Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 142 Werden, Schatzkammer St. Ludgerus 16. Jh., 1616

Beschreibung

Gemälde.1) Öl auf Leinwand. Dargestellt ist der Tod des heiligen Liudger. Der Heilige liegt in einem Innenraum auf dem Sterbebett, im Hintergrund ist eine Stadtarchitektur zu sehen. Er ist von zahlreichen Personen des geistlichen und des weltlichen Standes umgeben. Links im Vordergrund ist eine Nonne mit einem aufgeschlagenen Buch dargestellt. Auf der linken Buchseite ist der Beginn der ersten Lesung des Totenoffiziums (A), auf der rechten das Datum B aufgemalt. Unten rechts befindet sich unter einem Wappen ein Renovierungsvermerk (C), der anscheinend über die teilweise getilgte, wohl gleichlautende ursprüngliche Fassung aufgemalt wurde. Am Gewandsaum einer am rechten Rand stehenden Person befindet sich eine weitere Inschrift (D).

Das Gemälde wurde mehrfach restauriert, auffällig sind besonders die Gesichter, die als Porträts von Konventsangehörigen gemalt und im Laufe der Zeit wohl ‚aktualisiert’, d. h. mit den Porträts nachfolgender Konventualen übermalt wurden.2)

Maße: H. 201 cm; B. 154 cm; Bu. 0,4 cm (A), 1 cm (B), 1,5–2,3 cm (C), 3,7 cm (D).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel (A), Kapitalis (B, D mit leicht erhöhten Versalien), Kapitalis und gotische Minuskel (C).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/3]

  1. A

    Parce michi d(omi)ne: / nihil e(ni)m su(n)t dies / mei Quida) e(st) hom(o)b) /quia magnific(as)c) / Eu(m) autd) quia / opponise) e(r)ga / Eu(m) aut3)

  2. B

    ANNO / 1616

  3. C

    Ad(modu)mf) R(EVERENDVS) A(M)PLISS(IMVS)g) D(OMI)N(V)Sh) / D(OMINVS) HVGO . IMP(ERIALIVM) MON(A)ST(ERIORVM)i) / WERTH(INENSIS)j) ET . HELMST(EDENSIS)k) AB(BAS) / ME RESTAVRARIl) CVRABATm) / · 1 . 6 . 1 . 6 ·

  4. D

    WERDENE(N)S(IS)n)

Übersetzung:

Verschone mich, Herr, denn meine Tage sind nichts. Was ist der Mensch, dass du ihn so hochachtest, oder warum hast du Acht auf ihn? (A) Der hochwürdige, sehr hochbedeutende Herr Herr Hugo, Abt der kaiserlichen Klöster Werden und Helmstedt, hat mich 1616 restaurieren lassen. (C)

Wappen:
Abt Hugo Preutäus.4)

Kommentar

Die Inschriften A und B sind flüchtig aufgemalt, möglicherweise entstand auch Inschrift A anlässlich der Restaurierung 1616. Diakritische Zeichen über den u wurden nur vereinzelt ausgeführt. Unter dem Renovierungsvermerk C sind Einzelbuchstaben der ursprünglichen Fassung dieser Inschrift zu sehen. Es bleibt unklar, wann die Inschrift erneuert wurde. Sie wirkt durch die unterschiedlichen Buchstabenhöhen (auch abgesehen von den Versalien), die Verwendung von Rechtsschrägenverstärkungen neben den vorherrschenden Linksschrägenverstärkungen und der nicht konsequent eingehaltenen Grundlinie unruhig. Die auf der Grundlinie stehenden, quadrangelartigen Zeichen in den ersten drei Zeilen sind nicht einheitlich eingesetzt. Weil sie auch nach ungekürzten Wörtern wie HVGO und ET stehen, wirken sie wie Worttrenner. Diese würden dann aber in der vierten Zeile fehlen. Vermutlich sind sie als Kürzungszeichen für die Suspensionskürzungen gedacht und stehen fälschlich auch hinter ungekürzten Wörtern und dem durch hochgestellte Buchstaben gekürzten Ad(modu)m. Um Kürzungszeichen dürfte es sich auch bei den zwei übereinandergesetzten quadrangelartigen Zeichen nach A(M)PLISS(IMVS) und HELMST(EDENSIS) handeln. Die Inschrift weist einige Ligaturen auf.

