Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 145 Ebersbach a. d. Fils, ev. Pfarrkirche (St. Vitus), Gemeindesaal 1499

Beschreibung

Vier Fragmente einer Emporenbrüstung (?) mit Aposteldarstellungen und Credo-Texten. Innen an der Nordwand des 1938 an die Kirche angebauten Gemeindesaals. Tannenholz. Drei der Bretter wurden bei der durchgreifenden Kirchenrenovierung 1956 auf dem Dachboden, die vierte Tafel (II) 1972 im Kirchenturm aufgefunden. Zeitweilig waren die Tafeln als Leihgaben im Göppinger Museum im „Storchen“ ausgestellt1. Der Zyklus bestand ursprünglich aus den Kniestücken2 der 12 Apostel mit ihren Attributen in Ritzzeichnung und mit jeweils zugeordneten Textabschnitten des Credo in zweizeilig in Kerbschnitt beschrifteten Schriftblättern zu Häupten. Die Namenbeischriften stehen teils ebenfalls auf dem Schriftblatt, teils – bei längeren Credo-Texten – zu beiden Seiten des Kopfs. Erhalten sind:

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

I. Linke Hälfte von Tafel 1: St. Petrus mit Schlüssel und Buch; Credo-Text im Schriftblatt (A), Namenbeischrift frei stehend darunter (B).

Maße: H. 98, B. (Rest) 33, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. A

    Credo · in · de[um · patrem · omnipoten]/te(m) · creatorem · cel[i · et · terrae ·]a)

  1. B

    · sanct(us) · // [· Petrus ·]

Übersetzung:

Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.

II. Linke Hälfte von Tafel 4: St. Johannes Evangelist, den Schlangenkelch segnend; Credo-Text im Schriftblatt (C), Namenbeischrift frei stehend darunter (D); wiederum darunter links ein großer aufgemalter, stark beriebener Einzelbuchstabe (E).

Maße: H. 99, B. (Rest) 36, Bu. 4,5 (C, D), 8,9 cm (E).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (C, D), Kapitalis (E).

  1. C

    · Passus · sub po[ntio · pilato · crucifi]/xus · mortu(us) · et · se[pultus ·]a)

  2. D

    Sanct(us) · // [Iohannes ·]

  1. E

    Hb)

Übersetzung:

Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.

III. Mittelteil von Tafel 8 (Fehlstelle links deutlich größer als rechts): St. Bartholomäus, nach links gewandt, die Attribute nicht erhalten; Credo-Text und Namenbeischrift im Schriftblatt (F), darunter, rechts des Kopfs, ein großer Einzelbuchstabe (G).

Maße: H. 98, B. (Rest) 28, Bu. 4,5 (F), 6,7 cm (G).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (F), Kapitalis (G).

  1. F

    [Credo · in · sp]iritu(m)a) · sanctum · / [sanctus · ba]rtholomeus ·

  1. G

    Bc)

Übersetzung:

Ich glaube an den Heiligen Geist.

IV. Rechte Hälfte von Tafel 11: St. Judas Thaddäus mit geschulterter Keule; Credo-Text, Jahreszahl und Namenbeischrift im Schriftblatt (H).

Maße: H. 99, B. (Rest) 37, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. H

    [Carnis · resur]rexionema) · 1·4·9·9 / [sanct]us · iudas ·d)

Übersetzung:

Die Auferstehung des Fleisches.

Die gotische Minuskel ist sehr sorgfältig geschnitzt. Bemerkenswert ist der auffällig lange geschwungene Diagonalstrich des „runden“ s, das in nur mäßig vergrößerter Form in Inschrift II auch als Versal dient. Die Versalien C und P sind jeweils links mit einer Zackenleiste versehen. Die Worttrenner-Quadrangeln sitzen auf halber Zeilenhöhe, häufig auch etwas tiefer.

