Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 232† Kollegiatstiftsk. St. Veit (abgegangen) 1552, 1559

Beschreibung

Epitaph des Stiftsdekans Michael Grasser. Nahe dem Eingang an der Wand. Wohl im Sommer 1803 ausgebaut und dem Steinmetzen Max Einsele zur Weiterverarbeitung überlassen1). Die obere Hälfte der Platte mit Darstellung des Verstorbenen kniend im Chorgewand mit Almucia, in seinen Händen ein Ährenbündel, dem rechts von ihm stehenden Tod entgegenhaltend; dieser in Gestalt eines Gerippes mit Sense, das Sensenblatt mit Inschrift (III); im Hintergrund Landschaftsvedute mit Kirchenbauten, evtl. Wiedergabe der Stiftsanlage von St. Veit; in der Himmelszone rechts Gottvater auf einer Wolke, die Linke segnend erhoben, in der Rechten ein breites Schriftband (I), darunter ein weiteres Schriftband (II). Das Bildfeld von zwei bauchigen Halbsäulen gerahmt, auf diesen ebenfalls Inschriften in vertikaler Buchstabenanordnung (links IV, rechts V). Unter dem Bildfeld fünf Balkenköpfe, diese mit je einem Wort eines Spruchs beschriftet (VI). In der unteren Hälfte des Steins die zweimal unterteilte Grabinschrift, flankiert von vertikal stehenden Doppelblattwedeln. An nicht bekannter Stelle das Wappen des Verstorbenen.

Standort, Beschreibung und Text nach der Nachzeichnung in HVO Ms. 318, Wappennachzeichnung in BSB Oefeleana 10.

Schriftart(en): Kapitalis (IV, V).

I.

  1. Eccea) // assu(m) . quia misericors sum / veni//tea) ad me om(ne)s. Qui onerati estis

Übersetzung:

Seht her, ich bin da. Weil ich barmherzig bin, kommt her zu mir alle, die ihr beladen seid.

II.

  1. Si mors cuncta rapit: tua vincat / gra(tia) culpa(m). O pater om(ni)p(oten)sb)

Übersetzung:

Wenn der Tod alles dahinrafft, möge deine Gnade über die Schuld siegen, o allmächtiger Vater.

II.

  1. Lege pari rapio: quidquid / mortale creatum

Übersetzung:

Nach gleichem Gesetz raffe ich alles dahin, was als sterblich erschaffen ist.

IV.

  1. EST VITA AD MORTEMc)

Übersetzung:

Das Leben führt zum Tod.

V. Ergänzt nach BSB Oefeleana 10.

  1. 1552d) . / EST MORS AD VITAM

Übersetzung:

Der Tod führt zum Leben.

VI.

  1. Ut // hora // Sic // fugit // vitae)

Übersetzung:

Wie die Stunde, so flieht das Leben.

VII.

  1. D(eo) Opt(imo)f) M(aximo) perpetuaeq(ue) securitati S(acrum) / Mors quia vitae contraria etg) velocissi(m)a . / Michael Grasser huius eccl(es)iaeh) Decanus / Dei) unius Dei trini honore(m) timore(m) amo-/remq(ue) perenne(m). Sub mortalium o(mn)i(u)m. oculis. / Infinitae miseratio(ni)s illi(us) ergo . hoc . mo(numentum) f(ieri) f(ecit) / Vita decedens cineres, hic locari jussit. / Diesk) censorium in spe vitae aeternae ex-/Spectaturus. Tu, ut mortis triumphator. / gra(tia) non opera, nosl) sibi, etg) mori etg) vivere / permittat: obsecrare, hora(m)q(ue) Suprema(m) / O viator meditare, Quia mors. / 〈Post mortesm) tandem ac seditiones suin) / aevi graves: ex hac miseria evocatus / Munia vitae peregit Anno MD. LVIIII / Die .3. me(nsi)s mart(ii) aetat(is) LX decanat(us) XXXIIo).〉

Übersetzung:

Dem besten und größten Gott und der Heilsgewißheit geweiht. Weil der Tod dem Leben entgegensteht und überaus unerwartet ist, ließ Herr Michael Grasser, Dekan dieser Kirche, aus immerwährender Verehrung, Ehrfurcht und Liebe zum Dreieinigen Gott wegen seines unendlichen Erbarmens unter den Augen aller Sterblichen dieses Denkmal errichten. Aus dem Leben scheidend, befahl er, die Asche hier zu begraben, um den Tag des Gerichts in der Hoffnung auf das ewige Leben zu erwarten. Du, erflehe für dich selbst, daß der Überwinder des Todes, durch Gnade, nicht durch Verdienst, gewähre, daß wir für ihn sterben und leben: O Wanderer, bedenke die letzte Stunde, weil sie der Tod ist. Nach dem Sterben und den schweren Unruhen seiner Zeit wurde er endlich aus diesem Elend abgerufen und erfüllte die Pflicht des Lebens im Jahre 1559, am 3. Tag des Monats März, im 60. (Jahr) seines Alters, im 32. (Jahr) seines Dekanats.

