Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 193 Adelberg-Kloster, ev. Kirche (ehem. Klosterkapelle St. Ulrich) 1511, 1590–1654

Beschreibung

Altarretabel aus der Werkstatt Bartholomäus Zeitbloms mit Schnitzfiguren Niklaus Weckmanns. Im Chor auf dem Hochaltar. Fünf geschnitzte und farbig gefaßte Heiligenfiguren im Schrein, auf einem gestuften Sockel stehend, von links nach rechts: hl. Ulrich, hl. Cutubilla, Muttergottes auf Mondsichel, hl. Katharina, hl. Liborius, jeweils bezeichnet durch Nimbenumschriften (A) auf der vergoldeten Innenseite der Schreinrückwand, schwarze Schrift auf rotem Grund; auf dem abgetreppten Sockel ebenfalls Namenbeischriften und Datierung (B); bemalte Predella mit Brustbildern Christi und der Apostel, jetzt ohne Inschriften; beidseitig bemaltes Flügelpaar mit Szenen aus dem Marienleben: links innen Verkündigung Mariä, Engel mit Lilienszepter und darumgewundenem Schriftband mit englischem Gruß (C), Maria mit Nimbenumschrift (D) und Gewandsauminschrift (E); rechts innen Marienkrönung, Maria mit Nimbenumschrift (F) und Gewandsauminschrift (G); links außen Geburt Christi, Maria wieder mit Nimbenumschrift (H) und Gewandsauminschrift (I); rechts außen Anbetung der Könige, auch hier Maria mit Nimbenumschrift (K) und Gewandsauminschrift (L); als Retabelkrönung eine ursprünglich nicht zu diesem Altar gehörende Kreuzgruppe. Wiederholt restauriert, zuletzt 1969–721, Figurensockel im 19. Jahrhundert neu angefertigt, vermutlich aber nach altem Vorbild beschriftet; Innenseite der Schreinrückwand mit den Nimben ebenfalls im 19. Jahrhundert ersetzt, zuletzt aber dem Vorbild der noch vorhandenen, stark beschädigten und bekritzelten, derzeit von hinten auf den Schrein aufgeschraubten originalen Rückwand weitgehend angeglichen, so daß die neuen Nimbeninschriften den ursprünglichen entsprechen. Auf der Rückwand zahlreiche, teilweise von geübter Hand ausgeführte, eingeritzte Namen, Initialen und Jahreszahlen, im wesentlichen aus der Zeit von 1590 bis 1654 (M)2.

Maße: H. (Retabel gesamt ohne Bekrönung) 261, B. (geöffnet) 426, (geschlossen) 223, H. (Flügel) 177,5, Bu. 5,5 (A), 4,9 (Nimbeninschriften der Flügel), 1,8–2,1 cm (Gewandsauminschriften).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A, C–L), gotische Minuskel mit Verslien (B).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/3]

  1. A

    SANAAT · VOLRICH / MIO IIa) // SANCATb) · CVTVBILLA · V(IRGO)·c) // SANCTA · MARIA HIL(F)d) // SANCTA · KATHERINA // SANAAT LIBORIVSe)

  2. B

    · S · Volrich · // · S · Cutubilla · 3) // O · Maria · mater · / dei · miseref) · mei / · 1511 · Jar · // S · katherina · // · S · Liborius ·

  3. C

    · / AVE · / MARIA GRACI(A) / PLENA / DOMINV(S) / TECVM / · / BENEDICKAg)4)

  4. D

    AVE SANTISIMA · MARIA MATER

  5. E

    IOVH(.)/OYOFVCGWI(. . . .)GI(. . . .)/AOWEIADFCHNGOI/VAC(. . .)h)

  6. F

    AVE SA(.)SSIMA (M)ARI(A) M(A)TERh)

  7. G

    IGON[. .]ER[. . /.]ORIVRI[. .]NEHIKL[. . . . . . .]W(. . .)h)

  8. H

    AVE SANTSIMA MARIA MATE(R)

  9. I

    OICH GREGORI F̣OCḲVNO F̣IESSEN HAN DAS GEMA DA MAN ZALT IV OI VND (. .)//RZ(. . . .)EO EN/O(. . .)RARBO(. . . .)EIO MARIA S(. . . .//. .)A(. . . . .)NREIWO(. . .)/IAIh)

