Die Inschriften des Landkreises Göppingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 41: Göppingen (1996)
Nr. 352 Göppingen-Jebenhausen, alte ev. Pfarrkirche (Jüdisches Museum) 1597
Beschreibung
Epitaph der Dorothea von Liebenstein geborene von Gemmingen. Ursprünglich an der Südwand hinter dem Aufgang zur Empore, wo eine graue Umrahmung, die der Kontur des Epitaphs folgte, auf die Wand gemalt war1; 1906 an den jetzigen Standort an der Nordwand versetzt, wobei das Grabmal im unteren Bereich verändert wurde. Monumentale hölzerne, bemalte Ädikula. Im zweistöckigen Aufsatz oben Brustbild Gottvaters in ovalem Rahmen unter gesprengtem Giebel, darunter in zwei Gemälden die Porträts der Verstorbenen und ihres Ehemannes, auf den Seitenstücken zwei gemalte wappenhaltende Putten; im Architrav zweispaltige Versinschrift (A), gelb auf schwarzem Schriftgrund. Im Hauptfeld Tafelgemälde der Darstellung Christi im Tempel, gerahmt von zwei Pilasternischen. Auf den je zwei Pilastern links und rechts des Gemäldes sind untereinander jeweils vier Kartuschen mit aufgemalten Vollwappen und Beischriften angebracht. Im predellaartigen Sockel eine Tafel mit Darstellung der in einem Kirchenraum vor dem Altar knienden und betenden Familie: links der Vater mit zwei Söhnen, rechts die Mutter mit einer Tochter, die Eltern jeweils mit Altersangabe, die Kinder mit Namenbeischriften (B); die Frau und die Kleinkinder sind durch vor ihnen abgelegte Totenschädel als verstorben gekennzeichnet. Zu beiden Seiten der Tafel je zwei weitere Wappenkartuschen mit Beischriften. Im Untersatz eine querovale Schrifttafel in Rollwerkrahmen: auf schwarzem Schriftgrund mit gelber Farbe aufgemalte 3zeilige Sterbeinschrift (C) in nach unten kleiner werdendem Schriftgrad, darunter in zwei Spalten nebeneinander zwei Versinschriften, die jeweils als Akro- und Telestichon angeordnet und durch Versalien entsprechend abgesetzt sind (D, E); unten in der Mitte Vanitassymbole. Bei der Versetzung des Epitaphs 1906 wurde die usprünglich weit vorspringende Sockelzone verändert, die dem Kirchengestühl am neuen Standort offenbar im Wege war. Die Anordnung der kleinen Wappenkartuschen wurde dabei, vielleicht aber auch schon bei einer früheren Veränderung des Grabmals, völlig durcheinandergebracht. Zwei Ahnenproben zu je 16 Wappen erfordern einen ursprünglichen Bestand von 32 Kartuschen, von denen jetzt nur mehr 20 vorhanden sind, von denen außerdem vier „zuletzt fehlten“ und daher „nach alten fotografischen Vorlagen nachgebildet und wieder angebracht“ wurden2. Diese vier ersetzten Wappen lassen sich aufgrund der unbeholfenen Schriftausführung und des leicht abweichenden Kartuschenumrisses leicht ausmachen. Ein weiteres Wappen wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt neu bemalt und weist keine Spuren der ursprünglichen Zeichnung und Beischrift mehr auf3. Die Ahnenproben müssen in vier Spalten zu je acht Wappen angeordnet gewesen sein, vermutlich setzten sich die auf den Pilastern des Hauptgeschosses begonnenen Reihen auf entsprechenden Pilastern in der Sockelzone fort4. Auf der linken Seite des Epitaphs befand sich die Ahnenprobe des Ehemanns, auf der rechten die der Frau. Die acht Wappen der beiden Schwertseiten sind jeweils gekontert, was an der konsequenten Linkswendung der Helme zu erkennen ist. Dadurch und mit Hilfe genealogischer Untersuchungen läßt sich die alte Disposition zwar weitgehend, aber nicht restlos rekonstruieren. Die Wappenbeischriften werden im Folgenden in der Reihenfolge dieses Rekonstruktionsversuchs wiedergegeben, die heutige Anordnung wird, da völlig belanglos, nicht berücksichtigt.
Maße: H. 597, B. 298, Bu. ca. 3,0 (A), 0,7–0,8 (B), 3,0–2,5 (C), 3,0 (D, E), 0,9–1,2 cm (Wappenbeischriften).
Schriftart(en): Fraktur, ein einzelnes Wort in humanistisches Minuskel (C).
- A
Hoffnung ist aller thugendt zier. /Vff hoffnung werdn erhalten wir. //Die hoffnung spricht: vertrauwe Gott. /Wer hoft vff Gott würdt nicht zu spott.
