Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 268 St. Martini 1626

Beschreibung

Epitaph für den Richter Simon Gleissenberg;1) an der Westwand des nördlichen Seitenschiffes in 42,5 cm Höhe angebracht; Sandstein, hell, Holz mit Resten einer Farbfassung; bestoßen, sonst bis auf einige Überputzungen (Schriftverlust) gut erhalten; Relief, im Hauptfeld unter einer geschweiften mit Ohrmuschelwerk geschmückten Arkade, in den Zwickeln je ein Vollwappen, die Halbfigur des Verstorbenen mit Halskrause, gefälteltem Mantel mit breitem Kragen, einer Weste mit Knopfleiste und gebundener Schleife bekleidet, in der Linken ein Handschuhpaar; im Giebelaufsatz in einer von zwei liegenden Genien gehaltenen ovalen Kartusche zeilenweise der Sterbevermerk (A), am Rand des Hauptfeldes auf drei Seiten einzeilig umlaufend das Bibelzitat (B), beide Inschriften eingehauen und ehemals schwarz eingefärbt, auf dem hölzernen Einsatz im unteren Drittel des Epitaphs, der nach oben hin durch einen Rankenfries mit Diamantquadern abgeschlossen wird, in einer von Pilastern flankierten und von Knorpel- und Ohrmuschelwerk umgebenen Kartusche schwarz auf Graubraun aufgemalt das Totengedicht mit Initialen (C).

Maße: H. 233,5 cm, B. 117 cm, T. 17 cm, Bu. 2,2 cm (A), 4,8 cm (B), 2,2 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis (A, B), Fraktur (C).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    SIMON GLEISSENBERGK / IVDEX HALBERSTADENSIS / PATER XII LIBERORVM / NASC(ITVR)a) · WERNINGER(ODAE)b) · A(NN)O · 1574 / MORIT(VR)c) · HALBERST(ADII)d) · XIV SEPT(EMBRIS)e) · / A(NN)O 1626AET(ATIS)f) · SVAE · 52 ·

  2. B

    ESAIE · 56 · DENg) DIE GERECHTEN · WERDEN WEGGERAFFTh) FVR / DEM VNGLVCKg) · VND DIEi) RICHTI[G F]VR / SICH GEWANDE[LT]j)HABEN · KO(M)MENk) ZVM FRIEDE · VND RVHEN IN IHREN KAMERNk) 2)

  3. C

    Nunc , quod eram , non sum , meliore at sorte triumphare / Mortuus [i]n ferrisl) caesumm) habitando beor / Viuus eram iudex , nunc judicis ante tribunal3) / Audio , quae merces sit , maneat bonos, / Nempe , perennia gaudia , jubila , uitaq(ue) beata, Absq(ue) labore quies , absq(ue) dolore salus , / M. G.

Übersetzung:

A: Simon Gleissenberg, Richter aus Halberstadt, Vater zwölfer Kinder, geboren in Wernigerode im Jahr 1574, stirbt in Halberstadt am 14. September im Jahre 1626, seines Alters 52. C: Was ich war, bin ich nicht, aber doch frohlocke [ich] jetzt über das bessere Schicksal. Gestorben auf Erden, werde ich erfreut dadurch, daß ich im Himmel zu Hause bin. Als Lebender war ich Richter, jetzt vor dem Gericht des Richters höre ich, was der Lohn sei; freilich, möge sicher beschieden sein, daß die Guten die ewigen Freuden, Jubellieder und das selige Leben und ohne Arbeit Ruhe und ohne Schmerz das Heil [haben].

Versmaß: Drei elegische Distichen (C).

Wappen:
Gleissenberg4)unbekannt5)

Kommentar

Die Kapitalis der Inschrift A ist eine ausgewogene Schrift von schönen Proportionen mit Serifen an Hasten-, Balken- und Bogenenden. A kommt nur in spitzer gleichmäßiger Form vor. Der untere Bogen des B ist etwas breiter als der obere, die Strichstärke leicht verstärkt. C zeigt eine tiefe Wölbung. Das obere Bogenende des G ist mit einem kräftigen Sporn versehen, die angesetzte Cauda ist breit. Die obere Schräghaste des K verläuft gebogen, die untere leicht geschwungen und spitz auslaufend. Die Seitenhasten des M stehen gerade, der Mittelteil ist verkürzt. O hat eine leicht spitzovale Form. Die leicht geschwungene Cauda des R wird weit nach rechts und zur Grundlinie gezogen. W besteht aus zwei verschränkten V. Das obere Bogenende der 6 ist weit nach rechts gezogen.