  10. K

    AVE SANCSIMA MARIA MA(TER)

  11. L

    (. . /. .)GNOR(. . . . .)NA IC(. / .)WODI(. ./ . . .) // S KOHAR/ . I . CD 1.6.h)i)

  12. M

    DAVID BRAUCH Leonbergensis An(n)o Domini 1590 / Erhardus Schweickhardt studt 1599 13 Feb / Johannes Monting Anerea Mezingensis Anno 1602 / Isaacus Alber Nurtingensis An(n)o 1611 / Fux INW M 1613 / Isacus Osiander Marpachensis Anno 1618 / Johannes Christoph Hengher Wittershus 30 Decemb Ano 1621 / Joannes Gockeler Schorndorfensis Anno 1626 die 26 Iunii / Josephus Hengler Tubingensis 1627 / Gabriel Raubenberger 1630 / Samuel Knock / Joseph Niethammer / Hieronymus Ebling /Ruodthart Alexand(er) Hutz / Jacobus Klinger

Kommentar

Hinsichtlich der Schriftformen lassen sich aufgrund der mehrfachen Überarbeitung und Restaurierung nur mit Vorbehalt Beobachtungen anstellen, am ehesten lassen sich hierzu die Inschriften auf den Flügeln heranziehen, wobei die Nimbenumschriften wesentlich sorgfältiger ausgeführt sind als die Gewandsauminschriften, die bis auf die Künstlersignatur ausschließlich ornamentale Funktion haben. Neben dem trapezförmigen A mit langem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken begegnet eine Form mit senkrechter linker Haste, sehr spitzem Scheitel und nur nach rechts laufendem Deckbalken. D kommt kapital mit nach oben und unten ausbauchendem Bogen und in unzialer Form mit offenem Bogen vor. E ist meist epsilonförmig, gelegentlich aber auch kapital mit auffallend kurzem unterem Balken. G ist mit senkrechter, weit hochgezogener Cauda rechts fast geschlossen. Der Balken von H und der Schrägbalken des retrograden N zeigen eine Ausbuchtung. M hat einen kurzen, weit hochgezogenen Mittelteil. Der Bogen des P füllt das ganze Schriftband aus, dagegen hat R einen verhältnismäßig kleinen Bogen und eine lange, weit nach rechts auslaufende Cauda. S kommt auch spiegelverkehrt mit einem die Enden verbindenden Diagonalstrich vor. Die Haste von T ist in der unteren Hälfte C-förmig gebogen.

Das Retabel stammt nach den Ergebnissen der kunsthistorischen Forschung aus der Zeitblom-Werkstatt in Ulm. Auf dem linken Altarflügel der Werktagsseite gibt sich wahrscheinlich der ausführende Geselle Zeitbloms in der Gewandsauminschrift zu erkennen. Während die übrigen Saumbeschriftungen auf dem Altar – wie meist – nur unsinnige Buchstabenfolgen mit zum Teil erfundenen Zeichen ergeben5, ist hier eindeutig ein Satz mit Künstlername, Fertigungsvermerk und Datierung aufgemalt. Leider ist der Name – schon ursprünglich? – verunstaltet und die Datumsangabe unvollständig. Deutsch will in vier der O vergrößerte Zierpunkte („Zierkreise“) sehen und liest dann · ICH GREGORIE · GRVN · EIESSEN HAN DAS GEMA(CHT) DA MAN ZALT 15 . VND . . ., löst den Namen als Gregor Grüneisen auf und erwägt dessen Abstammung von einem im Ulmer Steuerbuch von 1499 genannten Gilg Grönysen6. Diese Deutung, wie auch die Auflösung von IV zur Ziffernfolge 15, halte ich für problematisch, zumal einzelne Buchstaben in ihrer Lesung nicht sicher sind: Auffällig sind die beiden F mit drittem Balken nach rechts auf der Grundlinie, die m. E. nicht als E zu lesen sind, da sonst am Altar ausschließlich epsilonförmiges E verwendet wird. Der von mir als K aufgefaßte Buchstabe weist eindeutig einen Deckbalken nach rechts auf und kann somit kaum als R gelesen werden. Ich möchte daher als alternative Lesart anbieten: GREGORI FOCK VNO FIESSEN (=von Füssen).

