Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 434(†) Geislingen an der Steige, ev. Stadtkirche (U. L. Frau) / Heimatmuseum 1619, 1621

Beschreibung

Retabelaltar aus der Stadtkirche, bis 1892 unter dem Chorbogen. Als Aufsatz große geschnitzte und polychrom gefaßte Kreuzigungsgruppe aus der Zeit um 15001, darunter hölzernes Retabel mit reich verzierter Ädikularahmung; im Architrav gemalte Jahreszahl (A), darunter in aufwendigem Rahmen Abendmahlsgemälde, in der Predellazone in gemalter Schriftkartusche Inschrift (B)2. Auf der Rückseite auf zwei schmalen hochrechteckigen Tafeln die aufgemalten Versinschriften (C) und (D). Die Kreuzigungsgruppe ist derzeit im Chorbogen aufgehängt. Das Retabel, das bis 1976 noch zusammen mit dem Aufsatz an der nördlichen Chorwand über dem Chorgestühl angebracht war, wurde bei der letzten Innenrestaurierung der Kirche zerstört: das Abendmahlsbild wurde gestohlen, von den Holzteilen befindet sich nur noch ein Brett von der Rückwand mit Inschrift (C) im Heimatmuseum, der Rest wurde offenbar beseitigt. Die steinerne Mensa war schon 1892 entfernt worden.

Beschreibung nach Burkhardt3, Wortlaut von (B) nach Wollaib, von (D) nach Wollaib und Klemm.

Maße: H. (Gesamt, ohne Mensa) ca. 550, B. ca. 230, H. (erhaltene Rückwandtafel) 120, B. 51, Bu. 2,1 cm.

Schriftart(en): Fraktur, Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Städt. Museum im Alten Bau, Geislingen a. d. Steige [1/1]

  1. A

    16 19

  2. B

    Alß mit den Klugen rede ich richtet ihr was ich sage? Der gesegnete Kelch welchen ihr segnet ist der nicht die Gemeinschafft deß Bluts Christi, Daß Brodt daß wir brechen ist daß nicht die gemeinschafft deß Leibs Christi, dann ein Brod ists so sind ihrer viel ein Leib die weil wir alle eines Brodts theilhafftig sinda) / 1. CORINTHIOR(UM) 10. CAP(ITEL)4)

  3. C

    Als mann zahlt Sechzehundertb) JahrDer mindern zahl Neunzehen gar,Ward auffgericht der shön altar,wie er da steht vor augen ClarAls damahls vogt hier gwesen istGeorg Valten Lämlen Zu der frist.Jnns sibend jahr versteh es rechtGebohren aus Adelichem geschlechtDesgleichen auch Hanss Ulrich KrafftVonn altem gschlecht, Welcher namhaftAusz Vlm hier pfleger auch warJnn die zweydreiszig gantzer JahrLöblich dem ampt vorgstanden istDeszen er dann gnoszen zur fristDas Remund Krafft sein lieber Sohnann sein Statt Pfleger worden schon,Dem Gott verstand, vnd sein geist gabLöblich z’regieren auch lang leb.So ist damals auch Pfarrer gwesenWie droben ann der Bihn5) zu lesenMagister Daniel Wallser6),Jnns acht vnd vierzigist JahrSo Christi Herd trewlich gewaid,Gott bhuet uns ihn vor allem Laid.Sein helffer ward Johann Löw RothEin gschlechter Z’ ulm aus der StattJnns Zwölffte Jahr auch hier gewesenWie am Täfer drob auch zu lesen.Als der pfarrer abgieng mit Tod,Ann sein statt Johann Leo Roth,Zum pfarrer ist worden er=wöhltals mann Sechzehundert gezehltAuch noch darzu gantz zweintzig JahrZum Pfarrer PRAESENTIERT warZum helffer Michael MüllerEin junger glerter MagisterVonn Herr Doctor Dietrich ConradDen D’ Statt Ulm zum Pfarrer hatt,Gott geb all dreÿen sein genad.Kirchen Pfleger ward damals SteebWilhelmus Zum Schwan ein gastgeb.Sein mitgsell Michell autenried,Als er des ampts ward worden müd.Laux Holtzwartten ann seine StattEin Ersam gricht erwehlet hatt,Gott geb all den so zum altarhilff Rath und Thatt geben für warDas er so schön gezieret wordenEin gutten Lohn im Him(m)ell dorten,Jnn Ewiger Freud und Herrlichkeit,Die allen frommen ist bereit.I(ohann) L(eo) R(oth) P(atricius) T(unc)c) P(astor) G(eislingensis) F(ecit)

