Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 234† Franziskanerstraße 4 † 1611

Beschreibung

Am Haus sollen „nach einer alten Aufzeichnung“, die sich „im Besitze des Herrn Professor Schatz hier“ befand und die Scheffer in „möglichst getreuer Abschrift“ aufgenommen hat, die Bauinschrift mit Jahresangabe (A) und im Anschluß daran zwei Medaillons angebracht gewesen sein; das erste zeigte nach der beigefügten Bildbeischrift (B) wohl eine Darstellung des Patrons der Diözese, St. Stephanus, und die „kreisförmig“ umlaufende Devise (C), das zweite mit der Bildbeischrift (D) möglicherweise das Halberstädter Stadtwappen mit der umlaufenden Devise (E). In der Zeile darunter befand sich der Sinnspruch (F) in Griechisch, der nach einem Zusatz von späterer Hand erst bei einer Reparatur des Gebäudes 1772 „unter einem bretternen Verschlag noch mit goldenen Buchstaben entdecket worden“ war.1)

Text nach Scheffer.

  1. A

    Salve Viator siste gradum paucis te volo nam ego Guilielmus Budaeus Doctor medicus ast in hoc mundo veluti peregrinus peregrino in fundo aedes hasce senatorias olim sub D(ivi)a) Stephani auspicio equestrem finientes plateam et mihi et alteri imo neutri patriae saltem redditurus quod debeo et quod ipsa contulit nec ubi exemplum posteritati deesset probe sanae insaniae anno reparatae salutis M · D · CXIb) · forinsecus de novo meis sumtibusc) exstruendas curavi Abi nunc quo etiam cunque vis ne plus te ex hoc mundo quam me ablaturumd) puta

  2. B

    Effigies Divi Stephani

  3. C

    Divum gratissima cura

  4. D

    Insignia senatus Halberstadiensis

  5. E

    Et labore et periculo2)

  6. F

    ΠΡΟCe) ΕΥΕΡΓΕΣΙΑΝ ΟΥ ΠΡΟC’ ΥΒΡΙΝ

Übersetzung:

A: Sei gegrüßt Wanderer, hemme deinen Schritt, ich will dir etwas sagen. Denn ich, Wilhelm Budaeus, Doktor der Medizin, aber in dieser Welt gleichsam nur ein Pilger, habe auf fremdem Boden dieses ratsherrliche Haus, das einst unter dem Schutz des Heiligen Stephan die Ritterstraße beendete, sowohl mir als auch einem anderen, vielmehr keinem von beiden, um der Vaterstadt wenigstens wiederzugeben, was ich schulde und was sie selbst gegeben hat, und damit auch nicht der Nachwelt ein Beispiel fehle einer wirklich gesunden Torheit, im Jahre des wiederhergestellten Heils 1611 von außen her aufs Neue auf meine Kosten bauen lassen. Gehe nun, wohin du auch immer willst, aber glaube nicht, daß du mehr aus dieser Welt mitnehmen wirst als ich. B: Das Bildnis des Heiligen Stephan. C: Durch die allergnädigste Fürsorge Gottes (wörtl. der Götter, der Heiligen). D: Das Wappen (wörtl. die Abzeichen) des Halberstädter Rats. E: unter Mühe und Gefahr. F: Damit es ein gutes Werk sei, nicht aus Übermut.

Wappen:
Stadt Halberstadt3)

Kommentar

Durch einen Zusatz der Aufzeichnung, die die Inschrift bewahrte, der sich auf eine Restaurierung von 1772 bezog und die damalige Bewohnerin nannte, konnte Scheffer anhand eines „Hausnummer-Register“ aus dem Jahr 1813 feststellen, daß es sich bei dem fraglichen Haus wahrscheinlich um das Eckhaus der Ritterstraße zur Neuen Straße, wie der östliche Teil der heutigen Franziskanerstraße früher hieß, gehandelt hat und somit equestrem plateam finientes, „am Ende der Ritterstraße“ lag.4)