- B
Hanss Endriss. // Philips Raban. // Seines alters. 36 // Anna Elisabeth. // ihres alters. 33
- C
Der Edlen vnd Tugendtreichen Frawen ·a) Dorothea von Liebenstein · geborne / von Gemmingen · des Edlen vnd Vesten Rabani von Liebenstein · Fürstlichen Würtenbergisch=/=en Rahts vnd Hoffgerichts Assessorisb), ehelicher Gemählin · so den 10. Septemb(ris) Anno 1597. Jhres alters 33. seliglich abgestorben ·c)
- D
D er Zehendt tag Herbstmonats kla GO hnmacht vnd wehe bracht in die eh ER ABANJ Stam hertzlaid beka MO GOTT vernim mein letste sti MT röst ihn ohn müh ·a) welcher allhi IH ertz Liebenstein mein Trost allei NE wigem ding JCH ietzt nach rin GA uff Gott ich sehe · nichts acht ich meh EA m vfferstehn wölln wir vns seh N
- E
R affst also schnell mein liebe See LA ch Gott! wie frü hast gnommen JB eidn Todten bleib du Edler Lei BA ls lang bleibt hie Trübsal vnnd Mi EN ach disem dann würst vfferstah NV ons Erdreichs schoss ins Him(m)els schlo SS o dann ist gut was Gotts will thu TV or Ach vnnd wehe · gib dass ich bsteh EO Gott! gantz freÿ mit Kindern dre JN imb mich in dein Him(m)lisch Gemei N
Versmaß: Deutsche Reimverse (A, D, E), Akro- und Telestichon (D, E).
Liebenstein, Gemmingen; | |
Wappenbeischriften in Fraktur, heraldisch rechts: | |
[Liebenstein] | [Gemmingen]5) |
[Neühaw.]6) | Neÿperg. |
[Ahelfingen] | [Adelsheim.]7) |
Ellerbach.8) | Labing.9) |
[Wilch von Alzey] | [Wolfskehlen (Rosenstamm)] |
Löwenstein.10) | Marschalck von ÿben.11) |
Ehrnberg. | [Gemmingen] |
Horneck.12) | Dalberg.13) |
Wappenbeischriften in Fraktur, heraldisch links: | |
[Gemmingen] | [Neipperg] |
Landtschadt.14) | Massenbach. |
[Kämmerer von Worms gen. von Dalberg] | [Sachsenheim] |
Greÿffenklaw. | Lierheimb.15) |
Marschalckh.16) | Hornstain.17) |
[Herbelstatt.]18) | RatzenRiedt.19) |
[Landschad von Steinach ] | [Stuben]20) |
[Helmstatt]21) | [unbekannt]22) |
Textkritischer Apparat
- Als Interpunktionszeichen ein kleiner Schrägstrich in halber Zeilenhöhe, so auch im Folgenden.
- Assessoris in humanistischer Minuskel.
- Rankenornament als Schlußzeichen.
Anmerkungen
- Vgl. Jüdisches Museum Göppingen 122.
- Ebd. 124.
- Vgl. unten Anm. 22.
- Da der Sockel sicherlich auch in seiner früheren Form nicht wesentlich höher war als jetzt, konnten auf ihm nur drei Wappen untereinander Platz finden, so daß auf den Pilastern des Hauptgeschosses unter Einbeziehung der Konsolen jeweils fünf statt jetzt vier Kartuschen angebracht gewesen sein müssen.
- Linie Gemmingen zu Bürg und Treschklingen, zum Stemma vgl. Stocker 168, 171, 175, 177.
- Wappen Massenbach-Neu(en)haus, vermutlich versehentlich statt Neuhausen, das genealogisch richtig wäre. Die Kartusche ist eine der vier Kopien (vgl. oben), die falsche Helmstellung, die nur hier zu beobachten ist, dürfte eine Folge ungenauer Umsetzung der Vorlage sein.
- Kopie; Helmzier und Beischrift unbeholfen ausgeführt.
- Die Ahnenkombination Konrad von Liebenstein/Irmel von Neuhausen und Konrad von Ahelfingen/N. von Ellerbach bei Schilling von Cannstadt, Geschlechts Beschreibung 367; vgl. auch nr. 240 †.
- Lauingen: in Rot 3 (2:1) silberne Schildchen; Helmzier: roter Schwanenrumpf. Zum Stemma vgl. Biedermann, Ottenwald, tab. CLXXXVI.
- Löwenstein zu Randeck. Zu Johann Konrad Wilch von Alzey und Gutta von Löwenstein vgl. Humbracht 87, Biedermann, Ottenwald, tab. CCCLXVII, Möller, Stammtaf. I Taf. 30.
- Marschall von Waldeck zu Iben; zum Stemma vgl. Möller, Stammtaf. I Taf. 41f.
- Horneck von Hornburg; zum Stemma vgl. Humbracht 104, Kindler von Knobloch II 114; ferner Biedermann, Ottenwald,tab. CCCLXXV.
- Kämmerer von Worms gen. von Dalberg. Zum Stemma vgl. Stocker 54f.
- Landschad von Steinach. Zum Stemma vgl. Irschlinger Taf. 2.
