Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 145 Diözesanmuseum 1498

Beschreibung

Tafelgemälde mit Bildbeischriften, sog. Sigismundtafel. Im Münchner Saal. Ursprünglich im Dom Mariä Geburt und St. Korbinian auf der südlichen Empore in der Sigismundkapelle1); zu unbekanntem Zeitpunkt in die Domsakristei an die Ostwand des südlichen Schiffs verbracht2), um 1900 wohl kurzzeitig im Domkreuzgang3), später wieder in der Domsakristei4), seit 1974 am heutigen Standort (Inv.-Nr. F 6). Öl auf Fichtenholz. Spitzbogiges Tafelgemälde mit der Vita des hl. Sigismund in 16 Szenen in chronologischer Abfolge von links nach rechts, ausgehend von der obersten Zeile:

Szene 1: König Gundelband, der Vater Sigismunds, verehrt einen Götzen, während sich sein Sohn in einer Kapelle zum christlichen Glauben bekennt; das Tuch des Schmerzensmannaltars, vor dem der hl. Sigismund betet, mit Beischrift (I).

Szene 2: Sigismund, bereits König, verteilt Almosen an die Bedürftigen.

Szene 3: In einer Kapelle erhält Sigismund nach innigem Gebet durch einen Engel die Aufforderung, ein Kloster zu gründen; am Tuch des Altars eine Beischrift (II), vor dem Altar am Boden eine Vase mit einem Jesus- und Marien-Monogramm (III).

Szene 4: Der von einem Bischof begleitete Sigismund beaufsichtigt den Bau des von ihm gestifteten Klosters (St. Maurice im Wallis)5).

Szene 5: Sigismund flieht vor dem ihm feindlich gesinnten König von Frankreich.

Szene 6: Ein Verräter aus Burgund verhandelt mit den Franken um die Auslieferung des Sigismund; am unteren Mantelsaum des Verräters eine Buchstabenfolge (IV), eine weitere am rechten Ärmel (V).

Szene 7: Sigismund betet in seinem Versteck zu Gott, zugleich nähert sich der Verräter; dessen unterer Mantelsaum wiederum mit einer Buchstabenfolge (VI).

Szene 8: Sigismund wird gefangengenommen und dem französischen König vorgeführt; der untere Mantelsaum des Verräters wiederum mit einer Buchstabenfolge (VII).

Szene 9: Die burgundischen Verräter töten Sigismund, seine Frau und seinen Sohn und werfen sie in einen Brunnen; der untere Mantelsaum des Verräters wiederum mit einer Buchstabenfolge (VIII).

Szene 10: Der Abt des Klosters St. Maurice beobachtet drei brennende Ampeln über dem Brunnen. Am rechten Bildrand hält ein rot gekleideter Mann in seiner Rechten ein schmales Schriftband mit Jahreszahl (IX).

Szene 11: Der Abt erfährt durch einen Engel, daß im Brunnen die Leichen des Sigismund, seiner Frau und seines Sohnes liegen. Er wird angewiesen, die Leichen zu erheben und an einem heiligen Ort zu begraben.

Szene 12: Der Abt beauftragt einen Boten, den französischen König um Erlaubnis für ein Begräbnis des hl. Sigismund zu bitten.

Szene 13: Die Erlaubnis wird vom König erteilt.

Szene 14: Der Abt läßt den Leichnam Sigismunds durch drei Bischöfe und einen Mönch aus dem Brunnen heben; im Vordergrund ein weiterer Mönch, mit Jesus-Monogramm (X) am Kragen seines Meßgewandes; zwei Tücher auf dem Altar im Vordergrund rechts mit Anrufung des hl. Sigismund (XI), dort und an einem weiteren Tuch neben ihnen mehrere Wappenschilde. Der ganz links stehende Bischof ist durch seine herausgehobene Position und das Pfälzer Wappen auf dem mittleren der drei Tücher, die auf dem Tragaltar in seiner unmittelbaren Nähe liegen, als der Freisinger Bischof Philipp von der Pfalz gekennzeichnet. Das linke der beiden Tücher ist mit dem alt-burgundischen, das rechte mit dem Wappen des hl. Sigismund6) besetzt.

Szene 15: Der Leichnam Sigismunds wird in einer feierlichen Prozession in das Kloster St. Maurice übertragen.

