Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 16 Liebfrauen n. 1362–v. 1378?

Beschreibung

Gedenkstein für Johannes von Alsleve in Form einer Grabplatte; ehemals am westlichen Ende der Vorderfront des Ratskellers „rechts von der Aufgangstreppe“,1) Holzmarkt 24,2) heute an der Südwand des Kreuzgangs; Kalkstein, der ehemals zu drei Vierteln eingemauerte Stein3) beschädigt, ein Riß geht quer durch die Platte, die linke untere Schriftleiste ist ausgebrochen, Bestoßungen, Abplatzungen, fast alle Buchstaben beschädigt, Schriftverlust; im Binnenfeld links kniet vor einem Kreuz von geschweiftem Umriß mit einem Vierpaßdurchbruch in der Kreuzvierung ein betender Mann mit langem, lockigen Haar, in weltliche Kleidung, einen einfachen Hemdrock, der nicht bis zu den Knöcheln reichte, mit engen Ärmeln, darüber ein ärmelloses Gewand (Suckenie), einen auf der Hüfte getragenen, geschlungenen Gürtel und Schnabelschuhe gekleidet, am Rand zwischen eingehauenen Linien einzeilig umlaufend der eingehauene Sterbevermerk.

Ergänzt nach UB Stadt Halberstadt.

Maße: H. 178,5 cm, B. 133 cm, T. 14,7 cm, Bu. 6,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. [ANNO · DOMINI · M · CCC - - -] F[E]RIA · SECVND(A)a) · ANTE · AS/CENSIONE(M)b) · D(OMI)NI · FVIT · I(N)TERFECTVSc) / [I]OHANES · DE ALSLEVE · CV[IVS · A(N)I(M)A ·] REQVIES/CAT · INd) PACE · AMENe) ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn eintausend dreihundert [- - -] am Montag vor Himmelfahrt des Herrn ist getötet worden Johannes von Alsleben.4) Dessen Seele ruhe in Frieden, Amen.

Kommentar

Bogenschwellungen werden bei meist geradem Innenkontur gerne spitz ausgezogen. Schaft-, Balken- und oft auch Bogenenden sind keilförmig verbreitert. Als Worttrenner wurden Punkte und Rauten benutzt. Der linke Schaft des pseudounzialen A zeigt links eine Bogenschwellung, der rechte Schaft greift nach links über den linken hinaus. Die Bogenschwellung des C ist nur mäßig, der Buchstabe durch einen Zierstrich abgeschlossen. Die Schaftenden des leicht nach rechts durchgebogenen Schafts des kapitalen D gehen oben und unten über den Bogenansatz hinaus. Das Binnenfeld ist in beiden vorkommenden Fällen zerstört. Ein unziales D im Wort SECVNDA ist unsicher in der Lesung. Ausschließlich unzial kommt das E vor. Es zeigt Bogenschwellung und Abschlußstrich. Am F sind keilförmig verbreiterte Schaft- und Balkenenden zu beobachten. Keilförmige Schaftverbreiterungen kennzeichnen auch H und L. Unziales M kommt nur in der symmetrischen Form vor. Im Gegensatz zu dem gerade verlaufenden Mittelschaft sind die beiden seitlichen Bögen, deren äußerste Abschnitte nach links bzw. rechts abgeknickt werden (Basisstriche), mit Bogenschwellungen versehen. Kapitales N ist schmal proportioniert, die Schaftenden sind keilförmig verbreitert, die verbindende Schräghaste ist sehr kurz, einmal kommt die retrograde Buchstabenform vor. Der Schaft des unzialen N ist leicht nach rechts durchgebogen, der außen mit einer Bogenschwellung versehene Bogen am Ende nach rechts umgebogen. Die mittleren Bogenabschnitte des O zeigen eine Bogenschwellungen. Das untere Schaftende des P ist stark keilförmig verbreitert. Die gerade, spitz auslaufende Cauda des Q geht vom unteren rechten Bogenabschnitt aus. Die Bogenenden des S sind stark verbreitert. Eine Bogenschwellung nach rechts zeigt sich im mittleren Bogenabschnitt. Schaft- und Balkenenden des kapitalen T sind keilförmig verbreitert. Der Balken der unzialen Form ist meist kürzer, der Bogen mit Bogenschwellungen sowohl am linken wie am rechten Bogenabschnitt, jeweils nach links, versehen. Die oberen Schaftenden des spitz zulaufenden V sind keilförmig verbreitert.