Das Gemälde wird meist dem Umkreis Bartholomäus Bruyns des Älteren zugerechnet, zusammen mit der Darstellung des ‚Honigwunders des heiligen Liudger’, die sich ebenfalls in der Schatzkammer befindet.5) Die Verbindung der Familie Bruyn zu Werden ist mehrfach belegt. Der Maler schuf um 1518/19 ein Tafelbild für den Apostelaltar6) und 1525 ein Deckengemälde für die am Kreuzgang gelegene Aula7). Außerdem wurde er 1541 für die Restaurierung und Erneuerung der Firnisschicht der von seinem Lehrer Jan Joest 1512 geschaffenen Altargemälde für den Hochaltar engagiert.8) Sein Sohn Arnold wurde 1570 ebenfalls mit der Reinigung dieser Gemälde beauftragt, der Sohn Matthias war unter dem Namen Paulus Konventuale des Klosters Werden.9) Peter Wallmann konnte darüber hinaus nachweisen, dass Bartholomäus Bruyn der Jüngere das Gemälde mit der Abendmahlsdarstellung geschaffen hat und vermutet, dass auch die Darstellungen der Speisung des Elias und des Mannaregens von diesem Maler ausgeführt wurden.10)

Andreas Freitäger vertritt dagegen die Ansicht, dass es sich bei den beiden Leinwandgemälden mit der Darstellung des Honigwunders und des Sterbebetts des heiligen Liudger um barocke Kopien der 1512 von Jan Joest geschaffenen Gemälde für den Hochaltar handelt.11) Diese vier heute verlorenen Altartafeln wurden von Abt Anton Grimmolt in Auftrag gegeben und mit 400 Rheinischen Goldgulden bezahlt.12) Das Bildprogramm der Altartafeln kann teilweise aus historiographischen Quellen erschlossen werden.13) Erwähnt werden dort Szenen aus dem Leben des heiligen Liudger, außerdem werden Konventsangehörige, nach deren Porträt Gesichter der Gemälde gestaltet wurden, identifiziert. Auch die Darstellung des toten Liudger wird genannt, so dass ein Zusammenhang zwischen den Gemälden des Hochaltars und den Leinwandgemälden mit dem Honigwunder und dem Sterbebett des Heiligen nicht ausgeschlossen werden kann.

Der Hochaltar wurde zwischen 1708 und 1716 barock umgestaltet. Dabei wurden die Altartafeln entfernt.14) Freitäger hält es für möglich, dass der Stifter des neuen Altars, Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, der für seine Sammelleidenschaft bekannt war, die Altargemälde kopieren ließ und die Originale an sich genommen hat.15) Der Katalog der Gemäldesammlung des Kurfürsten von 1778 enthält allerdings keinen Hinweis auf diese Gemälde.16)

Im Vordergrund des Gemäldes sind links eine Nonne und rechts ein mit einem schwarzen Mantel und einer Kopfbedeckung bekleideter Mann, der seinen Arm auf einen Stock stützt, dargestellt. Beide Personen sind mit individuellen Gesichtszügen dargestellt, und die Art der Darstellung lässt vermuten, dass es sich um mehr als nur Begleitpersonen handeln muss. Eine genauere Interpretation oder gar Identifizierung steht bislang aus. Das deutlich übermalte Gesicht der Person rechts neben dem Bett direkt am Kopfende könnte ein Porträt des Abtes Hugo Preutäus sein. Ein 1638 datiertes Porträt dieses Abtes zeigt gewisse Ähnlichkeiten, auffällig ist besonders die Barttracht mit längerem Oberlippenbart und Kinnbart.17)