Da der abgetreppte Figurensockel in seinem Gesamtbestand nicht original ist, ist der Zeitansatz nach der ausgemalten Jahreszahl auf 1511 nicht gesichert, der kunsthistorische und der Schriftbefund sprechen aber auch nicht gegen diese Datierung.

Bei den Einritzungen auf der Retabelrückwand handelt es sich wohl in der Hauptsache um Kritzeleien von Schülern der evangelischen Klosterschule, die von 1535 bis 1629 bestand7.

Für die Pfarrkirche St. Ulrich zu Süßen, die seit 1346 dem Kloster Adelberg inkorporiert war, hat Zeitblom ebenfalls ein Retabel, von ihm signiert und auf 1507 datiert, geschaffen (vgl. nr. 187 †).

Textkritischer Apparat

  1. MIO II in der unteren Hälfte des Heiligenscheins, gegen Uhrzeigersinn geschrieben; Bedeutung unklar.
  2. Als Worttrenner eine Maus; in der unteren Nimbenhälfte ein Mäusepärchen.
  3. Die beiden letzten Zierpunkte als I-förmige Hasten ausgebildet.
  4. Danach auf der Originalrückwand, ursprünglich von der Schnitzfigur verdeckt, in flüchtiger Ausführung die offenbar originale Beischrift BALTV. Nach Deutsch, Altar 22f. Signatur des Faßmalers: Baltus/Balthasar.
  5. In der unteren Hälfte des Nimbus unverständliche Zeichen.
  6. Sic!
  7. Buchstaben in runden Klammern sind verdeckt; als Worttrenner Paragraphen-Zierpunkte.
  8. Textpassagen in runden Klammern sind verdeckt.
  9. Letzte 4 Zeichen sehr flüchtig und undeutlich gemalt, vielleicht eine Jahreszahl.

Anmerkungen

  1. Über die einzelnen Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen sowie zur Klärung der Werkstattzugehörigkeit ausführlich: Deutsch, Altar 18–25, 47f.
  2. Kein eigener Augenschein. Hier nur Wiedergabe der von Restaurator Rieber zusammengestellten und von Deutsch, Altar 23, publizierten Auswahl datierter und undatierter Namensinschriften. Auch in den Flügelbildern waren vor der Restaurierung Einritzungen zu erkennen, vgl. ebd. 24.
  3. Sonst hl. Kakukilla, Cukakilla o. ä.; wahrscheinlich entstanden als Verballhornung aus dem irischen Namen des hl. Kolumban von Iona, Kolumkilla. Ausführl. Erörterung bei Deutsch, Altar 25–30.
  4. Beginn des Ave Maria; vgl. Lc 1, 28.
  5. Zu Gewandsauminschriften allg. vgl. bes. Werner Arnold, Gemälde-Inschriften, in: Pantheon 34 (1976) 116–120.
  6. Deutsch, Altar 31, 49 Anm. 58a. – Zu Zeitblom zuletzt: Daniela Gräfin von Pfeil, Notizen zu Leben und Werk des Bartholomäus Zeitblom, in: Meisterwerke massenhaft 169–183.
  7. Im Dorment der Alpirsbacher Klosterschule wurden zwischen 1560 und 1593 vergleichbare Kritzeleien angebracht (noch unpubliziert).

Nachweise

  1. Klemm, Ortsnotizen (WLB, Cod. hist. Q 347.1) Bü Adelberg: Brief des Pfarrers Pichler 1876 VII 20 mit Abzeichnung von Inschr. (B).
  2. Schuette, Schwäb. Schnitzaltar 197f.
  3. Kirschmer, Chronik von Adelberg 47.
  4. Der Kreis Göppingen 21985 Abb. 69.
  5. Deutsch, Altar 13–51.
  6. Hummel, Adelberger Kunst 175–187, Abb. 87–91.
  7. Ziegler/Vollmer, Kloster Adelberg 20–34.
  8. Dehio, Baden-Württemberg I, 2.
  9. Meisterwerke massenhaft 23 Abb. 19, 173 Abb. 225; 440f. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 193 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0019301.