1711 konnten sie die Hälfte der Ortsherrschaft von Kurbayern zurückkaufen; 1771 gelang der Rückerwerb auch der zweiten Hälfte9.

Textkritischer Apparat

  1. Uhralten Ritterlichen Geschlecht Zeugenprotokoll (vgl. Anm. 5).
  2. Am Zeilenende sind zur besseren Orientierung Reklamanten in verkleinertem Schriftgrad angefügt, die das erste Wort der folgenden Zeile wiederholen; in der Textwiedergabe hier weggelassen.
  3. Geschlecht fehlt Zeugenprotokoll.
  4. Erblich fehlt Zeugenprotokoll.
  5. Freyherrn fehlt Zeugenprotokoll.
  6. deß Heyl. Röm. Reichs Freyherren und Rittern Zeugenprotokoll.
  7. durchleüchtigsten Herrschafft Zeugenprotokoll.
  8. geweßten Generalen dero Waffen Zeugenprotokoll.
  9. auch fehlt Zeugenprotokoll.
  10. Posterität und Nachkömbling Zeugenprotokoll.
  11. Wort in humanistischer Minuskel.
  12. das Guth Dürnaw nicht Von Ihrem Geschlecht der Freyherren Von Degenfeldt zu alieniren, ohne hierzu dringendte Äuserste Noth, Anno Christi (etc.) 1653 Zeugenprotokoll.
  13. Schrägstrich mit folgendem Doppelpunkt als Zeichen der Parenthese, hier durch runde Klammer wiedergegeben.
  14. Schrägstrich mit voranstehendem Doppelpunkt, wie Anm. n.
  15. Danach Rankenornament als Zeilenfüller.
  16. Kürzung durch Doppelpunkt.

Anmerkungen

  1. AGDSE, Aktenkasten 14F (wie unten).
  2. 1845 bis auf die Wirtschaftsgebäude abgerissen.
  3. Vgl. AGDSE, Glaskasten XIII, 22: Familien-Denkmäler u. Epitaphien betreffend: „Abriß- und Decopirung der in hiesiger Kirchen auffgehängten General-Degenfeld-Taffel“ (1. H. 18. Jh.) mit angefügter Notiz von 1880.
  4. Vgl. Kdm Göppingen 81; Ortsgeschichte Dürnau (wie unten) 8f.
  5. Nur unwesentliche orthographische Abweichungen in den verschiedenen im Notariatsinstrument von 1711 überlieferten Fassungen; dagegen leichte textliche Abweichungen in einer Version, die einer der befragten Zeugen „hehr recitirte“ und schriftlich zu Protokoll gab (danach die Textvarianten „Zeugenprotokoll“).
  6. Vgl. LdBW III 285.
  7. Grablege in der Dürnauer Gruft unter der Sakristei (nach dem Zweiten Weltkrieg zugeschüttet), Epitaph von 1652 für ihn und seine Frau an der Langhaus-Nordwand. Vgl. nr. 484 †.
  8. Die Zeugenbefragung am 13. November 1711 konnte die Entstehungszeit nicht eindeutig klären. Zwei Zeugen gaben Christoph Martin von Degenfeld, zwei seinen ältesten Sohn Ferdinand als Urheber der Tafeln an; als Jahr der Anbringung in der Kirche wurde einmal 1653, einmal 1655 oder 56 genannt, die übrigen Zeugen konnten dazu keine Angaben machen.
  9. LdBW III 285.

Nachweise

  1. AGDSE, Aktenkasten 14F: Copia vidimata des Inschriftentextes (A) von Joh. Georg Conz, Notarius imp. publ. juratus, Göppingen 1711 III 5.
  2. Ebd., Notariatsinstrument des Joh. Frid. Gros, Imp. Authoritate Not. publ. juratus, Dürnau 1711 XI 27.
  3. Kdm Göppingen 81.
  4. Illig, Geschichte von Göppingen u. Umgebung II 39.
  5. Vatter, Herren von Zillenhardt 9.
  6. Ortsgeschichte Dürnau 8f.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 496† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0049600.