Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 218 Gingen an der Fils, ev. Pfarrkirche (St. Johannes) 1524, 1659

Beschreibung

Wandmalerei al secco: Jüngstes Gericht und Stifterfamilie von Berg. Innen an der Langhausostwand über dem Chorbogen, die ganze Breite der Wand einnehmend. 1966 freigelegt und restauriert1. Über Wolken schwebend in der Mitte, auf Erdkugel und Regenbogen thronend, Christus als Weltenrichter, flankiert von Maria und Johannes dem Täufer als Intervenienten und von den 12 Aposteln mit ihren Attributen; in der linken und in der rechten oberen Ecke die von Wolken umhüllten Brustbilder Mosis und Jesajae2, jeweils mit Schrifttafeln in Händen (A, B); in der unteren Bildhälfte die Auferstehung der Toten aus den Gräbern, Posaunenengel und Teufel; links außen die Himmelspforte in Form eines mit musizierenden Engeln besetzten Turms, rechts außen der geöffnete Höllenrachen. Zwischen den Himmel und die Auferstehungsszene ist zentral die Darstellung der knienden und betenden Stifterfamilie eingeschoben, nach unten, rechts und links durch eine Rahmenleiste vom Geschehen abgegrenzt, nach oben in die Wolken hineinragend: links der Familienvater mit Rosenkranz (Oberkörper zerstört), vor ihm sein Vollwappen, hinter ihm neun Söhne, die beiden ältesten wie der Vater mit Schwert umgürtet; auf der rechten Seite die Ehefrau, ebenfalls mit ihrem Vollwappen, vor ihr drei Töchter. Das Wandgemälde ist unterhalb der Darstellung zu beiden Seiten des Chorbogens jeweils mit großen Ziffern datiert (C, D). Einige Fehlstellen, vor allem im Bereich der Himmelspforte und des Höllenrachens; rechts unten verdeckt der hölzerne Kanzeldeckel Teile der Auferstehungsszene. Wollaib erwähnt das Weltgericht, das demnach offenbar in nachreformatorischer Zeit nicht völlig übermalt war. Allerdings überliefert er die Stifterdarstellung und die Inschriften (A, B) nicht, stattdessen nachträglich angebrachte Beischriften von 1659, mit denen offenbar Teile des Bildes übermalt waren: links über dem Gemälde Inschrift (E), links darunter (F), rechts oben (G), rechts unten (H). Nach einem handschriftlichen Zusatz von 1781 in Wollaibs Paradysus Ulmensis war von dem Gemälde damals „nicht viel mehr zu erkennen“3. Eine weitere von Wollaib überlieferte Wandinschrift (I), die sich thematisch auf das Jüngste Gericht bezieht, befand sich am Chorbogen, vielleicht in der Laibung. Ob sie zusammen mit den anderen Beischriften erst 1659 angebracht wurde oder aber schon zur ursprünglichen Ausmalung gehörte, ist unklar. Von den Inschriften (E)–(I) sind bei der Aufdeckung 1966 keine Reste gefunden worden.

Maße: H. (Schrifttafel A) ca. 50, B. ca. 80, H. (Schrifttafel B) ca. 40, B. ca. 75, Bu. ca. 7, Zi. 12,5–16,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel, Gotico-Antiqua.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/5]

  1. A

    O ir mensch(e)n halt(e)n / die gebot gottes so / ist Euch nacha) das rich / · moses ·

  2. B

    O ir menṭsch(e)n bede=/nck(e)n das erschro/ck(e)nlich vrtail Y[sa]iasb)

  3. C

    · 1 · 5 · 2 · 4 ·c)

  4. D

    · 1 · 5 · 24 ·

  5. E

    Matth. 25. v. 34. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommet her ihr gesegneten meines Vatters, ererbet daß Reich, daß eüch bereitet ist von Anbegin der Welt: und sie werden gehen in daß ewige leben.

  6. F

    Esa. 26. cap. Deine Todten werden leben, und mit dem Leichnam aufferstehen, wachet auff und rühmet, die ihr ligt unter der Erden.4) STöltzlend)5) fecit 1659.

  7. G

    Da wird er auch sagen zu denen zur Linckhen: Gehet hin von mir ihr Verfluchten in daß ewige Feür, daß bereitet ist dem Teüffel und seinen Engeln. Und sie werden in die ewige Pein gehen. Und werden allem Fleisch und Greüel seyn. Esa. 66.6)

  8. H

    Esa. 65. cap. Sie werden für Hertzleid schreyen, und für Jamer heülen, dann der Rauch ihrer Qual wird auffsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und haben keine Ruhe Tag und Nacht. Apoc. 14. cap.7)

  9. I

    Thut buß, es wird gewiß der Richter endlich kommenZu scheiden Schaff und Böck, die Bösen von den Frommen.8)

Versmaß: Deutsche Reimverse (I).