Szene 16: Darstellung der Verehrung des hl. Sigismund durch zahlreiche Pilger und Kranke. Ein Täfelchen, das am äußersten rechten Rand des Bildes an einer Säule befestigt ist, mit Anrufung des hl. Sigismund und Datierung (XII). Der erste Versal, die Worttrennzeichen und die Jahreszahl sind in roter Farbe hervorgehoben.

Die Mantelsäume des burgundischen Verräters, der in mehreren Szenen auftritt (Szenen 7-9), zeigen außerdem hebraisierende Zeichen und Buchstabenfolgen in frühhumanistischer Kapitalis.

Im 19. Jahrhundert Renovierung des Tafelgemäldes: Hinzufügung eines neuen Rahmens, zugleich die Felderteilung, die Himmelsflächen und einige Figuren übermalt, zugleich im Scheitelfeld der Bildtafel die Darstellungen von Christus und Maria hinzugefügt7).

Maße: H. 314,5 cm, B. 236 cm, Bu. 0,5 cm (I), 0,5 cm (II), 1,0 cm (IV), 0,5 cm (V), 1,4 cm (VI), 1,5 cm (VII), 1,4 cm (VIII), 0,2 cm (IX), 0,6 cm (X), 0,6 cm (XI), 1,0 cm (XII).

Schriftart(en): Frühhumanistische Schrift (I-XI), Gotische Minuskel mit Versalien (XII).

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/9]

  1. I.

    ·O·a) [– – –] · CRISTE ·

  2. II.

    MARIA

  3. III.

    [I]E(SV)Sb) // M[A(RIA)]

  4. IV.

    T//SbTAc) ACTO

  5. V.

    ATEIL

  6. VI.

    · TRASPTA · VERRd)

  7. VII.

    TRASPTA

  8. VIII.

    TRA//SbTA // ACT(US)e)

  9. IX.

    14//98f)

  10. X.

    · IE(SV)Sg)

  11. XI.

    O HEILIG // S · SIGMV(ND)h)

  12. XII.

    O Du Heilligeri) · / sand Sigmund · Bit · / · für · vnsi) · ·1498·

Kommentar

Die Buchstabenfolgen der Inschriften IV, V, VI, VII, VIII konnten nicht aufgelöst werden. Zu den Schriftformen s. Einleitung CVI und CX.

Die Datierung des Bildes beruht auf den beiden Jahreszahlen, die in Form von Beischriften (IX, XII) in die Szenen 10 und 16 integriert wurden. Das Tafelbild, das früher dem Maler der Gründonnerstagstafel, Mair von Landshut, zugeschrieben wurde8), ist durch einen Vermerk in den Freisinger Domkustos-Rechnungen für den Landshuter Maler Hans Wertinger gesichert9). Damit handelt es sich um das früheste erhaltene Werk aus seiner Hand. Vor diesem Hintergrund könnten die sichtbaren Buchstaben HS M der mit Jesus- und Marien-Monogramm (III) versehenen Vase in Szene 3 als Künstlerinitialen Wertingers gedeutet werden, der den Beinamen „Schwabmaler“ trug, also H(ANS) S(CHWAB) M(ALER)10). Der rot gekleidete Mann in Szene 10, der ein schmales Schriftband mit Jahreszahl in der Hand trägt, wurde ebenso als Selbstporträt Wertingers in Betracht gezogen11), wie auch – sicher zutreffender – der junge Mann mit dem Bischofsstab in Szene 1612). Wertinger arbeitete von 1498 bis 1526 häufig für das Domkapitel und Bischof Philipp (1498–1541, Nr. 210)13). 1515 ließ der Stiftskanoniker von St. Andreas, Wolfgang Wirsing, die Allerheiligenkapelle erbauen und von Wertinger mit Bildfenstern ausstatten (Nr. 170).

Die Verehrung des hl. Burgunderkönigs Sigismund, der 523 den Märtyrertod starb, beginnt in Freising mit der Überführung seiner Reliquien in den Dom in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts14). Ab dem späten 15. Jahrhundert galt Freising als der bedeutendste Wallfahrtsort für diesen Heiligen in Deutschland15). Der Sigismundtafel Wertingers ging ein 1448 vom Landshuter Meister Hermann auf Rupfen gemaltes Bild mit der Vita des Heiligen voraus16). Ein weiteres Zeugnis des Sigismundkults im Freisinger Dom war ein Kopfreliquiar aus dem Jahre 1450 (Nr. 97†).