Die Schriftformen der Inschrift B sind etwas übertriebener als diejenigen von A, jedoch von der Anlage her ähnlich. Die Serifen werden noch stärker betont. C zeigt schmalere Proportionen. Das obere Bogenende des G ist noch weiter nach unten gebogen. Beide Schräghasten des K verlaufen gebogen und werden zum Ende hin spitz. Die seitlichen Hasten des M sind stärker geneigt. O ist ovaler als in A. Der linke Balken des T ist kürzer als der rechte, beide jedoch insgesamt länger als in A. Z weist einen Querbalken auf. Die Serifen sind breiter und stärker eingekerbt als in A.

Die Versalien der Inschrift C haben leicht geschwungene Schäfte. Die Oberlängen werden nach rechts umgebogen, die Unterlängen nach links oder sie laufen spitz zu. Die Schrift ist in ihrem ersten Teil stärker an der gotischen Minuskel orientiert. Gegen Ende verstärkt sich der Fraktureinschlag. Der Bogen des a ist leicht gebrochen bis rund. Derjenige des b ist gerundet bis geschwungen. Der mittlere Bogenverlauf des e ist leicht nach rechts durchgebogen. Der Schaft des d ist gerade und läuft spitz aus. Der Bogen ist geschlossen und klein. Das h zeigt keine Unterlänge. Im oberen Textteil ist das o gebrochen, im unteren runder gestaltet. Der Schaft des p wird ebenso nach links umgebogen wie q, das aber auch spitz auslaufen kann. Die Fahne des r wird durch nur ein Häkchen gebildet. Nur rund kommen u und v vor. Aus zwei gegeneinandergestellten Bögen besteht das x, das ein Balken in der Mitte durchschneidet. Als Worttrenner werden Quadrangel benutzt. Interessant ist, daß die oft dem Lateinischen vorbehaltene Kapitalis in der Inschrift B auch für deutschen Text verwendet wird, während die meistens dem Deutschen vorbehaltene Fraktur in Inschrift C für das lateinische Gedicht benutzt wird. Inschrift C könnte auch restauratorisch überarbeitet worden sein.

Simon Gleissenberg war Stadtschreiber und Stadtrichter; vgl. Nr. 218. Auf seine Entscheidung hin mußten etwa die Franziskaner im Jahr 1616 die Stadt verlassen.6) Sein gleichnamiger Vater wird im Visitationsbericht von 1589 für den Ort Schauen (bei Osterwieck/Harzkreis) als Steuererheber genannt.7) Wenn die Initialen MG am Ende des Textes den Autor bezeichnen sollten, könnte es sich durchaus um einen Verwandten des Verstorbenen handeln.

Textkritischer Apparat

  1. NASCITVR] Kürzungszeichen fehlt.
  2. WERNINGERODAE] Kürzungszeichen fehlt.
  3. MORITVR] Kürzungszeichen fehlt.
  4. HALBERSTADII] Kürzungszeichen fehlt.
  5. SEPTEMBRIS] Kürzungszeichen fehlt.
  6. AETATIS] Kürzungszeichen fehlt.
  7. DEM–VNGLVCK] Scriptura continua.
  8. WEGGERAFFT] Der zweite Buchstabe beschädigt. Das zweite F unter das erste geschrieben.
  9. VND DIE] Scriptura continua.
  10. SICH GEWANDELT] Scriptura continua.
  11. KOMMEN–KAMERN] Scriptura continua.
  12. ferris] Sic! Wohl für terris.
  13. caesum] Sic! Wohl für caelum.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu BKD, S. 498.
  2. Jes 57,1–2.
  3. Nach Rm 14,10? Die Wendung kommt häufig in Arengen von Ablaßurkunden vor. Ob der Verfasser solche gekannt hat, ist unwahrscheinlich.
  4. Eine Pflanze aus drei dreiblättrigen Kleeblättern auf einem Rasensoden, HZ: wachsend ein Mensch, über der Schulter eine Stange mit zwei Wimpeln.
  5. Verschränkte Gegensparrenleiste, darin ein dreiblättriges Kleeblatt, HZ: die Wappenfigur. Nach dem Wappen wohl die Familie Dibbe; vgl. Nr. 186 † und Nr. 260.
  6. Derling 1748, S. 61.
  7. Nebe 1880, S. 96.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 268 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0026800.