Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 61: Stadt Helmstedt (2005)

Nr. 447 Am Ludgerihof 1716

Beschreibung

Portal, sog. Türkentor. Das Eingangstor zum ehemaligen Kloster St. Ludgeri stand bis zu seiner Zerstörung bei einem Bombenangriff am 20. Februar 1944 etliche Meter weiter westlich, direkt auf der zum heutigen Stadtring gehörenden Straße „Am Ludgerihof “. Wiederaufbau am jetzigen Standort 1987 unter Verwendung von zahlreichen Originalsteinen1). Dreiachsige Anlage mit breiter Durchfahrt in der Mitte und zwei schmaleren Durchgängen rechts und links, deren rechter nicht bis zum Boden geöffnet ist. Gebälk und Giebel des Mittelteils getragen von zwei Paar dorischen Pilastern, die niedrigeren Seitenflügel durch Voluten mit dem Mittelteil verbunden. Inschrift A im Giebel halbkreisförmig um Medaillon. Darin Reichsadlerwappen. Darunter im Fries Inschrift B. Inschrift C im Fries über den linken Pilastern als Beischrift zu einer Sonne, Inschrift D im Fries über den rechten Pilastern als Beischrift zu einem abnehmenden Halbmond. Jahreszahl E mit je zwei Ziffern links und rechts des ein Wappen tragenden Schlußsteins im mittleren Torbogen. Im Fries über den Seitenbögen links Wappenschild mit Mitra, gekreuzten Abtsstäben und Schwert, darunter Inschrift F, rechts rekonstruiertes Vollwappen, darunter rekonstruierte Inschrift G. Inschriften eingehauen und farbig gefaßt.

Inschrift G und Ergänzungen in Inschrift F nach der auf Behrends beruhenden Rekonstruktion von 1987, Ergänzungen in Inschriften A und B nach der auf Meier beruhenden Rekonstruktion von 1987.

Maße: Bu.: ca. 9–10 cm (Zahlzeichen), ca. 6 cm (A), ca. 7 cm (B), ca. 4 cm (C, D), ca. 2,5 cm (F).

Schriftart(en): Antiqua mit Kapitalis (A, B), Kapitalis (C, D, F).

Sabine Wehking [1/1]

  1. A

    RegnVMDILatante [CAROLO seXto]a)

  2. B

    Anno ConfLICtVs, VbI T[hraX e]st MVstapha VICtVs, TVrCICa porta rVI[t nost]raqVe strVCta fVIt

  3. C

    PAR AUSTRIA / SOLI

  4. D

    PAR TVRCIA / LVNAE

  5. E

    17//16

  6. F

    [SUB REV(ERENDISSIMO)b) ET ILLUSTRI]SSIMO / [D(OMI)NO D(OMI)N(O) COELESTI]NO / SA[C(RI) ROM(ANI) ABBATE IM]PERIIc)

  7. G †

    V(ENERABILIS) DOMINUS / ROBERTUS P(RAE)P(OSI)TUS / HANC PORTAM POSUIT

Übersetzung:

Zu der Zeit, als Karl VI. das Reich ausdehnte (A),

im Jahre des Krieges, als der Thraker Mustapha besiegt worden war, stürzte die türkische Pforte ein und die unsrige wurde errichtet. (B)

Österreich gleicht der Sonne. (C)

Die Türkei gleicht dem Mond. (D)

Unter dem ehrwürdigsten und durchlauchtigsten Herrn, Herrn Coelestin, des Hl. Römischen Reiches Abt (F),

errichtete der ehrwürdige Herr Propst Robert dieses Portal. (G)

Versmaß: Chronodistichon, zweisilbig leoninisch gereimt. (B)

Wappen:
Hl. Römisches Reich/Kaiser Karl VI.2)
Kloster Werden und Helmstedt3)
Abt Coelestin von Geismar4), Propst Robert Verbockhorst5)

Kommentar

Die Inschriften A und B enthalten jeweils ein Chronogramm auf das Jahr 1716.

