Die Inschriften des Landkreises Göppingen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 41: Göppingen (1996)
Nr. 150 Drackenstein-Unterdrackenstein, kath. Pfarrkirche St. Michael (1494–99)
Beschreibung
Epitaph des Ulrich von Westerstetten. Innen an der Chor-Nordwand. Fast vollrunde Figuren eines Ehepaares, der Mann in Ritterrüstung und Schallern auf der heraldisch linken Seite, beide betend mit Rosenkranz und auf einem Löwen bzw. Hund stehend; die Beine der beiden Figuren sind weitgehend verdeckt durch drei große Vollwappen, die beiden (heraldisch) rechten linksgewendet; als Hintergrund ein Brokatvorhang. Die Sterbeinschrift (A) beginnt auf dem linken Rand, setzt sich in einem vielfach gewundenen und verschlungenen Schriftband, das um die Köpfe des Paares herumgelegt ist, fort und endet auf dem rechten Rand; oben in den beiden Ecken und in der Mitte drei kleine Ahnenwappenschilde, die das Schriftband stellenweise überdecken, mit darüber auf dem Rand angebrachten Beischriften (B). Roter Sandstein. Der vorgeritzte Buchstabenraster ist noch deutlich erkennbar.
Maße: H. 246, B. 110, Bu. 5,5 (A), 3,9 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A
anno · do(mi)ni · m° · cccc° ·〈 . . ./// . . . .〉a) / · starb // der / edel · vest · vnd // stren//g · / her // vlrich / vo(n) / · weste///rstetten · // riter · de(m) · got · gnedig · sy ·
- B
· mvter ·ir mvtersin · // mvter
Marschall von Pappenheim, Wernau, Westerstetten; Ellerbach1, Speth, Westernach. |
Textkritischer Apparat
- Drei Schrägstriche kennzeichnen hier ausnahmsweise den Wechsel vom Rand auf das Schriftband und zurück, während doppelte Schrägstriche die Unterbrechung der Umschrift durch figürliche Darstellungen, einfache Striche Knicke des Schriftbands anzeigen.
Anmerkungen
- In Kdm Geislingen 106 fälschlich: „Westerstetten (Vater)“.
- Vgl. Pfeilsticker § 1135, 2211.
- Gotik an Fils und Lauter 149.
- So jedenfalls Bucelinus II, Stammtaf. Westerstetten, der allerdings Ulrichs gleichnamigen Vater und Margaretas Mann als Obervogt zu Blaubeuren bezeichnet, also offensichtlich unzuverlässige Quellen benutzte.
- Vgl. nr. 119; Jahr der Eheschließung nach Meurer, Flügelaltäre 149.
- Biedermann, Rhön und Werra, tab. CCCCXXVI-CCCCXXXI A.
- Vgl. aber Bucelinus II. Stammtaf. Wernauw: demnach die Eltern vielleicht Heinrich von Wernau, Sohn des Hans, und Margarethe Speth. Dafür spräche die Namensgleichheit von Mutter und Tochter, auch wenn letztere bei Bucelinus nicht aufscheint. Bestätigung dieser Annahme bei Schmelzing und Wernstein 7 (nach nicht näher zitierten Notizen Oswald Gabelkovers in dessen Genealog. Collectaneen).
- Pfeilsticker § 1135.
- Haupt Graf zu Pappenheim. Die frühen Pappenheimer Marschälle vom XII. bis zum XVI. Jahrhundert (Beiträge zur deutschen Familiengeschichte 6), 2 Bde., Leipzig Würzburg 1927; hier: I 85–87, Reg. 1503–1531; II Stammtaf. V. Pappenheim zieht aus den Informationen, die das Drackensteiner Grabmal bietet, unverständlicherweise den falschen Schluß, Sibylla sei eine Tochter Ulrichs von Westerstetten gewesen, die vielleicht mit Mang II. Marschall von Hohenreichen († 1515) verheiratet war; vielmehr war Mang II. Sibyllas Bruder. Der Fehler wurde übernommen in Europ. Stammtaf. NF IV Taf. 64.
- Abb. in Kdm Blaubeuren 35; Baum, Ulmer Plastik um 1500, Taf. 14.
- Gleiche Anordnung freilich auch auf dem Doppelepitaph für Eberhard V. Graf von Kirchberg († 1475) und seine Frau in der Wiblinger Klosterkirche, vgl. Abb. in: Baum, Ulmer Plastik um 1500, Taf. 14. Überlegungen zur Anordnung der Figuren auf Doppelgrabmälern für Ehepaare zuletzt bei Hans Fuhrmann, Ritzinschriften auf den Grabfiguren Ottos zur Lippe und Ermgards von der Mark in der Lemgoer Kirche St. Marien. Ein epigraphischer Befund und seine Folgerungen, in: Architektur, Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 5 (1994) 123–135, bes. 128f. m. Anm. 36f.
