Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 172 Domschatzkammer 1643

Beschreibung

Reliquienostensorium.1) Silber, gegossen, getrieben, graviert. Auf dem ausladenden Fuß mit profilierter Zarge wurden links eine Darstellung der heiligen Clara mit Bildbeischrift (A), vorne ein Stiftervermerk (B) und rechts das Familienwappen der Stifterin graviert. Der Ständer hat einen sternförmigen Schaftzwickel und ein nodusartiges Zwischenteil. Fuß und Schaft sind wiederverwendete Teile eines wohl im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts hergestellten Ostensoriums.2) Der Oberbau besteht aus zwei Glaszylindern und zwei dazwischen übereinander angeordneten Bergkristallkapseln. In den Gefäßen sind Reliquien der Heiligen Cosmas und Damian und des heiligen Marsus mit den zugehörigen Authentiken enthalten. Die Streben zwischen und an den Seiten der Gefäße sind mit Fialen und außen mit Volutenspangen verziert. Die Glaszylinder und die übereinanderstehenden Kapseln sind von Helmen bekrönt,3) um den mittleren verläuft ein Fialenkranz. Die Helme sind mit Figuren der Heiligen Cosmas und Damian und in der Mitte mit einer Marienfigur besetzt. In den Fuß sind ein Kölner Beschauzeichen und ein Meisterzeichen eingeschlagen.4)

Das Reliquiar wurde von Äbtissin Maria Clara von Spaur während ihres Exils in Köln in Auftrag gegeben. Es wurde an einigen Stellen ausgebessert, vermutlich durch den Essener Goldschmied Ignatius Schiffer im 18. Jahrhundert.5) Darauf weisen die Initialen I. S. auf der Unterseite des Fußes hin.6)

Maße: H. 44,5 cm; B. 29 cm (Fuß), 23 cm (Oberbau); Bu. 0,3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/6]

  1. A

    S(ANCTA) CLARA

  2. B

    MARIA CLARA DEI GRA/TIA ABBAT/ISSA · NATA / EX COMITIBVS DE SPAVRa) / ME · FIERI / FECIT AN/NO 1 ·6 ·4 ·3

Übersetzung:

Maria Clara, von Gottes Gnaden Äbtissin, geboren aus dem Geschlecht der Grafen von Spaur, ließ mich im Jahre 1643 anfertigen. (B)

Wappen:
Spaur.7)

Kommentar

Die Inschrift ist gleichmäßig in Kapitalis ausgeführt, nur bei dem Wort ABBATISSA, das um die Erhöhung des Schafts herumgeführt ist, sind die Buchstaben ISSA kleiner, enger und gedrängter gestaltet. Die in Kontur gravierten Schattenstriche der Buchstaben sind durch Schraffur oder durch Längsstriche ausgefüllt. Die Schäfte verbreitern sich an den unteren Enden, es sind durchgehend Sporen rechtwinklig angesetzt. Zierstriche finden sich nur vereinzelt bei G und M. Als Worttrenner dienen unregelmäßig gravierte Punkte.

Das Ostensorium vereint ältere spätgotische Teile (Fuß und Schaft) mit den gotisierenden Formen der Strebepfeiler und Turmbekränzungen und barockem Zierrat wie den Volutenspangen und Blattfriesen. Für die gotischen Formen, die in Kölner Goldschmiedearbeiten bis ins 17. Jahrhundert verwendet wurden,8) und für die barocken Zierelemente finden sich einige Vergleichsbeispiele aus Köln.9)

Die heilige Clara von Assisi, Namenspatronin der Stifterin, trat laut ihrer Vita angreifenden Sarazenen mit einer Monstranz entgegen.10) Sie gehört zu den im Barock bevorzugten Heiligen, die einen besonderen Bezug zur Eucharistie haben.11) Der von der Heiligen niedergetretene Drache kann als Sinnbild für die Ungläubigen verstanden werden und weist damit auch auf das vorrangige Ziel der Politik der Essener Äbtissin, die Zurückdrängung der Reformation, hin.12)