Textkritischer Apparat

  1. Diakritisches Zeichen über dem u.
  2. o nicht ausgeführt.
  3. Die Endung -as ist nicht sichtbar, es wird der Anschein erweckt, sie sei durch den Seitenfalz verdeckt.
  4. Diakritisches Zeichen über dem u.
  5. Sic! statt apponis.
  6. Kürzung durch hochgestelltes d und m, fehlt bei Stephan-Maaser und Elbern. Unter dm ist D[.] als Rest einer älteren Fassung erkennbar.
  7. I in L eingestellt.
  8. Retrogrades N. Das verkleinerte S weist darauf hin, dass sich der Kürzungsstrich in der ursprünglichen Fassung wohl über dem letzten Buchstaben befand.
  9. Hinter dem Wort ein übermaltes quadrangelähnliches Kürzungszeichen.
  10. H unter den Balken des T eingestellt.
  11. ST verkleinert.
  12. I verkleinert.
  13. AT verkleinert. Unter den letzten beiden Wörtern sind RA[...]V [....]T als Reste einer älteren Fassung erkennbar.
  14. Ohne Kürzungszeichen.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 53.
  2. Vgl. die Liste der dargestellten Personen aus dem Abtskatalog von Kampmann: Jacobs, Annalen, S. 87f., Anm. 124. Diese Praxis des ‚Aktualisierens’ von Gemälden durch die Erneuerung der Gesichter wurde auch auf dem Gemälde mit der Darstellung des Abendmahls angewandt, vgl. Nr. 122.
  3. Beginn der ersten Lesung aus dem Officium Defunctorum, nach Iob 7,16f.: Rituale Romanum, S. 125 (moderne Seitenzählung). Der Vers wird fortgesetzt mit „aut quia ponis erga eum cor tuum.“.
  4. Klöster Werden und Helmstedt (vgl. Nr. 99, Anm. 2), oben links und unten rechts kombiniert mit dem Familienwappen Preutäus (drei Kleeblätter 2:1), bekrönt von einer Mitra, hinterlegt von zwei gekreuzten Krummstäben.
  5. Gisbertz, Oelgemälde, S. 56–59; Kat. Essen 1999, S. 500, Nr. 361, 362 (R. S[tephan-]M[aaser]).
  6. HStAD, Kloster Werden, Akten, X 16 a, fol. 14v.
  7. Ebd., fol. 33r.
  8. Gisbertz, Oelgemälde, S. 66f.
  9. Stüwer, GS Werden, S. 393f.
  10. Wallmann, Tafelbilder, S. 338, vgl. Nr. 122, 123, 124.
  11. Freitäger, Cincinnius, S. 177–182. Bei den Bildern des Altarretabels hat es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Tafelbilder gehandelt.
  12. Duden, Historia, S. 35.
  13. Jacobs, Annalen, S. 87f., Anm. 124.
  14. Elbern, Erinnerungen, S. 33f.
  15. Freitäger, Cincinnius, S. 179.
  16. Nicolas de Pigage, Galerie Electorale de Dusseldorf ou catalogue raisonné et figuré de ses tableaux, 1778. Das 1716 angelegte Sammlungsverzeichnis (Gerard Joseph Karsch, Désignation exacte des peintures précieuses, qui sont en grand nombre dans la Galerie de la Résidence de son Altesse Sermé Electorale à Dusseldorf, [Düsseldorf] 1750) konnte nicht eingesehen werden.
  17. Vgl. die Abb. in Kat. Essen 1999, S. 464, Nr. 277. Zu Hugo Preutäus vgl. Nr. 171.

Nachweise

  1. Freitäger, Cincinnius, S. 178, Anm. 603 (D).
  2. Elbern, Erinnerungen, S. 38 (D).
  3. Kat. Essen 1999, S. 500, Nr. 352 (R. S[tephan-]M[aaser]) (D).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 142 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0014203.