Bei dem Stein dürfte es sich um eine Sühnetafel handeln. Es ist jedoch nicht, wie Scheffer vermutete, die Gedächtnistafel oder die Grabschrift des Gründers des Franziskanerklosters St. Andreas, das Graf Heinrich von Regenstein an der Stelle hatte errichten lassen, an der 1461 der Ratskeller erbaut wurde.5) Die Tafel gehört, wie Schmidt richtig annahm und wie die Schriftformen bestätigen, der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an.6) Bei dem Getöteten könnte es sich mit Hinblick auf die Entstehungszeit der Tafel um den Halberstädter Bürger Iohannes de Alsleve handeln, der als Zeuge einer lateinischen Urkunde des Jahres 1362 erwähnt wurde.7) Dieser wird in den Jahren 1378 und 1382 – in deutschsprachigen Urkunden – unter der deutschen Namensform Hans van Alsleve genannt und war vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon verstorben.8) Von einem gewaltsamen Tod des Erwähnten erfahren wir jedoch nichts. Der Genannte stammt nicht aus dem ministerialischen Geschlecht derer von Alsleben, sondern gehörte einer Familie van Alsleve aus der Halberstädter Bürgerschaft an. Die Zeugenschaft in einer die Provision der Stadtpfarre betreffenden Urkunde, die Kleidung des Dargestellten sowie seine Aufführung unter den Bürgern erweisen seine bürgerliche Abkunft, die Aufstellung des Sühnesteins läßt an Zwistigkeiten der Familie im Bürgerschaftsverband denken; vgl. dazu auch Nr. 37 (†).

Textkritischer Apparat

  1. SECVNDA] Kürzungszeichen fehlt.
  2. ASCENSIONEM] Kürzungszeichen fehlt. Das N retrograd.
  3. INTERFECTVS] Kürzungszeichen fehlt.
  4. IN] N retrograd.
  5. AMEN] Die Buchstaben aus Platzgründen gespreizt.

Anmerkungen

  1. Scheffer 1864, S. 6 f.; vgl. auch UB Stadt Halle Bd. 2, Taf. VI und Erläuterungen S. 547; Zschiesche 1895, S. 117 mit einer teilweisen Übersetzung des Textes; BKD, S. 467 mit einer Inhaltsangabe.
  2. Noch vor 1937 befand sich der Stein dort, so daß zu vermuten ist, daß er nach den Zerstörungen vom 8. April 1945 gerettet worden und, nachdem er zunächst im Museum untergebracht worden war, schließlich 1977 in den Kreuzgang der Liebfrauenkirche verbracht worden ist; vgl. Niebelschütz 1937, Abb. S. 63; Kunze 2001, Abb. S. 2; Bolze 1993, S. 64.
  3. Offensichtlich konnte der ehemals sich unterirdisch befindende Teil bei der Bergung ausgegraben und bei der Aufstellung 1977 im Kreuzgang hinzugefügt werden; ebd.
  4. Vgl. Zschiesche 1895, S. 183 f.
  5. Scheffer 1864, S. 29; siehe zum Standort des Franziskanerklosters auch Ulpts 1997, S. 216 mit Anm. 24 und danach Todenhöfer 2007, S. 89, die beide den Platz gegenüber, an dem sich später die Kommisse befunden hatte, als Gründungshaus bezeichnen. Ulpts zitiert jedoch richtig Winnigstedt bei Abel 1732, S. 352 den Ort „da anitzo des Rats Weinkeller“ sich befand.
  6. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, Taf. VI und Erläuterung S. 547 f.
  7. UB St. Johann, Nr. 254 S. 267.
  8. UBHH Bd. 4, Nr. 2908 S. 216, Nr. 2949 S. 251; so versteht auch Schmidt die beiden Urkunden, der im Register Iohannes von Alsleben als verstorben kennzeichnet, ebd., S. 633 v. Alsleben.

Nachweise

  1. UB Stadt Halberstadt Bd. 2, S. 548 mit Abb. Taf. VI.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 16 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0001606.