Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 219† Hirsau, Abtshaus der neuen Abtei nach 1541

Beschreibung

Wandgemälde mit Beischriften in den Wohnräumen der neuen Abtei. Nach den Aufzeichnungen des Parsimonius waren in der Amtsstube Wandgemälde angebracht, die er beschreibt und deren Inschriften er im Wortlaut mitteilt, obwohl er sie selbst nicht aus eigener Anschauung kannte: ‚Pictura in hypocausto novae abbatiae extans‘ (fol. 192ff.) und ‚Alia pictura in eodem hypocausto novae abbatiae extans‘ (fol. 193r, 194), und ‚Duae pictae arboris, vna superbiae altera humilitatis cum suis fructibus, fuerunt pictae in hypocausto novae abbatiae, quae nunc sunt deletae‘ (fol. 194v). Zur Lokalisierung ist eine Anmerkung von Parsimonius beim ersten Bild aufschlußreich: ‚Hanc figuram vide a Ioanne filio meo depictam in peculiari scheda Anno 73‘ (fol. 192); die Bilder befanden sich vermutlich in den privat genutzten Räumen der neuen Abtei, da sonst kaum die Beschäftigung des Sohnes mit der Abzeichnung der Gemälde erwähnt worden wäre. Offensichtlich waren alle Bilder zur Zeit der Zusammenstellung des Collectaneen-Bandes bereits zerstört, obwohl Parsimonius das nur bei dem ersten und dritten Gemälde erwähnt, für die er ausdrücklich auf die Zeichnungen seines Sohnes verweist: ‚Has vide a filio meo M. Johannis depictas, inter alias suas pictas pagellas‘ (fol. 194v; zu dem 1585 verstorbenen Sohn vgl. nr. 274). Nach den Beschreibungen und Skizzen handelte es sich um zwei vielfigurige Gemälde, das erste mit dem Thema des Jüngsten Gerichts (Vom unbußfertigen Sünder), das zweite mit dem Baum der Sünde und der Gnade, des Todes und des Lebens (Gesetz und Erlösung). Vorlagen sind für die beiden ersten Darstellungen aus der zeitgenössischen Graphik zu vermuten; da Parsimonius die Figuren genau beschreibt, die Schriftzitate und die Beischriften wiedergibt, lassen sich Parallelen zu Cranach-Arbeiten aus dem Jahr 1529/30, verbreitet durch die Titelholzschnitte der Lübecker Bibel (1534) bzw. der revidierten Bibel des Hans Lufft (Wittenberg 1541) nachweisen, die hier wohl die Anregung gegeben haben (‚Rechtfertigung des Sünders vor dem Gesetz durch den Glauben und die Gnade Gottes‘); die starke Resonanz der reformationsgeschichtlichen Bildthematik des Cranach-Werkes hat Parallelen und ist kein Einzelfall1. Die Gemälde dürften aus der Zeit nach 1534 stammen, als die Ausmalung der Kirche beendet war; da eine Vorlage des Titelholzschnittes von 1541 leichter nach Hirsau gelangt sein kann als die niederdeutsche Bibel von 1534, wird man die Entstehungszeit eher nach 1541 ansetzen; Abt Schultheiß wohnte zu dieser Zeit noch im Kloster. Da er die Abtsstube der neuen Abtei als Wohnung genutzt haben wird, dürfte die Ausmalung auf seine Initiative zurückgehen. Die Beischriften hat Parsimonius auf einem eigenen Blatt neben den Zeichnungen vermerkt, ihre Lokalisierung auf den Zeichnungen durch die Buchstabenfolge A–S gekennzeichnet, wie er es ähnlich auch bei den Beischriften des Chorgemäldes in der Kirche getan hat. Für die zerstörten Bilder der Bäume der superbia bzw. der humilitas lassen sich Miniaturen des Speculum virginum als Vorlagen denken. Da auch durch Balkeninschriften in Trabs 9 des Dormitoriums die Benutzung des Speculum virginum zu belegen ist, dürfte eine Handschrift des Werkes in der Klosterbibliothek vorhanden gewesen sein2.

    Anmerkungen

    1. Vgl. dazu Dieter Koepplin und Tilman Falk, Lukas Cranach. Gemälde, Zeichnungen. Druckgraphik. Ausstellungskatalog Basel 1974, 2 Bände, Stuttgart 21976, hier Bd. 2, S. 505ff. Abb. 275, 275a; der Titelholzschnitt Bd. 1, S. 407 Abb. 223. – Die Schriftzitate alle vollständig bei Campbell Dodgson, Catalogue of Early German and Flemish Woodcuts, preserved in the Department of Prints and Drawings in the British Museum, Vol. II, London 1911, S. 374–79. – Vgl. auch Heimo Reinitzer, Biblia Deutsch (Ausstellungskataloge Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Nr. 40) Hamburg 1983, S. 166ff. nr. 96, Abb. 94 (1534), Abb. 108 (1541). Vgl. auch Peter Schuster, Protestantische Themen, in: Werner Hofmann (Hg.), Luther und die Folgen für die Kunst (Kat.) Hamburg 1983/84, S. 210ff. Ein 1537 datierter Reliefstein nach der gleichen Vorlage nachgewiesen im Katalog Renaissance im Weserraum, München – Berlin 1989 Bd. I nr. 359.
    2. Vgl. Matthäus Bernards, Speculum virginum. Geistigkeit und Seelenleben der Frau im Hochmittelalter, Köln – Graz 1955, S. 31ff. und Taf. 2 und 3; ders., Um den Zusammenhang zwischen ‚Speculum virginum‘, ‚Dialogus de mundi contemptu vel amore‘ und verwandten Schriften, in: Recherches de Théologie ancienne et médiévale, Tom. XXXIV (1967) S. 84–130, hier S. 110f. – Ich verdanke diesen Hinweis Herrn Dr. Urban Küsters (Düsseldorf).

    Nachweise

    1. Parsimonius fol. 192–194v.

    Zitierhinweis:
    DI 30, Landkreis Calw, Nr. 219† (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0021902.