Die von 1614 bis 1644 amtierende Äbtissin Maria Clara von Spaur war eine engagierte Vertreterin der Gegenreformation.13) Als die spanischen Truppen, die seit 1623 zeitweise die Stadt besetzt hielten und die Politik der Äbtissin unterstützten, sich aus Essen zurückzogen, musste die Äbtissin die Stadt, die nun von holländischen Truppen eingenommen wurde, verlassen.14) Sie flüchtete mitsamt Teilen des Stiftsarchivs und des Kirchenschatzes nach Köln, wo sie sich mit Unterbrechungen bis zu ihrem Tod am 14. Dezember 1644 aufhielt.15) Die Stiftung des Ostensoriums für die Reliquien der Stiftspatrone und des heiligen Marsus, dessen prachtvoller Schrein 1634 bei der Kölner Reliquienprozession mitgeführt wurde, unterstreicht den Anspruch der Äbtissin, auch im Kölner Exil das Essener Stift zu repräsentieren.16)

Textkritischer Apparat

  1. KDM Essen Spair.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 32. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde auf dem Fuß die Zahl 64 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 28.
  2. Zu Stil und Entstehungszusammenhang Boschka, Cosmas-und-Damian-Reliquiar, hier S. 260f.
  3. Eine Fiale der linken Turmbekrönung fehlt.
  4. Rosenberg, Merkzeichen 2, S. 189, Nr. 2696; Scheffler, Goldschmiede 1, S. 369, Nr. 585; Clasen, Silbermarken, S. 2, Nr. 9a. Das Meisterzeichen (Clasen, Silbermarken, S. 93, Nr. 259 A), das keinem Goldschmied zugeordnet werden konnte, findet sich zusammen mit dem Beschauzeichen auf einem Kelch der Gemeinde St. Antonius in Wipperfürth, vgl. Panofsky-Soergel, Rheinisch-Bergischer Kreis 3, S. 151, Nr. 17.
  5. Boschka, Cosmas-und-Damian-Reliquiar, S. 264f.
  6. Zu Schiffer vgl. Scheffler, Goldschmiede 1, S. 227f.
  7. Vgl. Siebmacher, NÖ/2, S. 168, Tf. 72, III; hier Wappenschild gekrönt, hinterlegt von Krummstab und Schwert.
  8. Irmscher, Goldschmiedehandwerk, Textband, S. 241.
  9. Vgl. Boschka, Cosmas-und-Damian-Reliquiar, S. 267.
  10. E. Weis, T. Tschochner, Art. Klara v. Assisi, in: LCI 7 (1974), Sp. 314–318.
  11. Die von Maria Clara von Spaur in Essen angesiedelten Kapuzinermönche wählten die hl. Clara als Patronin für Kirche und Kloster, vgl. Arens, Kapuzinerkloster, S. 82, und Nr. 154.
  12. E. Lucchesi Palli (unter Mitwirkung von L. Hoffscholte), Art. Drache, in: LCI 1 (1968), Sp. 515–524, hier Sp. 520. Zu den gegenreformatorischen Maßnahmen der Äbtissin vgl. Nr. 154.
  13. Zu ihrer Vita vgl. Nr. 154.
  14. Gooßens, Einfälle, S. 67.
  15. Küppers-Braun, Frauen, S. 133; Eger, Herrscherinnen, S. 166.
  16. Zu den Stiftsheiligen Cosmas und Damian vgl. Nr. 90, zu Marsus Nr. 9.

Nachweise

  1. KDM Essen, S. 52, Nr. 26.
  2. Humann, Kunstwerke, S. 396, mit Tf. 71.
  3. Arens, Münsterkirche, S. 65 (B).
  4. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 89, mit Tf. 45.
  5. Küppers, Essen, S. 75.
  6. Schommers, Reliquiare, S. 299.
  7. Boschka, Cosmas-und-Damian-Reliquiar, S. 259f., mit Abb. 4, S. 259.
  8. Kat. Essen 2009, Nr. 63 (S. Hermann) (B).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 172 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0017201.