Die erhaltenen Textfragmente des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, dessen Abfassung in früh-christlicher Zeit – spätestens im 4. Jahrhundert – den 12 Aposteln zugeschrieben wurde, stimmen mit der Credo-Fassung des pseudoaugustinischen Sermons 240 überein3, der die einzelnen Artikel den Aposteln in der Reihenfolge Petrus, Andreas, Jacobus, Johannes, Thomas, Jacobus, Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon, Judas Thaddäus und Matthias zuordnet. Der Umstand, daß das Herstellungsjahr auf der vorletzten Tafel steht und nicht auf der mit Sicherheit noch auf diese folgenden mit dem Apostel Matthias und mit dem Schlußartikel Vitam aeternam, ist merkwürdig. Vielleicht enthielt die letzte Tafel einen die Jahreszahl ergänzenden Fertigungsvermerk des Schnitzers4. Der Stil der Aposteldarstellung läßt an graphische Vorlagen (Holzschnitte) denken, eine konkrete Vorlage konnte aber bislang nicht ausfindig gemacht werden. Die Ausführung nach einem solchen Muster oblag vermutlich einem einheimischen Schnitzer5, doch könnte das Stift Oberhofen, dem die Ebersbacher Kirche inkorporiert war, auch für die Anfertigung in einer Göppinger Werkstatt gesorgt haben. Immerhin zeigt auch das Chorgestühl der Oberhofenkirche eine – wenn auch von anderer Hand ausgeführte – figürliche Darstellung in Ritzzeichnung (nr. 153). Die ursprüngliche Funktion der Tafeln ist nicht mehr eindeutig zu klären. Für die Deutung als Emporenbrüstungen spricht, daß auch im nahen Bünzwangen – freilich wesentlich später entstandene – Apostelbilder auf die Emporen gemalt sind, die vielleicht ältere ersetzten (vgl. nr. 295), sowie die Nachricht des Kirchenkonventsprotokolls von 17516, daß damals an der Ebersbacher „PorKirche … die Apostel angemahlt“ waren. Da bei deren Beseitigung im Zuge einer Restaurierung 1859 von Bildern, „die teils das Leiden Christi, teils die Apostel darstellten, aber gar keinen Kunstwert haben, insofern sie sehr grob gemalt sind“7, die Rede ist, dürfte es sich hierbei zwar kaum um die geschnitzten Tafeln gehandelt haben, doch könnten diese immerhin schon zu einem früheren Zeitpunkt entfernt und durch die erwähnten gemalten mit gleicher Thematik ersetzt worden sein8.

Textkritischer Apparat

  1. Textergänzung nach dem pseudoaugustinischen Sermo 240 (ed. Migne PL 39, Sp. 2188–2190).
  2. Buchstabe sehr breit, Balken mit Ausbuchtung nach oben. Vermutlich nachträglich – der Buchstabenform nach aber nicht allzu lang nach der Entstehung der Tafel – aufgemalt. Bedeutung unklar.
  3. Offenbar nachträglich und recht unbeholfen eingeritzt, Bedeutung unklar.
  4. Danach eine Zierranke.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kübler/Wiedmaier 18f.
  2. Der zur Befestigung in einem Rahmen dienende Falz ist an den Ober- und Unterkanten aller Bretter erhalten, was ausschließt, daß es sich um beschnittene, ursprünglich ganzfigurige Darstellungen handelt.
  3. Edition vgl. Anm. a. Ausführlich zu den Fragen des Formulars, seiner Herkunft und Überlieferung sowie zu Vergleichsbeispielen der ab dem 12. Jahrhundert nachweisbaren Darstellung von Apostel-Credo-Zyklen: Halbauer (wie unten) mit weiterführender Lit. Vgl. auch H. W. van Os, Art. „Credo“, in: LCI 1 Sp. 461–464; grundlegend: Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst 4,1: Die Kirche, Gütersloh 1976, 134–147. Zum frühesten Beispiel, dem Eilbertus-Tragaltar (vor 1160) aus dem Welfenschatz vgl. zuletzt ausführlich DI 35 (Braunschweig bis 1528) nr. 11.
  4. So auch Halbauer (wie unten) 251, der außerdem die Nennung eines Stifternamens oder eine nähere Datierung erwägt.
  5. Ebd. 252, 254.
  6. Vgl. Donner, Ebersbach 231.
  7. Ebd.
  8. Halbauer (wie unten) 252, 254, 257 Anm. 49 möchte dagegen in den Tafeln eher Dorsalfelder eines Gestühls sehen, da es für Chorgestühle mit Apostel-Credo-Zyklen mehrere Vergleichsbeispiele gibt. In diesem Falle müßte man aber wohl einen anderen ursprünglichen Standort annehmen, da die Ebersbacher Kirche kein Chorgestühl benötigte.

Nachweise

  1. Donner, Ebersbach 224 (nur erwähnt; Abb. von I, III u. IV).
  2. NWZ Göppingen 1972 XI 4 (Abb. von II).
  3. Karl Halbauer, Die Apostel-Credo-Tafeln aus der Evangelischen Pfarrkirche in Ebersbach an der Fils, in: Gotik an Fils und Lauter 247–257, bes. 250 (m. Abb. 139–140).
  4. Kübler/Wiedmaier, Veitskirche 18 (Abb. von I u. II).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 145 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0014509.