Inschriftenkatalog: Stadt Helmstedt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 61: Stadt Helmstedt (2005)
Nr. 29 St. Marienberg E. 15. Jh.
Beschreibung
Altarretabel. Holz, farbig gefaßt. Im Chor. Der aus zwei übereinandergestellten Flügelretabeln bestehende Altaraufsatz ist in den Jahren 1864/65 überarbeitet worden, wobei mehrere Figuren erneuert worden sind1). In der Mitte des oberen Retabels Maria mit Kind im Strahlenkranz auf Halbmond. Zu beiden Seiten in zwei Reihen übereinander je zwei männliche Heilige, in gleicher Anordnung weitere je sechs männliche Heilige auf den beiden Seitenflügeln. Darüber auf Leiste je zwei Medaillons mit Prophetenbildnissen, gemalt. Die entsprechenden drei Medaillons über dem Mittelteil sind leer. Im kleineren unteren Retabel in der Mitte vergittertes Hostienschränkchen. Rechts und links davon in zwei Reihen übereinander je drei weibliche Heilige. Alle Figuren unter Kielbögen mit Schleierwerk, geschnitzt. Auf den beiden Seitenflügeln des Unterbaus je zwei Evangelisten in Ganzfigur, gemalt, mit den zugehörigen Symbolen. Inschrift A am fünfseitigen Sockel der Muttergottesfigur, verteilt über die vier rechten Felder. Im linken, ersten Feld Ornamentreste. Inschriften B–E jeweils über dem Nimbus der Evangelisten. Die u tragen übergeschriebene spitze Häkchen. Inschriften gemalt. Inschrift A bei der letzten Restaurierung ausgespart. Dunkelrote Farbreste über einer blaßgoldenen, älteren Schicht in jetzt braunem, früher einmal goldenem Umfeld. Inschriften B–E restauriert, gold auf rotbraunem Grund. Worttrenner in A paragraphzeichenförmig. In den restaurierten Inschriften B–E haben sie die Form von Quadrangeln.
Maße: H.: 225 cm; B.: 136 cm (Schrein), 47,5 cm (Seitenflügel des Unterbaus); Bu: 2 cm (A), ca. 1,2 cm (B–E).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal in gotischer Majuskel (A), mit Frakturversalien (B–E).
- A
Maria / · m(ate)r · gr(atia)e · m(ate)r · mi(sericordia)ea)2) · / tu vas · / s(anctae) t(rinitatis)b)3)
- B
· Sa(n)ctus · lucas ·
- C
· Sa(n)ct(us) · marcus ·
- D
· Sa(n)ct(us) · matheus ·
- E
· S(an)c(t)us · ioha(n)nes ·
Übersetzung:
Maria, Mutter der Gnade, Mutter des Erbarmens, du Gefäß [der heiligen Dreifaltigkeit]. (A)
Versmaß: Zwei endgereimte ambrosianische Hymnenverse. (A Maria ... misericordiae)
Textkritischer Apparat
- Kürzungszeichen in m(ate)r über dem letzten Schaft des m und über r, in gr(atia)e über re, in mi(sericordia)e über dem letzten Schaft des m und über ie.
- Der linke Teil des s in s(anctae) ist teilweise von einer auf das Holz aufgetragenen Restaurierungsmasse bedeckt. Der hier als t gelesene Buchstabe läuft unten in einen nach beiden Seiten breit gegabelten Schaft aus – anders als das restaurierte t der Inschriften B–E und das allerdings schlecht erhaltene in tu. Kürzungszeichen scheinen zu fehlen, es sei denn, man deutet die rechts unterhalb des t-Balkens befindlichen beiden Querstriche als solche. Zur vorgeschlagenen Ergänzung s. Kommentar.
Anmerkungen
- Vgl. dazu Erinnerungsblätter aus dem Kloster St. Marienberg (Verfasserin Luise von Veltheim, geschrieben 1896), (Helmstedt) 1909, S. 34ff. Zum originalen Bestand und zur Bestimmung der Heiligen im einzelnen vgl. Lutz, Marienberg, S. 21f.
- Beginn einer Mariensequenz, vgl. Analecta hymnica, Bd. 39, Nr. 72, S. 68. Die beiden Verse finden sich auch auf einem der Maria gewidmeten Wandteppich von 1501 in der Kirche Notre-Dame in Beaune, Burgund, unter dem Stifterbild und auf einer nicht erhaltenen Glocke in Hildesheim, beide Male mit gleichlautender, sich von der Helmstedter Inschrift unterscheidender Fortsetzung. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 747.
- Analecta hymnica, Bd. 39, Nr. 51, S. 54, Strophe 2b, Vers 1 Tu vas sanctae trinitatis.
- Meier, Kunstdenkmäler, S. 42.
Zitierhinweis:
DI 61, Stadt Helmstedt, Nr. 29 (Ingrid Henze), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di061g011k0002908.
Kommentar
Inschrift A galt 1896 als unleserlich4). Die Quelle der Inschrift, eine Mariensequenz aus dem 13. Jahrhundert, fährt nach misericordiae fort relevamen miseriae / gloriosum. Dieser Text scheidet, da tu vas sicher zu lesen ist, als Fortsetzung aus. Der Buchstabenbefund legt die in einer anderen Mariensequenz belegte Fortsetzung sanctae trinitatis (vgl. Anm. 3) nahe.
Der Altar entstand im Zusammenhang mit dem Umbau des Chores Ende des 15. Jahrhunderts. Der hohe Rang der Marienverehrung um diese Zeit ist hier und anderswo ablesbar, vgl. Nrr. 26 und 30.