Wappen:
Berg, Speth.

Kommentar

Die Inschriften sind in einer Mischschrift aus gotischer und humanistischer Minuskel ausgeführt. In Inschrift (B) sind die Wörter ir mentsch(e)n – bis auf das h mit rundem Bogen – in gotischer Minuskel geschrieben, für den übrigen Text wie auch für die gesamte Inschrift (A) ist dagegen ein Alphabet verwendet, das, von den Grundformen der gotischen Minuskel ausgehend, durch Auflösung der Schaftbrechungen in stark durchgebogene Hasten und runde Bögen und durch die Verbreiterung der Buchstabenproportionen an die Antiqua angenähert ist, aber noch deutlich die Herkunft aus der gotischen Minuskel verrät. a ist einstöckig, „proklitisches“ r ist auffallend breit und z-förmig aus drei leicht durchgebogenen Schrägbalken gebaut, langes s ist noch durchweg auf der Grundlinie umgebrochen. Frakturmerkmale (Schwellzüge, Schwellschäfte) finden sich nicht.

Die Texte beider Schrifttafeln sind keine Bibelzitate.

Die Auftraggeber des Wandgemäldes lassen sich anhand der beiden Wappen als Eitel Sigmund von Berg und seine erste Frau Ursula geborene Speth identifizieren. Eitel Sigmund war von 1522 bis 1536 während des Exils Herzog Ulrichs von Württemberg ulmischer Obervogt zu Heidenheim. 1525 war er Hauptmann des Schwäbischen Bundes im Bauernkrieg. Er verstarb 15469. Seine erste Frau war die Tochter Caspar Speths von Zwiefalten. Eine Verbindung der von Berg zu Gingen ist bislang nicht nachgewiesen, der Anlaß für die Stiftung des Gemäldes läßt sich mithin nicht erschließen. Das Bild weist im Gesamtaufbau und einzelnen Details – vor allem die aus den Gräbern Auferstehenden und der Höllenrachen – große Ähnlichkeit mit dem etwa 30 Jahre älteren Jüngsten Gericht in der ev. Pfarrkirche zu Hörvelsingen (Langenau, Alb-Donau-Kr.) auf10.

Textkritischer Apparat

  1. D.h. nah.
  2. Hinter dem a eine Schleife, wohl als Interpunktionszeichen und nicht als e zu lesen.
  3. Vor und zwischen den Ziffern Quadrangeln, am Ende eine liegende Raute.
  4. S und T monogrammatisch verschränkt.

Anmerkungen

  1. Genaue Beschreibung bei Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 108f.
  2. Von Akermann, Stifterbild 60 bezeichnet als „Mann in Handwerkerkleidung (vielleicht der Maler)“. Noch weiter geht Brandauer, 1000 Jahre 64: „Vermutlich handelt es sich bei ihm um den Ulmer Jesse Herlin (Härlin), den Jüngeren, der 1575 starb“ (!?).
  3. Wollaib, Par. Ulm. 406.
  4. Jes 26, 19.
  5. Zu Stöltzlin vgl. Reinhard Wortmann, Der Stadtmaler Johann Stöltzlin (1597–1680). Ein Beitrag zur Ulmer Malerei des 17. Jh., in: Ulm u. Oberschwaben 42/43 (1978) 120–160; bes. 138 Kat. nr. 21a; 124.
  6. Nach Mt 25, 41 und 46 sowie Jes 66, 24.
  7. Nach Jes 65, 14 und Offb 14, 11.
  8. Nach Mt 25, 31–32.
  9. Bucelinus III, 3. Tl., 83. Weitere Angaben zur Person bei Akermann, Stifterbild 61f.
  10. Vgl. Kdm Ehem. Oberamt Ulm 282 (Abb.).

Nachweise

  1. Wollaib, Par. Ulm. 406f. (nur Inschr. E–I).
  2. Akermann, Neue Schätze alter Kunst.
  3. Hummel, Wandmalereien Kr. Göppingen 108f., Abb. 57f.
  4. Akermann, Stifterbild 60.
  5. Brandauer, Gingen 52.
  6. Gotik an Fils und Lauter 42f. (Abb. 19).
  7. Brandauer, 1000 Jahre 64.

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 218 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0021807.