Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 463 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek 1731

Beschreibung

Diptychon. Gemälde. Öl auf Holz. Die beiden gleich großen Tafeln sind durch zwei Scharniere und eine Hakenschließe verbunden. Die hintere Tafel trägt an der oberen Schmalseite eine Öse zum Aufhängen. In jede der beiden Tafeln eingelassen ist eine beidseitig bemalte Bildplatte. Auf dem vorderen Außenbild Brustbild des Herzogs Ludwig Rudolph mit lyraförmigem Saiteninstrument, darunter auf Sockel Inschrift A. Auf dem linken Innenbild vor idealer Landschaft Berg, bekrönt von Bienenkorb. Links daneben realistische Darstellung des Juleums, des Helmstedter Auditoriengebäudes. Zwischen Juleum und Bienenkorb in der Luft Bienenschwarm. Unter dem Bild auf separatem Feld Inschrift B. Auf dem rechten Innenbild vor gleicher Kulisse eine sich vom Juleum nähernde Reiterschar und eine sechsspännige Kutsche mit Vorreiter von rechts. In der Luft ein Bienenschwarm und ein Adler. Inschrift C oben außerhalb des Bildes, fortgesetzt auf separatem Feld unten. Auf dem hinteren Außenbild der Parnaß als dreigestufter Berg mit zwölf Figuren, nach den Attributen oben wohl Jupiter, halb darunter wohl Ludwig Rudolph über Apoll und vier Musen im mittleren Bereich; auf der untersten Ebene weitere fünf Musen. Rechts ein Dreifuß. In Kartusche unter der Darstellung Inschrift D. Inschriften gemalt, gelb auf bräunlichem (A, D) bzw. schwarz auf grau-grünlichem Grund (B, C).

Maße: H.: 31,3 cm; B.: 25,5 cm; Bu.: 0,2 cm (A, C, D), 0,4–0,5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis und Antiqua (A, C, D), Kapitalis (B).

Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel [1/4]

  1. A

    Cithara LVDOVICI RVDOLPHI et APOLONIS alma Virtutema) celebrat, justitiamq(ue) canit.

  2. B

    HELICONIS1) MELISSVS2). / MVSARVM AD ELMVM3) / AMOENA SEDESb).

  3. C

    IN / SERENISSIMI BR(VNSVICENSIS) AC LVN(EBURGENSIS) DVCIS / LVDOVICI RVDOLPHI // ACADEMIAE IVLIAE DIRECTORIS / MAGNIFICENTISSIMI / MVSARVM PATRIS, HELICONIS / PROTECTORIS, MELISSI DOMINI, / Ad Natalis Academiae Splendorem / A(nno) M D CCXXXI. d(ie) XV. octob(ris) augusto adventu / Laeta Heliconis Mellissi Studiac)

  4. D

    In Jove praesidium praestas LVDOVICE RVDOLPHE, Praesidium Musis, praesidiumq(ue) bonis4). Parnassus5) Tuus est, doctrinae oracula diva, Ornas qvod rectum, Te tripodesq(ue) sonant

Übersetzung:

Die segenspendende Zither Ludwig Rudolphs und Apolls feiert Tugend und besingt Gerechtigkeit. (A) Das Bienenhaus des Helikon – lieblicher Sitz der Musen am Elm. (B) Freudige Studien des Bienenhauses des Helikon beim erhabenen Besuch Ludwig Rudolphs, des durchlauchtigsten Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg, des Rektors Magnificus der Academia Julia, Vaters der Musen, Beschützers des Helikon, Herrn des Bienenhauses, zum Glanz des Geburtstages der Hochschule im Jahre 1731 am 15. Oktober. (C) In Jupiter (= in Jupiters Rolle) gewährst du Schutz, Ludwig Rudolph, Schutz den Musen, Schutz den Redlichen. Dein ist der Parnaß, dein die göttlichen Sprechstätten der Wissenschaft, du zeichnest aus, was recht ist, und dich besingen die Dreifüße. (D)

Versmaß: Elegische Distichen (A, D).

