Die Inschriften des Landkreises Göppingen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 41: Göppingen (1996)

Nr. 119 Berlin, Bode-Museum, Gemäldegalerie, Depot um 1490

Beschreibung

Zwei Flügel eines Retabelaltars aus der kath. Pfarrkirche St. Michael in Drackenstein-Unterdrackenstein. Der Hochaltar war unter Pfarrer Christmann (1801–15) beseitigt worden. Drei geschnitzte Schreinfiguren (Muttergottes, hl. Barbara, hl. Katharina) wurden in den nach der Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigten Altar der Marienkapelle in Oberdrackenstein übernommen, wo sie sich noch heute befinden1. Schon vorher waren die Altarflügel über den Nebenaltären der Pfarrkirche angebracht und 1842–44 restauriert worden. 1878 wurden sie vom Stiftungsrat der Kirche als Bezahlung für die Kirchenausmalung an den Restaurator Eduard Mayr in Wiesensteig veräußert, der sie wiederum an Karl Walcher in Stuttgart verkaufte2. 1910 wurden sie schließlich in Köln ersteigert und den Berliner Museen geschenkt (Inv.-Nr. 1674, 1675)3. Tannenholz, Gipsgrund, bemalt und blattvergoldet; Originalrahmen und Scharniere erhalten. Auf den Innenseiten, jeweils unter geschnitztem Maßwerkgesprenge und vor einem goldenen Brokatvorhang, vier Heilige mit dem knienden Stifterpaar: I. Linker Flügel, Innenseite: hl. Johannes der Täufer und hl. Andreas, jeweils mit aufgemalten Nimbeninschriften (A, B), zwischen ihnen kniend Ulrich von Westerstetten in Ritterrüstung, vor ihm sein Wappen. II. Rechter Flügel, Innenseite: hl. Johannes Evangelista und hl. Sebastian, ebenfalls mit Nimbenumschriften (C, D), zwischen ihnen Margarethe von Westerstetten geborene von Wernau in schwarzem Kleid und weißer Haube, in der Linken ein Gebetbuch haltend, mit ihrem Wappen. Mehrfach restauriert, kleinere Abklebungen, zum Teil wieder entfernt. Auf den Flügel-Außenseiten unmittelbar auf das Holz aufgemalte Szenen aus der Kreuzlegende: III. links die Kreuzprobe der hl. Helena, in der Gruppe der umstehenden Personen eine Frau mit Hut, der mit fünf Buchstaben beschriftet ist (Gelb auf Schwarz, E); IV. rechts Rückgabe des hl. Kreuzes an Jerusalem durch Kaiser Heraklius, über dem Stadttor ein schwebender Engel mit leerem Schriftband4. Zustand schlecht; senkrechte Risse, zahlreiche großflächige Abklebungen.

Maße: H. (jeweils) 143,5, B. 93, Bu. 2,7 (A, B), 3,0 (C, D), 1,6 cm. (E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Gemäldegalerie Staatl. Museen zu Berlin SPK; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. A

    SANCTVS IOHANNES

  2. B

    [. . . . . VS AN . . . . .]a)

  3. C

    SA[NCTVS] IOHẠNNES

  4. D

    SANC[TVS] SEBASṬIẠN

  5. E

    NMWAIb)

Wappen:
Westerstetten, Wernau.

Kommentar

Die Inschriften sind, soweit sich dies noch erkennen läßt, sehr sorgfältig und feinstrichig ausgeführt. Die dünnen Hasten und Balken erweitern sich erst an den Enden zu kräftigen Dreiecken, Bogenschwellungen sind nur schwach ausgeprägt. A ist schmal und spitz, mit langem, beidseitig weit überstehendem Deckbalken und geknicktem Mittelbalken; E ist epsilonförmig, O spitzoval und relativ breit; der Balken des H ist nach oben ausgebuchtet; der Schrägbalken des N ist in Inschrift (A) in der Mitte mit einem kurzen Strich durchkreuzt; der durch eine leichte Bogenschwellung betonte Mittelteil des S trägt in einigen Fällen eine rautenförmige oder rechteckige Verstärkung.