Die Inschrift scheint auf das Haus und seine Funktion anzuspielen. Zu Buddes Zeit wurde es offensichtlich durch die Stadt verwaltet, hatte aber wohl in fundo peregrino zum Domkapitel gehört, lag also „als ratsherrliches Haus auf fremdem Boden“ und hatte olim sub Divi Stephani auspicio „einst unter dem Schutz des Hl. Stephan“, des Dom- und Bistumspatrons gestanden.5) Budde selbst hatte es vermutlich nur in Erbpacht inne und es befand sich eine von Jacob Arnold Kote geleitete Druckerei darin, an der Budde wohl beteiligt war, in der hauptsächlich Leichenpredigten erschienen waren.6) Deshalb hatte er das Haus, das er et mihi et alteri imo neutri patriae saltem redditurus quod debeo et quod ipsa contulit ... de novo meis sumtibus exstruendas curavi(t), „nicht nur mir allein, sondern auch einem anderen, aber eigentlich keinem von beiden gebaut hatte“, da es einem sozialen Zweck diente, den er der Stadt schuldete, die das Gebäude ja gegeben hatte. Auf diesen sozialen Zweck weist wohl auch die Inschrift mit dem Sinnspruch (F) hin. Trotzdem glaubte er exemplum posteritati ... probe sanae insaniae, „der Nachwelt ein Beispiel einer gesunden Torheit“ gegeben zu haben. Das abschließende paronomastische Oxymoron weist vielleicht auf einen persönlich empfundenen Fehler hin, der jedoch der Allgemeinheit nützlich sein konnte. Nach Forschungen von A. Kühne soll das Haus früher einer Kalandsbruderschaft gehört haben.7)

Wilhelm Budde oder Budaeus, im Jahr 1566 in Halberstadt geboren,8) war in Basel 1592 promoviert worden. Er wurde Stadtarzt zunächst in Quedlinburg, dann auch in Halberstadt und später herzoglich braunschweigisch-lüneburgischer Leibarzt. Er besaß eine eigene Druckerei, widmete sich der Historiographie seiner Heimatregion und veröffentlichte einige Werke, unter denen diejenigen über Bischof Abrecht II. von Halberstdt und die Pest in Halberstadt als die bekanntesten gelten können.9) Im Jahr 1625 starb er.

Textkritischer Apparat

  1. Divi] Ein Kürzungszeichen fehlt.
  2. MDCXI] Die Zahlzeichen nach der Wiedergabe bei Scheffer in neulateinischen Zeichen.
  3. sumtibus] Sic!
  4. ablaturum] oblatorum Arndt.
  5. ΠΡΟC] Die Sigma der Inschrift waren sämtlich in der Form des lateinischen C geschrieben; vgl. Scheffer.

Anmerkungen

  1. Sämtliche Zitate Scheffer 1864, S. 26.
  2. Cicero, In M. Antonium orationes Philippicae, oratio 10, par. 4, lin. 23; ders., Oratio pro Cornelio Balbo, par. 51, lin. 498; siehe aber auch Valerius Maximus, Facta et Dicta, lib. 5, cap. 5, par. 3; siehe weiter C. Iulius Caesar, Commentarii belli gallici, lib. 1, cap. 44, par. 13; Titus Livius, Ab urbe condita, lib. 32, cap. 21, par. 36.
  3. Es könnte sich bei den beiden beschriebenen Medaillons um dasselbe Wappen in zwei Teilen handeln, das Siebmacher St, S. 144 mit Taf. 175 als im Jahre 1536 (auf der Abzeichnung 1556) vorkommend schildert. Es zeigt den Hl. Stephan und das Stadtwappen.
  4. Scheffer 1864, S. 12, 26.
  5. Kühne 1940 b, S. 30.
  6. Ebd.
  7. Ebd., S. 29.
  8. Die folgenden Informationen aus Kühne 1940 b, S. 30; Zedler Bd. 4, Sp. 1792; ebd. Supplement Bd. 4, S. 886 f.
  9. Budaeus 1624; ders., 1607.

Nachweise

  1. Scheffer 1864, S. 25 f.
  2. Arndt 1910 a, S. 104 f.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 234† (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0023404.