  4. D

    DE NOVO IN TEMPLO GEISLINGENSI=/UM AURO ARGENTOQVE CORUSCAN=/TEd) ALTARI IBIDEM ANNO 1619 E=/RECTO CARMINA QUAEDAM MNEMO=/NEUTICAe) QVIBVS ANNEXA PRECATIO EST / AD S(ACRO)SANCTAM ET INDIVIDVA(M)f) TRINI=/TATE(M) PRO RESTAURATIONE (HISCE=/CONCLAMATISg) ULTIMIS TEMPORIBUS)h) / AUREAE PACISi) · /

    Hoc fuit erectum nitido splendore coruscans7)Altare ante oculos lector amice tuosQuod nunc stare videk) claro de stemmate natusGeislingae Lämblen quando ibi praetor eratJanus et Vlricus Krafftorum ex stemmate QuaestorSedulus8) inq(ue) suo munere fidus eratWalliserus erat Daniel cognomine dictusAnnos qui multos pavit ovile Dei9)Hujus erat spargendo comes sacra dogmata verbiAnnos bis senos Rothius ille LeoRothius ille Leo cui patria nobilis Ulma estQui de Patritio sanguine natus eratTu nos et nostros serva pater Alme nepotesIn vera verbi cognitione tuiEt Papam Turcamq(ue) tui preme nominis hostesQui Christum supera pellere sede voluntl)Temporibus nostris pacem concedere nobisDignere oramus Te Pater atq(ue) DEUSExere Christe tuas praesenti numine viresm)Quo Dominus nemo fortior esse potestEt defende Tuum Nomen Verbumq(ue) professosUt celebrent laudes secula cuncta TuasSpiritus Alme Dei solator magne tuorumDa concors populo cor studiumque tuoDeniq(ue) sis praesto nobis in mortis agoneEt nos in vitam duc supern) astra novamId pater aethereus faxit quid pluribus optetNil magis hoc praeco: Rothius ille Leo(Anno quo haec scripta)paX VIgeat patrIIs In terrIs ChrIste reDeMtor10)Patritiuso) numeros Rothius hos cecinit11)

Übersetzung:

Erinnerungsverse auf den neuen, in der Kirche der Geislinger von Gold und Silber funkelnden Altar, der ebendort im Jahre 1619 errichtet worden ist, daran angefügt ein Gebet an die heilige und unteilbare Dreifaltigkeit um Wiederherstellung (in dieser beklagenswerten jüngsten Zeit) des goldenen Friedens. – Hier wurde aufgerichtet, leuchtend in strahlendem Glanze vor Deinen Augen, Freund, der Du dies liest, der Altar. Ihn nun sieh an, wie er steht. Zu der Zeit, als in Geislingen Lämblin, stammend von hohem Geschlecht, bekleidet’ das Amt eines Vogts. Aus der Krafftschen Familie war Pfleger damals Hans Ulrich, welcher in seinem Amt eifrig wirkte und treu. Daniel ward er genannt, und mit Zunamen Walliser hieß er, der viele Jahre gewacht über die Herde des Herrn. In der Verbreitung der heiligen Lehren des Wortes Gefährte war ihm 12 Jahre lang jener (Hans) Leo Roth. Jener (Hans) Leo Roth, dessen Heimat das vornehme Ulm ist, der von patrizischem Blut edler Familie entsproß. Du, beschütz uns und unsere Enkel, gütiger Vater, indem Du uns entdeckst den wahren Sinn Deines Worts. Würge den Papst und die Türken, die Deinen Namen befeinden, deren Absicht es ist, Christus zu stoßen vom Thron. Daß Du unseren Zeiten den Frieden gnädig gewährest, dafür erachte uns wert, bitte, Vater und Gott! Zeig, Christus, Deine Kräfte durch die Anwesenheit Deinr Gottheit, kein Herr hält Dir stand, keiner ist stärker als Du. Schirme die, die Dein Wort und Deinen Namen bekennen, daß alle Zeiten im Chor singen und feiern Dein Lob. Gottes gütiger Geist, o großer Tröster der Deinen, gib ein einiges Herz, einiges Streben dem Volk! Endlich steh’ uns bei in unserem Kampf mit dem Tode, ins neue Leben führ’ uns über die Sterne empor. Was für die meisten er wünscht, das bewirke der himmlische Vater. Weiter erbitte ich nichts: ich, jener Hans Leo Roth. (Das Jahr, in dem dies geschrieben wurde:) Friede herrsche in unserer Heimat, Christus, Erlöser. Dieses gedichtete Lied sang der Patrizier Roth.