- Zur Heiratsverbindung Sachsenheim-Lierheim vgl. WLB, Cod. hist. F 100 Nr. 36, gegen Stammtaf. d. mediatisierten Häuser 11 Taf. 3, wo als Mutter Katharinas von Sachsenheim eine von Ratzenried aufgeführt ist.
- Marschall von Ostheim.
- Hornstein gen. von Hertenstein.
- Herbilstadt. Kopie: Beischrift, Helm und Helmzier unbeholfen ausgeführt. Zum Stemma vgl. Biedermann, Rhön und Werra, tab. CCCXL.
- Humpis von Ratzenried. Zum Stemma vgl. Kindler von Knobloch II 168.
- Magdalena von Hornstein, die Großmutter Dorotheas von Gemmingen, war die Tochter Jobsts von Hornstein zu Goeffingen und der Dorothea von Stuben, vgl. Kindler von Knobloch II 124f. und Stammtaf. d. mediatisierten Häuser 11 Taf. 3. Möglicherweise ist das – nur mehr in Kopie vorhandene – Wappen Stiebar von Buttenheim (Beischrift: Stÿber) fälschlich anstelle des Stubenschen eingefügt worden, die Stiebar lassen sich jedenfalls in der Ahnenprobe sonst nicht unterbringen.
- Ahnenpaar Bligger XIV. Landschad von Steinach und Mia von Helmstatt, vgl. Irschlinger Taf. 2 u. Möller, Stammtaf. I Taf. 36 gegen Biedermann, Ottenwald, tab. CCCLXV (Hans Landschad/Margarethe Waldbott von Bassenheim).
- Die Mutter der Dorothea von Stuben konnte ich nicht ermitteln, der Vater war wohl Eberhard von Stuben, vgl. Alberti 783. Nicht unterzubringen ist die erhaltene Wappenkartusche mit dem Wappen Boyneburg/Bemmelberg mit der Beischrift: Böm(m)elberg. Wappen und Inschrift sind aber eindeutig erst nachträglich zu unbekanntem Zeitpunkt aufgemalt worden, nachdem die ursprüngliche Bemalung entfernt worden war. Die Schrift ist deutlich größer als auf allen übrigen Kartuschen, die fast ovale Schildform unterscheidet sich deutlich von den sonst einheitlich ausgeführten Renaissanceschilden, und außerdem sitzt der Helm als einziger frontal auf dem Schild auf. Da von der originalen Fassung nichts mehr zu erkennen ist, läßt sich dieses Wappen nicht mehr in die Ahnenproben einreihen.
- Vgl. DI 12 (Heidelberg) nr. 314 (1569): Akro- und Mesostichon; 459 (1590): Akro- und Telestichon; ferner das unsägliche, kaum einen sinnvollen Text ergebende Akrostichon DI 34 (Bad Kreuznach) nr. 420 (1570) für Margarethe von Schwarzenberg.
- Vgl. die Epitaphien der Kinder nrr. 333, 338 und 348.
- Crusius, Diarium I 387 berichtet zum 31. August 1597: „Pestis saevit Göppingae“; vgl. auch Kirschmer, Geschichte der Stadt Göppingen I 122; ferner die hs. Chronik der Familie von Liebenstein (Freiherrlich von Gemmingen-Hornberg’sches Archiv Burg Hornberg/Neckarzimmern, S 43) fol. 45v: „zue Jebenhausen, dahin sie den sterbendt von Göppingen geflohen gwest, seeliglich verschiden…“.
Nachweise
- Kdm Göppingen 115f. (nur Teile von Inschr. C; Abb.).
- Fleischhauer, Renaissance 344 (nur erwähnt).
- Jüdisches Museum Göppingen 121–124 (Beschreibung ohne Wortlaut der Inschriften; Abb.).
Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 352 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0035204.
Kommentar
Bemerkenswert ist die äußerst sorgfältige und regelmäßige Ausführung der Frakturinschriften (A) und (C) bis (E). Für die reich mit Kontraschleifen, senkrecht eingestellten Zierstrichen und eingerollten Zierlinien ausgeschmückten Versalien wurden wahrscheinlich Musterblätter verwendet, deren Entwürfe gekonnt umgesetzt und variiert sind. Im Bemühen, zwei Klagegedichte in Form von binnengereimten Akro- und Telestichen zu bilden, die die Namen der Verstorbenen und ihres Mannes ergeben, sind recht unzusammenhängende Verse entstanden23.
Dorothea von Gemmingen war eine Tochter Dietrichs von Gemmingen zu Gemmingen († 1587) und der Anna Katharina von Neipperg. Mit Raban von Liebenstein hatte sie aus achtjähriger Ehe drei Kinder, die auf dem Epitaph abgebildet sind und die alle noch vor ihr gestorben sind24. Dorotheas Grabplatte ist ebenfalls erhalten (nr. 351). Sie ist darauf in derselben Tracht dargestellt wie auf dem gemalten Porträt im Aufsatz des Epitaphs. Möglicherweise wurde Dorothea von Liebenstein ein Opfer der Pest, die 1597 in Göppingen grassierte und dort die Bevölkerung auf weniger als die Hälfte dezimierte25.