Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 208† Geislingen an der Steige, ev. Stadtkirche (U. L. Frau) 1518

Beschreibung

Spruchtafel mit Verhaltensmaßregeln für Priester. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch in der Sakristei. Schrift „altfränckische Buchstaben“.

Wortlaut nach Wollaib.

  1. Hört merckt und verstond dabeywie ein hailige stät ist die Sacristeydarinn allweg verordnet istviel Zierd unsers Herren Jesu Christviel Hailiger werck thät man darinn vollfierenAlß beichten betten gut Betrachtung contemplirenVon den Priestern die wellent lesen Meßdarumb ein yeglicher nicht vergeßdaß er nit thua) darwider strebenMit einem unzimlichen LebenMit reden singen oder mit vnruvon dienenb) die nit gehörend dazuwas man aber da nottürfftigs reden willdaß soll beschehen mit wenig worten und stillCui libet orare contemplari atque studereSit surdus cecus sitque sereno animoSilentium mater est deuocionis contemplationis ac studijMors tua mors Christi fraus mundi gloria celiEt dolor inferni sunt meditanda tibi. 1518

Übersetzung:

Wem es beliebt zu beten, sich innerer Betrachtung zu widmen und (nach Erkenntnis) zu streben, der möge seine Ohren und Augen verschließen und heiteren Herzens sein. Schweigen ist die Mutter der Andacht, der geistigen Betrachtung und des Eifers. Über deinen Tod, den Tod Christi, die Bosheit der Welt, die Herrlichkeit des Himmels und die Höllenpein mußt du nachdenken.

Versmaß: Deutsche Reimverse; 2 elegische Distichen.

Kommentar

Zwischen den beiden Distichen ist ein ebenfalls lateinischer Sinnspruch eingeschoben. Im ersten Hexameter findet sich productio ob caesuram vor der Penthemimeres. Das zweite Distichon ist auch anderweitig überliefert, es ist in Handschriften seit dem 13. Jahrhundert belegt1. Eine Tafel mit Mahnversen ähnlichen Inhalts, aber durchweg in lateinischer Sprache, befand sich in der Schorndorfer Stadtkirche2. Diese und weitere vergleichbare, offenbar weit verbreitete Inschriften sind ein Zeugnis für die sich vor der Reformation verstärkende allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Lebenswandel der Geistlichen und speziell mit deren unkorrektem Verhalten während des Gottesdienstes. Die Anfertigung der Inschriften ging vermutlich in der Regel auf reformwillige Kleriker zurück3; im vorliegenden Fall wird der damalige Geislinger Pfarrer Georg Oßwaldt (vgl. nr. 196) der Verfasser gewesen sein.

Allgemeine, nicht nur an die Geistlichen gerichtete Anweisungen zum richtigen Beten, wie sie in der lateinischen Inschrift gegeben werden, lassen sich auch in Verbindung mit bildlichen Darstellungen in inschriftlicher Ausführung nachweisen. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts besonders beliebt und durch die Vermittlung von Holzschnitten weit verbreitet war die Veranschaulichung des guten und des schlechten Gebets4.

Textkritischer Apparat

  1. thie Wollaib.
  2. Statt dingen?

Anmerkungen

  1. Vgl. Walther, Initia carminum2 577 nr. 11275.
  2. DI 37 (Rems-Murr-Kreis) nr. 83
  3. Auf die Voraussetzungen, die einschlägigen Liturgikerschriften des Hochmittelalters und ihre spätmittelalterliche Kommentierung geht Sebastian Scholz im Zusammenhang mit zwei Mahninschriften in Johannisberg und Kiedrich ausführlicher ein, vgl. DI Rheingau-Taunus-Kreis (im Druck) nrr. 318, 315 †.
  4. Vgl. Robert Wildhaber, Das gute und das schlechte Gebet. Ein Beitrag zum Thema der Mahnbilder, in: Europäische Kulturverflechtung im Bereich der volkstümlichen Überlieferung. FS für Bruno Schier (Veröff. d. Inst. für mitteleurop. Volksforschung an der Philipps-Univ. Marburg-Lahn 5), Göttingen 1967, 63–72; Wandmalerei in der St.-Bartholomäus-Kapelle in Einbeck (um 1480): DI 42 (Einbeck) nr. 31; Beispiele ohne Inschriften: Leopold Kretzenbacher, Drei altösterreichische Mahnbild-Zeugnisse pastoral gelenkter Volksfrömmigkeit, in: Zs. d. Hist. Vereines für Steiermark 84 (1993) 127–139. Vgl. allgemein zuletzt Hartmut Boockmann, Belehrung durch Bilder. Ein unbekannter Typus spätmittelalterlicher Tafelbilder, in: Zs. für Kunstgeschichte 57 (1994) 1–22, bes. 18f. Für wertvolle Hinweise danke ich Frau Dr. Christine Wulf, Göttingen, und Herrn Dr. Sebastian Scholz, Mainz.

Nachweise

  1. Wollaib, Par. Ulm. 391f.
  2. Klemm, Stadtkirche. Vortrag 15.
  3. Burkhardt, Geschichte der Stadt Geislingen I 147.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 208† (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0020801.