Versmaß: Deutsche Reimverse (C), elegische Distichen (D), Chronostichon auf das Jahr 1621 (D).

Kommentar

Wilhelm Steeb wird als Schwanenwirt und Spitalpfleger 1613 erstmals urkundlich genannt12, 1621, 1622 und 1626 war er Bürgermeister13. Michael Autenried war 1620 Rechner der Geislinger Sebastiansbruderschaft14. Konrad Dieterich aus Gemünden/Oberhessen, der 1614 an der Universität Gießen zum Doktor der Theologie promoviert wurde, war ab diesem Jahr Superintendent in Ulm und Hauptprediger am dortigen Münster15. Für die Schärfe der konfessionellen Auseinandersetzungen in den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Kriegs ist bezeichnend, daß in dem lateinischen Gedicht der Papst in einem Atemzug mit den Türken als der Hauptfeind Christi genannt wird.

Textkritischer Apparat

  1. Das bei Wollaib folgende Anno 1619 ist nicht Bestandteil dieser Inschrift.
  2. Rot ausgezeichnet. In der gesamten Inschrift sind im folgenden konsequent Gott, Christus, alle Personennamen und alle Jahreszahlen rubriziert.
  3. Auflösung unsicher, vielleicht auch: P(atricius) T(amen) oder P(ro) T(empore).
  4. CERUSCANTE Wollaib.
  5. MNHMONERTICA Wollaib. Das erste E offensichtlich als griechisches Eta in Form eines H geschrieben.
  6. INDIVDVA(M) Wollaib.
  7. Unsinniger Trennungsstrich.
  8. Runde Klammern im Original.
  9. Nach PACIS geometrisches Ornament, dann Punkt auf Mitte; letzte Zeile steht zentriert.
  10. Wollaib; vides Klemm.
  11. Et Papam … volunt fehlt Klemm.
  12. Bei Wollaib völlig verderbt: Exerce Christe tua praesent nomine vires.
  13. supra Wollaib.
  14. Patritus Wollaib.

Anmerkungen

  1. Der Titulus scheint nicht ursprünglich zu sein, jedenfalls entspricht der derzeitige Schriftbefund nicht dem vor der Restaurierung 1976, vgl. Abb. in: Burkhardt, Geschichte der Stadt Geislingen I, nach 184.
  2. Die Versinschrift, die bei Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 34 zitiert ist, stammt nicht von diesem Altar, sondern von dem Kruzifix in der St.-Leonhards-Kapelle (nr. 411).
  3. Wie Anm. 1.
  4. 1. Kor 10, 15–17.
  5. An der Empore, vgl. nr. 433 †.
  6. Offenbar verschrieben für Walliser.
  7. Beliebter Hexameterschluß in der kirchlichen Dichtung, bes. Walahfr. Wett. 529, vgl. Lat. Hexameter-Lex. V 251.
  8. sedulus sicherlich nach dem Vorbild der Chorgestühlinschrift von 1512, vgl. nr. 196 B, Vers 4.
  9. Zitat nach ders. Vorlage, vgl. ebd.
  10. Zu Christe redemptor als Hexameterschluß vgl. Lat. Hexameter-Lex. I 333.
  11. Wie Vers 8 Zitat aus der Chorgestühlinschrift (wie Anm. 8).
  12. Geislinger Urkundenbuch 229 nr. 212.
  13. Ebd. 235 nr. 218; 238 nr. 221, 243 nr. 226.
  14. Sebastiansbruderschaft 29, Bü 37.
  15. Vgl. Sigel, Das ev. Württemberg, und nr. 433.

Nachweise

  1. Wollaib, Par. Ulm. 379–382.
  2. Klemm, Stadtkirche. Vortrag 32–35.
  3. Burkhardt, Wollaib 156f.
  4. Scharfe, Ev. Andachtsbilder 317 (Inschr. C teilweise).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 434(†) (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0043401.