Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 359† Geislingen an der Steige (?), ev. Stadtkirche (?) 2. H. 16. Jh. (?)

Beschreibung

Grabgedicht der Maria Gräfin von Helfenstein geborene Kotromanič von Bosnien. Überliefert auf einem im StA Ludwigsburg aufbewahrten Einzelblatt, das der Schrift nach in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren ist1. Der Wortlaut wie auch die beigefügte Zeichnung und Beschreibung des bosnischen Wappens deuten auf inschriftliche Ausführung des Gedichts hin, auch wenn sich diese letztlich nicht beweisen läßt. Es könnte sich am ehesten um eine Holztafel mit aufgemalter Inschrift und Wappen gehandelt haben. Der Vermerk am Beginn des Gedichts „begrabnus der Hertzogin von bossnow ist zu gißlingen“ macht als Standort die Geislinger Stadtkirche wahrscheinlich2.

Wortlaut nach StAL, B 95 Bü 12.

  1. Ain fürstin hie begraben lytDie tugent pflog zu aller zeitMit namen mariyMilttikait die wont Jr bejDer die fürstin nie vergaßVon Vngern sie genant wasDer gerecht küng Ludwig soDie hertzogin von bossnowMit richaita) her gen schwaben brachtErlücht vnd aller Zucht bedachtDem altten von HelffenstainVolrich der ward ermörtb) allainDo man zalt xiijc) Jarc)Vnd lxxijd) für warDie fürstin aller ern richTet aller guotthait vlyssen sichOb Jrem tisch mit milttikaitDas essen was menschliche) beraytSie hielt ain erber HoffgesindAll Jr dienstlüt waren geschwindDar tragen siessen win vnd spysDie armen gaben Jr den prysDie ersam fürstin vnd matronWas aller priester wol ain KronDie sie wol Jn hertzen maintDas hat sie offt an Jnn erschaintDar vmb Jr werden priester allBittent das Jr sel mit schallDer Himel strauß vff faren syf) Vnd komm och Jn die JerarchyDo man got sicht Jn sinem tronDer lauß sie öwigs leben honSie starb an ainem frytagNach sant marx als ich sagDo mann zalt xiiijc) Jarg) Vnd drü das ist gar offenbarDo macht Jr leben hie ain end Des aberellen fünfft kalend

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Datum: 27. April 14033.

Wappen:
Bosnien4.

Kommentar

Die Machart der Verse weist auf ihre Entstehung im 16. Jahrhundert. Ihre Anfertigung (und inschriftliche Ausführung) könnte im Zusammenhang stehen mit dem genealogischen Interesse der Grafen Ulrich († 1570) und Rudolf V. von Helfenstein († 1601, vgl. nr. 368). Letzterer beauftragte Oswald Gabelkover mit der Abfassung einer Geschichte des gräflichen Hauses und stellte ihm dazu das gesamte Familienarchiv zur Verfügung5. Das Gedicht ist aber jedenfalls unabhängig von Gabelkovers Forschungen und vor diesen entstanden6.

Maria von Bosnien war die Tochter des Banus Stjepan (Stefan) Kotromanič von Bosnien7. Ihre Schwester Elisabeth wurde 1353 die zweite Frau des in dem Grabgedicht erwähnten Königs Ludwig I. d. Gr. von Ungarn und Polen. Etwa um diese Zeit heiratete Maria, vermutlich durch Vermittlung König Karls IV., den Grafen Ulrich (X.) von Helfenstein. Ulrich fiel 1372 einem Mordanschlag zum Opfer. Maria nahm daraufhin ihren Witwensitz auf der Burg Bühringen über Überkingen8.

Textkritischer Apparat

  1. freiheit Kerler.
  2. erwärdt Kerler.
  3. dreizehn hundert Jar Kerler.
  4. zwey und siebentzig Kerler.
  5. D. H. menniglich.
  6. Die Himmelstraß auffahren sey Kerler.
  7. vierzehn hundert Jar Kerler.

