Die Inschriften des Landkreises Göppingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 41: Göppingen (1996)
Nr. 239† Adelberg-Kloster, Klosterkirche (?) (1529–38?)
Beschreibung
Grabgedicht für Abt Leonhard Dürr von Adelberg († 1538), verfaßt von einem Unbekannten, offenbar unter Benutzung von Versen aus der Feder Heinrich Bebels († 1518). Inschriftliche Umsetzung nicht gesichert1.
Wortlaut nach Rüttels Kollektaneen.
Epitaphium Reuerendi Jn christo patris et Viri Jn Vtroque Jure Doctoris suo tempore Doctissimi atque Disertissimi Visitatoris atque episcopi ordinis per totam alemanniam atque bauariam Leonhartj Dür abbatis huius adelbergensis Monasterij
Aduena respicias hoc paruum quaeso sepulcrumQuisquis ad hoc templum dirigis ipse pedesCui leonhartus erat nomen Venerabilis abbasEt Dür cognomen hac tumulatur humoHuic natale solum fuerat Zell nomine dictaAichelbergensis paruula Villa soliArtibus Jngenuis miro Jnuigilauit amoreJam puer et sophiae tam studiosus eratVt tenerae pubi perdocta tubinga magistrumpraeficeret raro contigit hoc monachisPostmodo caesareas leges decretaque patrumCondidicit doctor Vt foret eximiusMox abbas factus neglectae relligionisRite reformandae strenuus auctor eratOrdinis hunc moderatorem prouincia sensitVisitat abbates et pater hic aliosNec minus ille domus quaecumque negocia tractatVtiliter Vigilans prouidus atque paterJura monasterij solitus defendere solusJn tantum Valuit consilio eloquioSaepius electus duras componere LitesArbiter orator crebro ducisque fuitSaepius et causas deciderat ille profundeQuas demandauit praesul ab Vrbe sibiJlle nouas tot structuras et tot monumentaCondidit et post se tempus in omne deditEt Locupletauit tot censibus atque tributisAtque reformauit moribus ille pijsInsuper adiunxit Villas multo aere coemptasIngens frumentum liquerat ille suisAlter vt ex merito possit fundator haberjSis rogo grata memor posteritasque ValeHenricus Bebelius Justingensis poeta Laureatus faciebat
Übersetzung:
Grabgedicht des ehrwürdigen Vaters in Christus und Mannes, Doktors beider Rechte, des zu seiner Zeit Gelehrtesten und Beredtesten, Visitators und Aufsehers des Ordens für ganz Schwaben und Bayern, Leonhard Dürrs, Abts dieses Adelberger Klosters. – Fremder, betrachte bitte dieses kleine Grabmal, der du deine Schritte zu dieser Kirche lenkst. Der ehrwürdige Abt, der Leonhard heißt, mit Zunamen Dürr, wird von dieser Erde bedeckt. Sein Geburtsort war ein kleines Dorf im Aichelberger Gebiet namens Zell gewesen. Eine wunderbare Liebe brachte er schon als Knabe den freien Künsten entegegen. Und er war so wißbegierig nach Weisheit, so daß das hochgelehrte Tübingen ihm als Magister die Aufsicht über die jungen Leute übertrug. Selten widerfährt dies Mönchen. In der Folgezeit hat er sich durch Lernen die kaiserlichen Gesetze und die Dekrete der Väter angeeignet, so daß er ein hervorragender Doktor wurde. Bald wurde er Abt. Tatkräftig ging er daran, die vernachlässigten religiösen Bräuche auf rechte Weise wiederherzustellen. Die Ordensprovinz hat ihn kennengelernt als mäßigenden Lenker. Und andere Äbte hat er als Vater visitiert. Ebenso kümmert er sich um alle möglichen Angelegenheiten des Hauses, auf den Vorteil bedacht, ein unermüdlich tätiger und fürsorgender Vater. Er war gewohnt, die Rechte des Klosters ganz allein zu verteidigen. So sehr hatte er Einfluß durch sein überlegtes Vorgehen und seine Beredsamkeit: Recht häufig wurde er auserwählt, als Schiedsrichter langandauernde Streitigkeiten zu schlichten. Oft war er Gesandter des Herzogs. Öfter hatte er Rechtsfälle, die ihm der Papst in Rom übertragen hat, nach eingehender Prüfung zum Abschluß gebracht. So viele neue Gebäude und so viele Denkmäler hat er errichtet und für alle Zeit seiner Nachwelt gegeben, sie reichlich ausgestattet mit Zinsen und Abgaben und erneuert nach frommer Sitte. Darüber hinaus hat er teuer erworbene Dörfer hinzugefügt, den Seinen hatte er eine ungeheuere Menge Getreide hinterlassen, so daß er mit Fug und Recht ein zweiter Gründer genannt werden kann. Gedenk bitte seiner in Dankbarkeit, Nachwelt! Leb wohl! – Heinrich Bebel aus Justingen, gekrönter Dichter, dichtete dies.