Kommentar

In einer Allegorie, nach humanistischer Schultradition mythologisierend, wird hier der Besuch des regierenden Herzogs Ludwig Rudolph als Jupiter-Apoll auf dem zum Helikon erhobenen Juleum gefeiert. Dort empfangen ihn die gleich den Bienen der Wissenschaft ergebenen Professoren und Studenten als ihren obersten Herrn. Bemerkenswert ist, daß die Kompetenzen sowohl des obersten Gottes Jupiter als auch des Musengottes Apoll hier in der einen Person von Ludwig Rudolph kumuliert werden.

Die Tafeln sind nicht signiert. Künstler und Entstehungsort sind nicht bekannt6). Es dürfte sich um eine von der Universität Helmstedt in Auftrag gegebene Arbeit handeln, die dem 1731 amtierenden Rektor Herzog Ludwig Rudoph7) zum Dank für seinen Besuch anläßlich der Feierlichkeiten zum 15. Oktober, dem Gründungstag der Universität, einige Zeit nach dem Jubiläum übermittelt worden ist. Das Ereignis hat auch eine literarische Würdigung gefunden in einem von der Universität zusammengestellten ausführlichen Bericht über die Festlichkeiten8). Anlaß zu dieser besonderen Gedächtnispflege – zu ihr gehört auch eine von Herzog Ludwig Rudolph gestiftete Münze9) – mag der mehrfach seitens der Universität betonte Umstand gewesen sein, daß es sich bei dem Besuch Ludwig Rudolphs um den ersten eines regierenden Herzogs am Gründungstag der Universität handelte, seitdem sie 1576 im Beisein von Herzog Julius und dessen Sohn Heinrich Julius feierlich eröffnet worden war. Die detailreichen Beschreibungen des Berichtes scheinen die Wiedergabe der den Empfang betreffenden Teile auf den Bildern als wirklichkeitsgetreu auszuweisen. So waren die der herzoglichen Karosse entgegenreitenden Studenten der 1. Quadrille rot bekleidet, die der 2. Quadrille grün, das fürstliche Jägerkorps trug grüne Kleidung mit Goldbesatz, Farben, die sich so auch auf den Gemälden wiederfinden. Für die in den lateinischen Inschriften zu beobachtende mythologische Erhöhung findet sich im Bericht nichts Entsprechendes. Ludwig Rudolph wird allenfalls als „Landessonne“ gefeiert. Die Rede des Theologen Christoph Timotheus Seidel, gehalten im Juleum, war auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs in deutscher Sprache abgefaßt. Eine Gelegenheit, kunstgerechte lateinische Elogen zu präsentieren, hat sich die Universität in den Inschriften des Diptychons geschaffen. Es ist mit Sicherheit einige Zeit nach dem Ereignis entstanden, da die Universität von dem etwas spontanen Besuch des Herzogs überrascht worden ist10). Fürstenlob anläßlich eines feierlichen Hochschulbesuchs in ein lateinisches Lobgedicht – wie in Inschrift B und D – zu kleiden hatte an der Helmstedter Universität Tradition11). Für die hier vollzogene Verbindung von Gelegenheitsgedicht und Malerei scheint sich indes aus dem Umfeld der Universität Helmstedt kein weiteres Beispiel erhalten zu haben.

Textkritischer Apparat

  1. Virtutem] Unterstrichen.
  2. AD ELMVM, SEDES] Unterstrichen.
  3. Heli Me Stud ] Unterstrichen. Die unterstrichenen Teile spielen auf den Namen Helmstedts an, das sonst nicht genannt wird.