Das abgebildete Stifterehepaar, Ulrich von Westerstetten († 1503) und seine erste Frau Margarethe von Wernau, haben 1450 geheiratet. Daß Ulrich den Grafen Eberhard von Württemberg 1468 auf dessen Jerusalemfahrt begleitet hat, mag die Themenwahl der Flügel-Außenseiten bestimmt haben, in der „glückliche(n) Rückkehr von dieser Reise“ den Anlaß für die Altarstiftung zu sehen5, verbietet jedoch der stilistische und epigraphische Befund, der auf eine Entstehung um 1490 hindeutet. In der schwäbischen Tafelmalerei ist die Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis erst in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts allmählich üblich geworden. Da das Todesjahr der Margarethe von Wernau nicht bekannt ist6, ist der sichere terminus ante quem das Jahr der zweiten Eheschließung Ulrichs, 1494. Vielleicht steht die Altarstiftung in Zusammenhang mit der Einsetzung eines gleichnamigen Verwandten des Ortsherrn, des Augsburger Kanonikers Ulrich von Westerstetten, zum Pfarrer in Drackenstein 14897. Heribert Meurer erwägt eine Zuschreibung der vier Tafelbilder an den zeitweiligen württembergischen Hofmaler Ludwig Friesz aus Ulm8.

Textkritischer Apparat

  1. Die vier Buchstaben sind bei Walcher, Bilder vom Hochaltar, Taf. nach S. 12, noch zu erkennen; jetzt völlig vergangen.
  2. N spiegelverkehrt. Die Buchstabenfolge ergibt keinen Sinn, sie hat – wie die meisten Gewandsauminschriften – rein ornamentale Funktion.

Anmerkungen

  1. Abb. bei Meurer, Flügelaltäre 151–155, Abb. 75–77, 79.
  2. Zum Schicksal des Altars vgl. Walcher, Bilder vom Hochaltar 1f.; Senghaas, Bildwerke 94; Meurer, Flügelaltäre 148. Eine Predella, die Walcher ebenfalls erwerben konnte und die er mit dem Drackensteiner Hochaltar in Verbindung brachte, stammt wohl von einem anderen Altar (vgl. nr. 122).
  3. Bis 1942 als Leihgabe im Schloßmuseum Berlin. Für freundliche Hilfestellung bei den Aufnahmearbeiten danke ich Frau Christine Exler, Bode-Museum Berlin.
  4. Das Schriftband trug ursprünglich vermutlich eine Erinnerung an den demütigen Einzug Christi in Jerusalem, die der Engel der Legende zufolge dem Kaiser bei dessen beabsichtigtem feierlichen Einzug engegenhielt.
  5. So Senghaas, Bildwerke 95 und Stange, Krit. Verzeichnis II 236.
  6. Vgl. nr. 150.
  7. So Meurer, Flügelaltäre 149.
  8. Ebd.

Nachweise

  1. Walcher, Bilder vom Hochaltar 14–16, Taf. nach S. 12 (Abb.).
  2. Schmelzing und Wernstein 5–7, Abb. 1–4 (kein Wortlaut).
  3. Senghaas, Bildwerke 95f. (kein Wortlaut).
  4. Stange, Krit. Verzeichnis II 236 nr. 1046 (kein Wortlaut).
  5. Meurer, Flügelaltäre 148–160 (kein Wortlaut), Abb. 80–83.
  6. Rainer Michaelis, Deutsche Gemälde. 14.–18. Jahrhundert. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Katalog Bd. III, Berlin 1989, 108–110 (mit ausführl. Quellen- u. Literaturangaben nach Walter Ziegler, die jedoch nicht als solche gekennzeichnet sind).

Zitierhinweis:
DI 41, Göppingen, Nr. 119 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0011906.