Versmaß: Elegische Distichen.
Anmerkungen
- Vgl. Michael Klein (Handschriften der Sammlung J1, 186): „Dürr starb 1538, kann also von Bebel (1472–1518) kein Epitaph erhalten haben; wahrscheinlich wurden Gedichtteile von Bebel … durch einen Unbekannten verwendet“.
- Auffällig ist die Nichterwähnung der Klosterzerstörung im Bauernkrieg; ein großer Teil der Verse könnte also tatsächlich schon vor diesem Ereignis entstanden und nachträglich nur mehr geringfügig erweitert worden sein. Halbey 94ff. und nach ihm auch Deutsch, Adelberger Bildhauerwerkstatt 104, sehen die Verse als Auftragsarbeit Bebels für Dürr an, der ab 1517/18 begonnen habe, sich um sein Grabmal zu kümmern. Die Planung des – nicht erhaltenen – Grabdenkmals sei wohl Anlaß gewesen, auch für Dürrs Amtsvorgänger repräsentative Figurengrabmäler zu errichten; vgl. etwa nr. 209. Zu Heinrich Bebel vgl. zuletzt: Dieter Mertens, „Bebelius … patriam Sueviam … restituit“. Der poeta laureatus zwischen Reich und Territorium, in: ZWLG 42 (1983) 145–173; Klaus Graf, Heinrich Bebel, in: Deutsche Dichter der frühen Neuzeit (1450–1600). Ihr Leben und Werk, hg. v. Stephan Füssel, Berlin 1993, 281–295.
- Vgl. Hummel, Adelberger Kunst 162.
Nachweise
- Friedrich Rüttel, Kollektaneen (HStAS, J1 Nr. 135) fol. 162r.
- Deutsch, Adelberger Bildhauerwerkstatt 104 (Verse 1–4), 118 (letzte 8 Verse).
Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 239† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0023903.
Kommentar
Die Anspielung auf das ingens frumentum, das Abt Leonhard seinem Konvent hinterlassen habe, zielt vermutlich auf den Bau des großen Adelberger Kornhauses in Göppingen von 1514 (vgl. nr. 199). Stammen Teile des Grabgedichts tatsächlich von Bebel, wird man diese zwischen 1514 und 1518 ansetzen müssen2. Die Parallelen im Formular der Verse 5 und 6 zu der Bauinschrift am Kornhaus könnten ein Hinweis auf gleiche Autorenschaft sein. Insgesamt kann das Gedicht in seiner überlieferten Fassung aber frühestens 1529 entstanden sein, denn erst in diesem Jahr wurde Dürr zum Visitator seines Ordens in Schwaben ernannt. Für eine Abfassung noch zu Lebzeiten des Abts (wohl noch vor Einführung der Reformation 1535?) könnte das Fehlen des Todesdatums sprechen.
Abt Leonhard Dürr stammte wie sein Vorgänger Berthold Dürr aus Zell unter Aichelberg und war mit diesem – darauf deutet nicht zuletzt die Wappengleichheit hin – eng verwandt. Als Adelberger Mönch wurde er 1480 zum Studium nach Tübingen geschickt, den Doktorgrad erwarb er an der Universität Ferrara3. Unter seinem Abbatiat (ab 1501) konnte sich das Kloster Adelberg trotz der Plünderungen während des Aufstands des „Armen Konrad“ 1514 und der schwerwiegenden Zerstörungen des Bauernkriegs durch seine gute Wirtschaftsführung leidlich halten, sogar eine eigene Bildhauerwerkstatt war zeitweilig in Adelberg tätig. Nach der Aufhebung des Klosters 1535 zog sich Dürr mit seinem verbliebenen Rest-Konvent in das Mutterkloster Roggenburg zurück. 1538 ist er gestorben.