Anmerkungen

  1. Gebirge in Böotien, Sitz der Musen.
  2. melissus wird hier als latinisierte Form des griechischen ὁ μελισσών „Bienenhaus“ verstanden. Bienen galten wegen der ihnen zugeschriebenen besonderen geistigen Eigenschaften in der griechischen Antike u. a. als Musenbegleiter, vgl. RE 5 (1897), Art. „Biene“, Sp. 431ff, hier Sp. 447f. Vom Musenberg Helikon heißt es entsprechend, daß er „von Bienen beweidet“ sei, Anthologia Graeca 9, 523. Der Vorschlag Volkmanns, Kat. Universität Helmstedt, S. 75, in Berg und Bienenstock eine Anspielung auf das Universitätswappen (Simson mit dem Löwen) und die der dazugehörigen Devise „Ex forti dulcedo“ (Idc. 14,14) zugrundeliegende Erzählung vom Bienenhonigmahl des Simson zu sehen, erscheint angesichts des insgesamt antiken Kontextes weniger einleuchtend.
  3. Höhenzug bei Helmstedt.
  4. Zu bonis vgl. S. 37f. der Einleitung.
  5. Gebirge oberhalb von Delphi, Musenberg und Sitz Apolls, dessen Priesterin in Delphi mit Hilfe des Dreifußes ihre Orakelsprüche verkündete.
  6. Vgl. Kat. Sammler Fürst Gelehrter, S. 362. Ebensowenig kann die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Auskunft geben, seit wann sich das Diptychon in ihrem Besitz befindet.
  7. Matrikel Helmstedt, Bd. 3, S. 334.
  8. Beschreibung Von dem Einzuge welchen .. Ludewig Rudolph .. Nebst Dero Frau Gemahlin Auch Frauen Schwester .. den 15ten Octobr(is) dieses 1731ten Jahres An welchem das Universitaets=Fest einfiel gehalten haben Nebst der ORATION die an diesem Tage .. ist gehalten worden, Helmstedt o. J. (Vorrede datiert auf 14. Nov. 1731), Exemplar Nieders. Landesbibliothek Hannover C 15770.
  9. Der „Beschreibung“, wie Anm. 8, beigebunden ist die Dankesrede für die Gedenkmünze, die der Theologe David Otto Wahrendorff am 31. Dezember 1731 im Juleum hielt.
  10. In der Vorrede der „Beschreibung“, wie Anm. 8, bedauert die Universität, daß die kurze Zeit der Vorbereitung vollkommenere Freudenbekundigungen verhindere. Herzog Ludwig Rudolph, der sich seit einigen Wochen auf Schloß Langeleben, Landkreis Helmstedt, aufhielt, hatte erst am Abend des 14. Oktober seinen Besuch ankündigen lassen.
  11. Heinrich Meibom d. Ä. (1555–1625), Professor für Dichtkunst und Geschichte, verfaßte 1586 ein als Einblattdruck vervielfältigtes und später zum zweiten Mal in seinen „Sylvae“ veröffentlichtes Eidyllion, als der Universitätsgründer Herzog Julius zusammen mit Johann Kasimir, Pfalzgraf bei Rhein, die Universität besuchte, vgl. NHStA Hannover Cal. Br. 21, 3989 und Heinrich Meibom, Parodiarum Horatianarum libri duo. Item Sylvarum libri duo, Helmstedt 1588, dort Sylvarum liber secundus, S. 34f. Auf dessen Nachfolger Herzog Heinrich Julius, amtierenden Rektor der Universität, der zu einem nicht genannten Zeitpunkt seine Hochschule besuchte (Archigymnasium suum Helmstadii invisentem), dichtete Meibom eine Elegie, in der bereits wie auch 1731 der vom Fürsten gewährte Schutz – praesidium – betont wird, vgl. ebenda, Sylvarum liber primus, S. 9f.

Nachweise

  1. Volkmann, Kat. Universität Helmstedt, S. 75 (nur C in Abb. auf dem äußeren Umschlag).

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 463 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0046303.