Inschriftenkatalog: Landkreis Calw

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 30: Landkreis Calw (1992)

Nr. 339 Hirsau, Klosterkirche St. Peter und Paul 1627

Beschreibung

Epitaph des Abtes Paulus Rucker. Erhalten blieben drei Fragmente. Das erste Fragment mit 3 Zeilen Schrift (unvollständig) war 1958 noch vorhanden, ist aber heute verschollen, der Text wurde nach einem Foto von Siegfried Greiner aufgenommen. Das zweite Fragment mit 6 Zeilen Schrift (unvollständig) ist durch die umlaufende Randleiste mit Scharrierung und durch Schriftvergleich als zugehörig bestimmbar und bietet die Zeilenenden 2–7; ebenso läßt sich ein drittes Fragment im Magazin mit 4 unvollständigen Schriftzeilen als zugehörig erkennen. Roter Sandstein; Magazin der Liegenschaftsverwaltung Inv. Nr. G 2, G 13. Der Text läßt sich aus der Literatur vervollständigen.

Wortlaut nach Fischlin.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Siegfried Greiner, Hirsau [1/3]

  1. BEATI [MORTVI]1)/PAVLVS RVCC[ERVS. JOHANNIS FILIVS, KI]RCH(EMI)O a)[-TECCIVS COENOBII HVIVS XXXVIII. SED REFORMATI VI. ABBAS, PRINCIPIS WIRTEMBERGENSIS CONSILIARIVS ET PATRIAE ANTISTES MERITISSIMVS, POSTQVAM ECCLESIAE CHRISTI MAVLBRONNAE III. BIETIGHEIMI I. WERNSHEMII III.b) IPTINGAE I. LEOBERGAE IV. BÖBLINGAE XXII. ET HIC X. ANNIS VOCE ET EXEMPLO, MAGNA FIDE ET DEXTERITATE INSERVIISSET, MINISTERII 44.c),MATRIMONII XLI. AETATIS LXIV. 9. JANUARII, 1627 ANNO, VITAE SIMILI PLACIDA MORTE OBDORMIENS, ATQVE HVC AD LAETVM VSQUE TVBAE DEI SONVM DEPOSITVS OMNIBVS ORDINIBUS MAXIMVM SVI DESIDERI]VM RELI[QVIT][SANCTA FIDES], VIRIDIS DO[CTRINA ET] CANDIDA VIT]AABBATIS P]AVLI CONDIT[A SVNT TVMVLO]

Übersetzung:

Paul Rucker, Sohn des Johannes aus Kirchheim unter Teck, 38. Abt dieses Klosters, seit der Reformation aber der 6. (Abt), hochverdient als Rat des Fürsten von Württemberg und als Landschaftsverordneter. Nachdem er der Kirche Christi in Maulbronn 3 Jahre, in Bietigheim 1 Jahr, in Wernsheim 3 Jahre, in Iptingen 1 Jahr, in Leonberg 4 Jahre, in Böblingen 22 Jahre, und hier (in Hirsau) 10 Jahre durch Wort und Beispiel in großer Treue und Tüchtigkeit gedient hatte, ist er im 44. Jahr seines (Kirchen)Dienstes, im 41. seiner Ehe, im 64. seines Lebens am 9. Januar des Jahres 1627 entschlafen. Sein Tod war friedlich wie sein Leben. Hier ist er beigesetzt bis zum frohen Schall der Posaune Gottes. Bei allen Ständen hat er das tiefste Bedauern über seinen Verlust hinterlassen.

Der fromme Glaube, die lebendige Gelehrsamkeit und das reine Leben des Abtes Paul sind beschlossen in (dieser) Gruft.

Kommentar

Der Stein hatte ein vertieftes Schriftfeld und eine umlaufende Leiste mit scharrierter Oberflächenbearbeitung. Die Schrift war offenbar in gleichen Zeilenlängen über das Mittelfeld verteilt, die Wiedergabe im Druck bei Fischlin kann jedoch nicht zeilengetreu erfolgt sein. BEATI ist auf dem Original nach rechts eingerückt, stellt also das erste Wort eines Votums dar, in der zweiten Zeile hat Fragment I noch PAVLVS RVCC, in der dritten Zeile RCHO. Das zweite Fragment gehört an den Textbeginn und bietet jeweils den Zeilenschluß von Zeile 2–7 (danach war FILIVS nur durch ein F dargestellt). Das Fragment III hat in einer Zeile VM RELI, davon abgesetzt VIRIDIS DO, dann CANDIDA VIT und AULI CONDIT. Damit lassen sich die Fragmente durch die Schriftreste als Beginn und Ende des Textes identifizieren, die Ergänzung durch den überlieferten Wortlaut stimmt damit überein2. Die beiden Schlußzeilen bilden ein Distichon, sie waren auf dem Original durch Zeilenzwischenraum von der Prosagrabschrift abgesetzt, aber nicht auf zwei Zeilen (wie es dem Vers entspricht), sondern auf drei Zeilen verteilt (Originalbefund des Fragments II). Verfasser des Epitaphs ist Johann Valentin Andreae.

Paul Rucker war Abt des Klosters von 1617–273. Der Fund der Fragmente beweist, daß wohl für die meisten Äbte des Klosters 1692 noch Grabplatten oder Epitaphien erhalten waren, die aber bei der Freigabe des Klosters als Steinbruch zerschlagen wurden. Auf anderen Fragmenten des Lapidariums lassen sich noch Worte entziffern, die ebenfalls auf Äbte hindeuten, ohne daß eine namentliche Zuweisung möglich wäre.

Textkritischer Apparat

  1. Abweichend von dem gedruckten Text hat das Fragment die Lesung RCHO, vermutlich Kürzung.
  2. So! Verschreibung für Welzhemii?
  3. Es ist zweifelhaft, ob hier wirklich im Original eine arabische Zahl stand und nicht XXXXIV zu lesen ist.

Anmerkungen

  1. Apoc. 14, 13. – Das Votum fehlt bei Fischlin. Das Zitat findet gegen Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend Eingang in die Grabinschriften, vorzugsweise offenbar in deutscher Sprache: vgl. DI 12 (Heidelberg) nrr. 416, 434, 435, 560, 598. Dazu auch Dieter Narr, Memento mori – Barocke Grabinschriften, in: Barock in Baden-Württemberg (Ausstellungskatalog), Karlsruhe 1981, Bd. 2, S. 201–12.
  2. Ludwig Melchior Fischlin, Memoria theologorum Wirtembergensium resuscitata, h. e. Biographia praecipuorum virorum qui a tempore reformationis usque hunc nostram aetatem … Ecclesiae Christi inservierunt … Pars I et II, Ulmae 1709, 1710. Hier Pars I p. 344.
  3. Pfeilsticker 1426, 1429, 3392.

Zitierhinweis:
DI 30, Landkreis Calw, Nr. 339 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di030h010k0033909.