Das „Türkentor“ – „einzigartig als Triumphtor in Norddeutschland“6) – wurde anläßlich des Sieges des österreichischen Feldherrn Eugen von Savoyen über ein türkisches Heer bei Peterwardein 1716 errichtet. TVrcICa porta bezeichnet die türkische Regierung, die „Hohe Pforte“. ThraX .. MVstapha dürfte hier nicht wörtlich zu verstehen sein, sondern angesichts der außerordentlichen Verbreitung des Namens „Mustapha“ kollektiv die Türkei bezeichnen. Tatsächlich wurde bei Peterwardein der türkische Großwesir Ali Pascha geschlagen. An der Spitze des osmanischen Reiches stand um diese Zeit ebenfalls kein Mustapha, sondern Ahmed III., Bruder Mustaphas II.7) Für die Wahl der Formulierung ThraX .. MVstapha waren möglicherweise metrische Gründe und die Regeln des Chronogramms ausschlaggebend. Mit Wappenschmuck und Inschriften ehrte der Erbauer des Tores, Propst Robert Verbockhorst, den regierenden Kaiser Karl VI. und betonte damit gleichzeitig die Reichsunmittelbarkeit des Klosters (vgl. auch zu Nr. 457).

Textkritischer Apparat

  1. Zwischen DILatante und CAROLO Krone.
  2. REV.] Rev.mo Behrends. Die Abkürzung Rev.mo ist im Klosterbezirk nicht belegt und wurde auch nicht durch den auf dem Stein vorhandenen Platz gestützt.
  3. Die Wortstellung ist ungewöhnlich. Behrends überliefert mit der ihm eigenen Freiheit beim Abkürzen Sac. Rom. Abbate Imper. Das erhaltene Steinfragment bot: SA[ – – – ]PERII. Beides zusammen ergab die 1987 am Tor angebrachte Inschriftenfassung.

Anmerkungen

  1. Ausweisung der nichtoriginalen Steine und Inschriftenteile hier nach der frdl. Auskunft des Leiters der Steinmetzschule Königslutter, Herrn Studiendirektor W. Itter, der 1987 die Restaurierung leitete, lt. Schreiben vom 11. 3. 1991.
  2. Wappen Hl. Römisches Reich/Kaiser Karl VI.: gekrönter Doppeladler mit Schwert und Zepter. Auf seiner Brust gekrönter und von den Insignien des Ordens vom Goldenen Vließ umgebener Schild. Dieser gespalten, r. Balken (Österreich), l. Turm (Kastilien). Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 1. Abt., 2. Teil, ND Bd. 2, S. 8.
  3. Wappen Kloster Werden und Helmstedt: gekreuzte Abtsstäbe. Vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, 5. Abt., 2. Reihe, ND Bd. 8, S. 26.
  4. Wappen Abt Coelestin von Geismar: quadriert durch Kreuz, Herzschild gekreuzte Abtsstäbe. 1. und 4. Doppeladler, 2. und 3. geteilt, oben wachsender Adler, unten Rad. Vgl. Siebmacher, wie Anm. 3.
  5. Wappen Propst Robert Verbockhorst: geteilt, oben gekreuzte Abtsstäbe, unten Ziegenbock. Vgl. Siebmacher, wie Anm. 3.
  6. Römer, Helmstedt, St. Ludgeri, S. 187.
  7. Vgl. B. Spuler, Regenten und Regierungen der Welt, T. 2, Bd. 3, 2. Auflage, Würzburg 1962, S. 407 und 412. – C. Simm, Entstehen, Vergehen und Zukunft des „Türkentors“, in: Helmstedter Allgemeine Zeitung, 17. 5. 1952, möchte MVstapha als Hinweis auf den türkischen General Kara Mustapha Pascha verstehen. Kara Mustapha Pascha hatte zusammen mit dem General Dschanum-Khodscha die Insel Korfu im Sommer 1716 vergeblich belagert. Das Türkentor soll nach Simm damit auch an den im benachbarten Emden bei Magdeburg geborenen Johann Matthias von der Schulenburg erinnern, der diesen Nebenkriegsschauplatz im Dienste des mit Österreich verbündeten Venedig erfolgreich verteidigt hatte. Zu den Ereignissen vgl. N. Jorga, Geschichte des osmanischen Reiches, Bd. 4, Gotha 1911, S. 340f.

Nachweise

  1. Behrends, Diplomatarium, S. 227.
  2. Meier, Kunstdenkmäler, S. 31 (A–D).
  3. Henze, Inschriften Ludgeri, S. 91 (A–D).
  4. Kapp, Kunstinventar Ludgeri, Bau- und Datierungsinschriften, S. 34.

Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 447 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0044709.