Nachweise
- Walcher, Bilder vom Hochaltar 12.
- Kdm Geislingen 105, 111 (Abb.).
- Illig, Geschichte v. Göppingen u. Umgebung II 260.
- Burger, Drackenstein 46.
- Akermann, Kunstwerke im LKr. Göppingen 94f. (Abb.).
- Karl Halbauer, Die spätgotischen Kanzeln in Urach und Weilheim. Zwei Werke des Uracher Meisterkreises, Mag. arb. Stuttgart 1982 (masch.), 90f., Abb. 109.
Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 150 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0015000.
Kommentar
Die Schrift zeichnet sich, selbst auf dem verschlungenen Schriftband, durch große Gleichmäßigkeit aus. Bemerkenswert ist das in den Mittellängenbereich verkürzte t mit niedrig angesetztem Balken. Als Worttrenner dienen einfache Quadrangeln.
Ulrich von Westerstetten war württembergischer Rat und langjähriger Obervogt zu Blaubeuren (bis 1490)2. Er starb 15033, der Nachtrag des Todesjahres unterblieb. Die genealogischen Zusammenhänge, die durch die sechs Wappen auf dem Grabmal angedeutet werden, lassen sich aufgrund der noch unzureichenden Kenntnis der Stammreihen aller aufgeführten Familien nicht befriedigend entschlüsseln. Ulrichs Mutter war wohl Margareta von Westernach4. Seine erste Frau (heir. 1450) war Margarethe von Wernau, die mit ihm zusammen als Stifterin auf dem Drackensteiner Altar abgebildet ist5. Das ihr zugeordnete mütterliche Wappen ist das der Speth. In der bislang ausführlichsten Stammtafel der Wernauer6 läßt sich weder eine Margarethe noch eine Eheverbindung mit den Speth im 1. Viertel des 15. Jahrhunderts nachweisen7. Die Wappenbeischrift ir mvter über dem Spethschen Wappen ließe in Analogie zur Beischrift über dem Westernacher Wappen vermuten, daß das Possessivpronomen auf die figürlich Dargestellte verwiese, während das dritte Wappen mit dem zugehörigen, lediglich mit mvter bezeichneten Ahnenschild die – nicht ins Bild gesetzte – zweite Ehefrau Ulrichs symbolisierte. Dem widerspricht aber zum einen das Fehlen der Sterbeinschrift für die vor 1494 verstorbene erste Frau und zum zweiten die Darstellung einer relativ jungen Frau, was zu der Wernauerin – sie dürfte etwa 70jährig gestorben sein – nicht recht passen will. Vermutlich handelt es sich also um die Figur der zweiten Frau Ulrichs (heir. 1494), der Sibylla geb. Marschallin von (Pappenheim-)Hohenreichen. Sie wird noch 1512 als Witwe Ulrichs urkundlich genannt8. Als ihre Eltern kommen nach Ausweis der Wappen wohl nur der augsburgische Rat Mang I. Marschall von (Pappenheim-)Hohenreichen und Wertingen (urk. 1446–92) und Adelheid von Ellerbach in Frage9.
Die Entstehung des Epitaphs läßt sich zwischen die Jahre 1494 (zweite Eheschließung Ulrichs, die heraldisch bereits berücksichtigt ist) und 1499 (nur vier Hunderter-Zahlzeichen in der für den Nachtrag des Todesjahres vorgesehenen Jahreszahl) eingrenzen. Das Epitaph ist das Werk eines Ulmer Meisters. Zwar nicht in der Architekturrahmung, wohl aber in der Hintergrundgestaltung (Vorhang) sowie in Haltung und Kleidung der beiden Standfiguren kopiert es bis in Details das wohl um 1480 entstandene, sicher von anderer Hand gefertigte Doppelgrabmal für den 1361 verstorbenen Grafen Ulrich von Helfenstein und für seine Mutter Agnes Gräfin von Württemberg im Kloster Blaubeuren (Kapitelsaal)10. Ulrich von Westerstetten kannte dieses Grabmal, dessen Anfertigung und Aufstellung ja in seine Amtszeit als Obervogt in Blaubeuren fiel. Die enge Anlehnung an dieses Vorbild erklärt auch, warum auf dem Drackensteiner Epitaph der Ehemann auf der „falschen“ Seite steht: bei dem Blaubeurer Epitaph gebührt der Mutter der Vorrang vor dem Sohn, der somit auf die heraldisch linke Seite rückt11.