Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 334† Kuchen, ev. Pfarrkirche (St. Jakob) um 1580/90

Beschreibung

Wandinschriften, außen ringsum an den Wänden der Kirche aufgemalt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts nur noch teilweise lesbar. Wollaib gibt nur die Inschriften wieder, die „noch umb etwas erkantlich seyn“. Aus der Beschreibung geht nur in wenigen Fällen der genaue Standort eindeutig hervor. An der Nordseite über dem Portal untereinander Bibelspruch, Nameninschrift und Reimspruch (A); am Treppenaufgang zur Empore alt- und neutestamentliche Ermahnungen zum Gebet, davon nur vier überliefert (B), „mehreres ist nicht mehr zu lesen“; zwischen zwei Fenstern neben der Tür (Hauptportal oder Tür zur Empore?) ein Distichon (C); Gebetsermahnungen aus Kirchenväterschriften ohne Standortangabe (D), „die übrig Dicta seyn zum Theil unvolkommen, zum Theil gar nicht mehr zu lesen“; neben einem Fenster an der Ecke (Nordwestecke?) gereimte Mahnung an den Tod (E).

Wortlaut nach Wollaib.

  1. A

    Wendelinus Kramer Wallerthum PfarrerLuc. 11.1)Jn dem Tempel und an dem OrtSoltu hören fleißig Gottes WortUnd daßelb im Hertzen bewahrSo komst du in die Himlisch ScharEsa. 53. und Matth. 21.2) / Mein Hauß ist ein Bethauß allen.

  2. B

    Esa. 55. Suchet den Herren weil Er zu finden ruffet Jhn an weil Er nahe ist3).

    Jer. 29. Und ihr werdet mich anruffen und hingehen und mich bitten und Jch will eüch erhören spricht der Herr4).

    David. Psalm. 18. Wenn mir angst ist so ruffe ich den Herren an und schrey zu meinem Gott so erhört er meine Stimm von seinem Tempel und mein Geschrey kompt für ihn zu seinen Ohren5)

    Syr. 11. v. 11. Sehet an die Exempel der Alten und mercket sie wer ist iemals zu schanden worden der auff Jhn gehoffet hat? Wer ist iemals verlaßen der in der Furcht Gottes geblieben ist? Oder wer ist iemals von ihm verschmähet der Jhn angeruffen hat6)

  3. C

    Ut tua pertingat penetretq(ue) oratio coelumCorde sit ex puro sit brevis atq(ue) frequens7)

  4. D

    AugustinusBeten heist daß Hertz Sinn und Gedancken von der Erden erheben zu Gott in Him(m)el und hertzlich seüffzen nach den himlischen Gütern8)

    TertullianusDaß Gebet kommet auß dem Gewißen und Hertzen. Wan(n) das Gewißen nicht rein ist so ist auch daß Gebet unrein. Der Geist führet das Gebet hinauff in Him(m)el; wann sich der Geist deß Menschen selbst schuldig weist für Gott so ist auch das Gebet zweiffelhafftig und darff nicht fröhlich Gott unter Augen kom(m)en9)

    ChrysostomusChristus und Paulus lehren daß wir mit wenig und kurtzen Worten aber offt und vielmal beten sollen, dann wann wir Lang und mit vilen Worten beten wendet sich unser Gemüht von der Andacht und der Teüffel nimpt auch Ursach unser Hertz und Sinn von der Andacht auff ander Ding und Gedancken zu wenden, wenn wir aber Offt und mit wenig Worten beten so können wir alß desto Andächtiger und mit größerm Ernst beten10)

    S. AmbrosiusOfft und viel beten ist ein Werck daß Gott gefällig ist und dieweil David sagt der doch mit vielen Geschäfften der Regierung beladen war: Jch ruffe dich an Herr und bete zu dir alle tag 7 mal11); wie vielmehr will solches uns gebühren zu welchen Christus spricht: Wachet und betet daß ihr nicht in Versuchung fallet12). Darumb sollen wir unser Gebet offt und vielmal mit Dancksagung laßen für Gott kommen, wir stehen auff, wandlen, essen oder gehen zu Bett, und sonderlich sollen wir mit dem Gebet einschlaffen damit uns der Schlaff mehr mit geistlichen alß weltlichen Gedancken überfallen möge13)

  5. E

    Mit Todes Gedancken geh ich umbDann er sich stets treht umb mich rumbUnd trit mir noch gar auff die FüßAll Stund ich seiner warten mußDen Bogen hat er schon gespantUnd hat den Pfeil in seiner Hand

Übersetzung:

Damit dein Gebet den Himmel erreicht und Aufnahme findet, möge es aus reinem Herzen kommen, kurz sein und häufig.

Versmaß: Deutsche Reimverse (A, E), elegisches Distichon (C).

Kommentar

Die Anbringung der Inschriften geht sicherlich auf den Pfarrer Wendelin Kramer Wallerthum zurück, der sich selbst über dem Hauptportal nennt und der auch die Inschriften im Kircheninnern um 1586 (nr. 321 †) aufgemalt und die Reiminschriften auf den Grabsteinen seiner Söhne 1580/81 (nr. 311 †) verfaßt hat. – Zum „richtigen Gebet“ vgl. nr. 208. Im vorliegenden Fall richten sich die Anweisungen freilich nicht nur an die Priester, sondern an alle Gläubigen. Daß sich der Verfasser der Inschriften intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, bezeugen die von ihm herangezogenen, nicht gerade einschlägigen Kirchenväterzitate.

Anmerkungen

  1. Wohl auf Lk 11, 28 bezogen.
  2. Richtig: Jes 56, 7; Mt 21, 13.
  3. Jes 55, 6.
  4. Jer 29, 12.
  5. Ps 18, 7.
  6. Sir 2, 10–12.
  7. Dasselbe Distichon (precatio statt oratio) anderweitig überliefert, vgl. Walther, Proverbia 5, 557 nr. 32607.
  8. Zitat nicht identifiziert.
  9. Offenbar nach Tertullian, De oratione XII–XIII, ed. G. F. Diercks, in: CCL 1, Turnholti 1954, 264.
  10. Nach Johannes Chrysostomus, in epistulam ad Colossenses somm., homilia X, 2, ed. Migne PG 62 (1860), Sp. 367f.
  11. Ps 119, 164.
  12. Mt 26, 41.
  13. Nach Ambrosius, De virginibus III, 18–19, ed. Migne PL 16, Sp. 237; der erste Satz fast gleichlautend auch bei Ambr. in Luc. VII, 87–88 (cap. 11, 5), ed. Migne PL 15, Sp. 1809.

Nachweise

  1. Wollaib, Par. Ulm. 429f.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 334† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0033406.