Textkritischer Apparat

  1. Nach O eine größere Lücke.
  2. Innerhalb einer Kartusche gekürzt: IHS, jedoch nur ab der rechten Hälfte des H sichtbar; in einer weiteren Kartusche vom mutmaßlichen Marien-Monogramm nur die Initiale M sichtbar.
  3. Unterbrechung durch das Bein eines vor dem Verräter stehenden Soldaten.
  4. Zweites R nur mit Bogen und Cauda gebildet.
  5. Die Inschrift auf den Saum des Vorder- und Rückenteils des Umhangs verteilt, der Vorderteil durch den Gehstock des Dargestellten unterbrochen.
  6. Unterbrechung durch Hand.
  7. Gekürzt: IHS.
  8. Auf die Säume zweier Tücher verteilt.
  9. Nachfolgendes Worttrennzeichen in Form eines von fünf dreiteiligen Blättchen konzentrisch umgebenen Punktes.

Anmerkungen

  1. Mitterwieser, Zubehör 45; Randlinger, Verehrung 358.
  2. Sighart, Dom 80; Kdm Obb II 362.
  3. Buchheit, Landshuter Tafelgemälde 2.
  4. Schlecht, Inschriften VI 82f.
  5. St. Maurice, Kt. Wallis, Schweiz.
  6. Drei zwei zu eins gestellte Kronen. Das Wappen des hl. Sigismund tritt gemeinsam mit dem alt-burgundischen Wappen auf, so etwa beim Freisinger Missale von 1520, auf dessen Titelvignette die drei Patrone der Freisinger Domkirche mit ihren zugehörigen Attributen und Wappen dargestellt sind, s. Randlinger, Verehrung 350, 356.
  7. Buchheit, Landshuter Tafelgemälde 22, spricht 1907 von einer kurz vorher erfolgten Renovierung, bei der eine völlig neue malerei an Stelle der zerstörten trat.
  8. Buchheit, Landshuter Tafelgemälde 22.
  9. Item in die s. Francisci 1498 hab ich meister Hannsen maler zu Landshut von der tafel gen sannd Sigmund gemalt geben und zalt nach dem geding flor. ren 40, s. Mitterwieser, Zubehör 45; Schubert, Mair von Landshut 88; Ehret, Hans Wertinger 146 Nr. 1; Dom-Custos-Rechnungen I 777 Nr. 11.577.
  10. Buchheit, Landshuter Tafelgemälde 26f.; Liedke, Hans Wertinger 50-55; Ehret, Hans Wertinger 5f. Laut frdl. Mitteilung von Herrn Dr. Matthias Weniger, Bayerisches Nationalmuseum, München, finden sich auf spätgotischen Tafelgemälden öfters gemalte Vasen mit Jesus- und Marien-Monogramm.
  11. Kat. Diözesanmuseum Freising 105.
  12. Karl Feuchtmayr in Thieme/Becker Künstlerlexikon 35 (1942) 427; Ehret, Wertinger 16, 145; ein Vergleich mit dem Selbstporträt im Prager Gemälde „Alexander und der Arzt“ spricht für die Identität Wertingers mit dem Jüngling mit Bischofsstab, s. Liedke, Hans Wertinger 70 Abb. 5.
  13. Vgl. die von Karl Feuchtmayr zusammengestellte Werkliste in Thieme/Becker Künstlerlexikon 35 (1942) 425-431.
  14. Bauer, Dom als Wallfahrtskirche 265.
  15. Randlinger, Verehrung 358, mit einer Beschreibung der Legende des hl. Sigismund.
  16. BayHStA HL 559 fol. 21r; Mitterwieser, Zubehör 90; einige Nachweise zu Meister Hermann bei Liedke, Hans Wertinger 55 Anm. 28.

Nachweise

  1. Schlecht, Inschriften VI 82f. Nr. 2; Randlinger, Verehrung Taf. 16 nach 360; AK Bayern 337 Nr. 257; Ehret, Hans Wertinger 146; Kat. Diözesanmuseum Freising 105-107; Steiner, Diözesanmuseum Freising 48f.; AK Freising 1989, 279-281 Nr. III.14.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 145 (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0014508.