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Mt 11,28. (I)

 
Wappen:
Grasser2).

Kommentar

Die in BSB Oefeleana 10 enthaltene Jahreszahl 1552 belegt die Entstehung des Epitaphs zu Lebzeiten von Michael Grasser, worauf auch die Textzeile Sub mortalium o(mn)i(u)m. oculis […] hoc mo(numentum) f(ieri) f(ecit) verweist. Der letzte Textabschnitt ab Post mortes, der auch den Sterbevermerk enthält, wurde daher sicher nachgetragen. Dem entspricht auch die Behandlung in der Nachzeichnung als eigenständiger Textteil, der vom vorhergehenden durch eine horizontale Linie geschieden ist. Die Jahreszahl selbst könnte sich, sofern die Nachzeichnung von Frey einigermaßen zuverlässig ist, auf der rechten Halbsäule im freien Feld zwischen Kapitell und vertikaler Inschrift (V) befunden haben, evtl. wäre dann im selben Feld der linken Halbsäule Anno zu ergänzen. Unklar bleibt, an welcher Stelle des Epitaphs das bei Oefele überlieferte Wappen stand, evtl. unterhalb des Haupttextes (VII).

Michael Grasser entstammte einer Freisinger Bürgerfamilie. 1513 war er an der Artistenfakultät der Universität in Ingolstadt3) immatrikuliert. Nach Abschluß des Studiums mit dem Titel eines Magisters im Januar 1518 wurde er im März desselben Jahres Mitglied im Gremium der Universität4). Bereits 1507 hatte er ein Kanonikat am Freisinger Kollegiatstift St. Veit erlangt5) und wurde 1528 dessen Dekan6). 1549 vertrat Michael Grasser die Kollegiatstifte bei einer nach Salzburg einberufenen Provinzialsynode, in deren Mittelpunkt die Eindämmung des Protestantismus stand7). Er veranlaßte Meßstiftungen nach St. Veit8).

Für Michael Grasser existierte auch eine Grabplatte, s. Nr. 252†.

Textkritischer Apparat

  1. Nachfolgend Knick des Spruchbandes.
  2. BSB Oefeleana 10 ergänzt (etc.) (etc.), gekürzt pp.
  3. BSB Oefeleana 10: EST VITA AD MORTEM fehlt.
  4. HVO Ms. 318: 1552 . fehlt.
  5. Je ein Wort auf einem Balkenende.
  6. BSB Oefeleana 10: omnipotenti.
  7. et-Ligatur in Form von &.
  8. Irrig ecceliae gekürzt.
  9. Irrig für Ad, vgl. BSB Oefeleana 10.
  10. BSB Oefeleana 10: Diem.
  11. BSB Oefeleana 10: nos fehlt.
  12. BSB Oefeleana 10: morbos.
  13. BSB Oefeleana 10: tui.
  14. BSB Oefeleana 10: anno 1559, die 3. Mensis Marty aetatis 60. decanatus 32.

Anmerkungen

  1. In HVO Ms. 318 fol. 103r wurde nachträglich eine Bemerkung unter dem Feld eingetragen: verkauft u(nd) verarbeitet worden. Kurzfassung der Grabinschrift im 1803 erstellten Grabschriftenverzeichnis des Kollegiatstiftes St. Veit, s. BayHStA Generalkommissariat Freising u. Mühldorf Nr. 221 prod. 3 p. 1 Nr. 3; Feuchtner/Koschade, Kirchen und Grabdenkmäler 153.
  2. Bg6 69 (Tafel 72), hier abweichend Schrägbalken.
  3. Matrikel LMU I Sp. 358 Z. 35, 14. April 1513.
  4. Schöner, ‚magistri regentes’ 547.
  5. AEM FS 118 p. 123.
  6. AEM FS 118 p. 111; Prechtl, St. Veit 102; Schöner, ‚magistri regentes’ 547.
  7. Meichelbeck, Chronica 273; Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 316f.
  8. BayHStA KL Freising – St. Veit Nr. 62 fol. 7v; BayHStA KL Freising – St. Veit Nr. 9 p. 145, 426; BayHStA KL Freising – St. Veit Nr. 63 fol. 8v, 16r.

Nachweise

  1. BSB Oefeleana 10 IV p. 418f.; HVO Ms. 318 fol. 103r; Glaser, Grabsteinbuch 384f. Nr. 226.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 232† (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0023203.