Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 25 Heiningen, ev. Pfarrkirche (St. Michael) 2. H. 14. Jh., 1398

Beschreibung

Wandmalereien al secco. An der Chorbogenwand und an der Nord- und Südwand des Langhauses. 1845 und gegen Ende des 19. Jahrhunderts teilweise freigelegt und wieder übertüncht, 1960–62 aufgedeckt und restauriert. Nur in Fragmenten erhalten, die offenbar verschiedenen Malperioden entstammen. An der Nordwand über der Empore großes Einzelbild mit Darstellung der Kreuzanheftung Christi, darunter eine Datierung in arabischen Ziffern (A). Rechts anschließend und sich an der Ostwand fortsetzend eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. In der Laibung des östlichen Fensters der Nordwand ein Heiliger mit Schriftband, dessen Inschrift völlig verblaßt ist. Weitere Bilder: Martyrium des Johannes Ev., Volto Santo. Über dem Chorbogen Sonne und Mond, beiderseits davon je zwei Brustbilder von Propheten (?) mit Schriftbändern (B); die Köpfe und die oberen Enden der geschwungenen Schriftbänder sind durch die eingezogene Flachdecke verdeckt. Südlich anschließend und sich auf der Langhaus-Südwand fortsetzend, fragmentarischer Passionszyklus in vier Bildreihen. An der Südwand ferner zwei große Bilder des hl. Christophorus und einer Kreuzigungsgruppe. An den Kreuzenden befanden sich ursprünglich Medaillons in Form von spitzverkröpften Vierpässen, darin die Evangelistensymbole mit Schriftbändern. Erhalten ist nur das oberste Medaillon mit dem Adler des Johannes, die Schrift ist völlig vergangen. Über den Kreuzarmen zwei Brustbilder, das linke noch als bärtiger Mann zu identifizieren; beide Figuren halten lange Schriftbänder mit geringen nicht mehr deutbaren Schriftresten (15. Jahrhundert?).

Maße: Zi. 5,5–14,0 (A), Bu. ca. 5 cm (B).

Schriftart(en): Arabische Ziffern, gotische Majuskel.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. A

    1398

  2. B

    [SIC]VT [.] OV[I]S · AD · OC[. . .1)FOD[E]RVNT · [. . .2)[. .]QVI[.]Ạ[. . .[.]S[. . .a)

Kommentar

Nach dem dürftigen Schriftbefund ist eine nähere Datierung der Schriftbandbeschriftungen nicht möglich. Die Darstellungen können zusammen mit der datierten Kreuzanheftung gegen Ende des 14. Jahrhunderts, möglicherweise aber auch schon etwas früher, entstanden sein. Heribert Hummel3 vermutet einen Zusammenhang der Ausmalungen des späten 14. Jahrhunderts mit der Beschädigung der Kirche im Zuge des Schwäbischen Städtekriegs 1388. 1393 war das Patronat der Kirche von Württemberg an das Kloster Adelberg übergegangen, das demnach wohl der Auftraggeber der Wandmalereien war.

Die Buchstaben sind, soweit dies noch zu erkennen ist, sehr regelmäßig ausgeführt. Die Hasten- und Balkenenden weisen starke keilförmige Verbreiterungen auf, die Bogenschwellungen sind deutlich ausgeprägt. C ist abgeschlossen, D hat eine relativ kurze Haste und einen stark aufgeblähten Bogen, A einen kräftigen Deckbalken und einen geknickten Mittelbalken; die Cauda des Q weist nach links. Die Deutung der vier Figuren bereitet Schwierigkeiten. Die beiden identifizierbaren Bibelstellen könnten darauf hinweisen, daß es sich um vier Propheten handelt, denen Worte beigegeben sind, die sich auf den Kreuzestod Christi beziehen lassen. Ikonographisch paßt dazu auch die Abbildung von Sonne und Mond über dem Chorbogenscheitel. Wahrscheinlich korrespondierten die Wandmalereien mit einem unter dem Chorbogen aufgestellten Holz-Kruzifixus. Ob die Figuren rechts die beiden noch fehlenden „großen Propheten“ Ezechiel und Daniel darstellen, läßt sich nicht mehr entscheiden. Thematisch passend wären etwa auch Zacharias (Zach 12, 10) oder David (Psalmenzitat). Vorlagen in der Liturgie, in der exegetischen Literatur oder Parallelen in bildlichen Darstellungen des Mittelaltars, die beide identifizierten Prophetenzitate aufweisen, ließen sich nicht ermitteln4.

Textkritischer Apparat

  1. Das S entweder zweiter oder zweitletzter Buchstabe der Inschrift, je nachdem, ob der Text von oben nach unten oder von unten nach oben gelesen werden muß. Die wenigen Buchstabenfragemente lassen keine Entscheidung zu.

Anmerkungen

  1. Is 53, 7: Sicut ovis ad occisionem ducetur. Dieses Zitat begegnet auch anderweitig inschriftlich in Verbindung mit Prophetendarstellungen – unter anderem auf einem Wandgemälde in Puy-en-Velay und auf dem Mönchengladbacher Tragaltar (Kraus II 287) – und findet in der Passionsliturgie Verwendung, vgl. Gay (wie Anm. 4) 362, 364.
  2. Vermutlich nach Ier 18, 20 (foderunt foveam animae meae) oder Ier 18, 22 (foderunt foveam ut caperent me); vielleicht auch Ps 21, 17: Das Altarkreuz in Karlsruhe aus dem 3. Viertel des 15. Jh., das ebenfalls vier Prophetendarstellungen zeigt, gibt David mit diesem Zitat (foderunt manus meas et pedes meos) wieder: DI 20 (Karlsruhe) nr. 60. Vgl. auch nr. 321 † D.
  3. Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 113.
  4. Vgl. allg. Françoise Gay, Les prophètes du XIe au XIIIe s. (Épigraphie), in: Cahiers de Civilisation Médiévale 30 (1987) 357–367, Pl. V–VIII. Der Kreis der biblischen Gestalten, die im Mittelalter den Propheten zugerechnet wurden, geht über den der vier großen und zwölf kleinen Propheten weit hinaus, vgl. ebd. 359. Für freundliche Hilfestellung danke ich Frau Elisabeth Behle und Herrn Dr. Armin Kohnle, beide Heidelberg.

Nachweise

  1. Die Schriftbandbeschriftungen wurden, obwohl auffällig, bislang noch nicht beachtet, während die übrigen Wandmalereien schon häufig gewürdigt wurden; hier nur eine Auswahl: OAB Göppingen 219.
  2. Kdm Göppingen 100.
  3. Dehio/Piel 208 (dat. „um 1300“).
  4. Akermann, Frühe kirchliche Wandmalereien 57.
  5. Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 113 (m. weitere Lit.).
  6. Ders., Michaelskirche 216–218.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 25 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0002502.