Anmerkungen

  1. StAL, B 95 Bü 12.
  2. Gabelkover zitiert in seinem Werk „Historia und Beschreibung des uralten herrlichen Geschlechts der Grafen von Helfenstein von Anno 860 biß uff 1604“, das in drei Exemplaren erhalten ist (HStAS, J1 Nr. 48c; Kopie: WLB, Cod. hist. F 393; Reinschrift: WLB, Donaueschinger Hs 591) das Gedicht nicht, erwähnt aber die handschriftliche Aufzeichnung: WLB Cod. hist. F 393, p. 831ff. „Register der antiquitaeten meins gnedigen Herrn Graven Ulrichen von Helffenstain“, darin p. 835: „Epitaphium der Herzogin von Boßen vnd ir Gedächtnuß etc. 1. Bogen. Idem epitaphium sonst noch zweymal. Item, ir und irs Herrn und Kinder Gedechtnuß, auch sonst noch zweymal.“ Es müssen im Helfensteiner Archiv im späten 16. Jahrhundert also mindestens vier Abschriften vorhanden gewesen sein. An anderer Stelle verweist Gabelkover ausdrücklich auf den Text: „Diß aber ist auß ihrem epitaphio gwiß das sie mit König Ludwig Jr schwester mann vß Ungarn herauf gebracht ist worden“, vgl. Burkhardt, Maria von Bosnien 36. Gabelkover ging freilich von der Bestattung der Gräfin in Überkingen aus, „gleichwol jetziger Zeit weder Stain noch Tafeln oder ainiche Anzaigung Begrebnus inn derselbigen Kirchen mehr vorhanden sind“ (ebd. 50), ein Begräbnis in Geislingen zieht er gar nicht in Erwägung. Kerler 86f. Anm.* teilt das Gedicht im vollen Wortlaut mit, aus den orthographischen Abweichungen zu schließen wohl nach einer anderen als unserer Quelle. Er vermutet, offenbar aufgrund der Gabelkoverschen Notizen, die Verse stammten vom „Grabsteine“ der Gräfin Maria „zu Ueberkingen. Es findet sich in dieser Kirche noch ein großer Grabstein vor dem Altar, an welchem aber jetzt nicht die geringste Spur und Inschrift zu entdecken ist.“ Zwar wurde der Gräfin in Überkingen wegen einer Allmendstiftung noch bis ins vorige Jahrhundert gedacht (vgl. Burkhardt, Maria von Bosnien 51), doch ist ihre Beisetzung in der dortigen Pfarrkirche unwahrscheinlich. Plausibler erscheint die Bestattung 1403 in der 1393 zur Pfarrkirche erhobenen Geislinger Marienkirche, auch wenn die Helfensteiner 1396 ihre Residenzstadt Geislingen mit der Herrschaft Helfenstein an Ulm abtreten mußten. Beim Neubau der Stadtkirche 1424 könnte das Grab beseitigt worden sein, zu dessen Erinnerung man dann später die Verse anbrachte. Im 18. Jahrhundert war die Inschrift jedenfalls nicht mehr vorhanden, sonst hätte sie Wollaib in seinem Paradysus Ulmensis sicherlich aufgezeichnet.
  3. Der Freitag nach St. Marci fiel 1403 auf den 27. April. Die zusätzliche Datumsangabe nach dem römischen Kalender setzt hier, wie öfters zu beobachten, versehentlich zu dem Kalendendatum den Monat, dem es nach unserer Rechnung angehört, anstatt den folgenden.
  4. In Gold ein roter Schrägbalken („strich“); Helmzier: über einer Helmkrone ein Pfauenstoß („pfaenschwantz“).
  5. Vgl. Burkhardt, Ein Gang durch die Geschichte der Grafen von Helfenstein, in: GMGU 12 (1949) 5–33, hier: 5f. und oben Anm. 2.
  6. Vgl. Anm. 2.
  7. Zur Genealogie vgl. Burkhardt, Maria von Bosnien passim, bes. 35–38; Schuhholz (wie unten).
  8. Die Burg fiel 1403 an Ulm und wurde 1525 im Bauernkrieg zerstört, vgl. LdBW III 319.

Nachweise

  1. StAL, B 95 Bü 12.
  2. Kerler 86f. Anm.* – Burkhardt, Maria von Bosnien 51f. (nach Kerler).
  3. Albert Schuhholz, Ulrich (X.) und seine Gemahlin Maria von Bosnien, in: Die Grafen von Helfenstein 27–42, hier: 41 (m. Facs. der Ludwigsburger Kopie).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 359† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0035900.