Inschriftenkatalog: Stadt Essen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 81: Stadt Essen (2011)
Nr. 109† Werden, St. Ludgerus 15.Jh.–1547?
Beschreibung
Tafel (?).1) Stein. Der Inschriftenträger mit historischer Nachricht war über einem Kreuz mit romanischem Bronzekruzifixus, dem sog. Werdener oder Helmstedter Bronzekruzifixus, in der Klosterkirche St. Ludgeri in Helmstedt angebracht.2) Das Kreuz und der Inschriftenträger wurden 1547 von Abt Hermann von Holte aus Angst vor den Wirren der Reformation aus dem Kloster Helmstedt nach Werden gebracht.3) Dort hing das Kruzifix im Chor über den Tafeln des Hochaltars. Die Inschrift wurde 1886 erneuert,4) heute ist sie verloren. Der Bronzekruzifixus, der als herausragendes Werk der salischen Kunst gilt, befindet sich in der Schatzkammer St. Ludgerus.5)
Nach Duden.
Dit cruitza) hatb) Carolusc) in seinerd) hande) als hef) bekierdeng) dat Saxen landh)
Versmaß: Deutsche Reimverse.
Textkritischer Apparat
- crutz/creutz Anonymus, Annales, S. 80, Anm. d.
- Sic! Die niederdeutsche Form des Präteritums lautet hadde, die hochdeutsche hatte. Hatt/hadt Anonymus; hadt Bucelinus, KDM Helmstedt.
- Karolus Bucelinus, KDM Helmstedt.
- syner Anonymus, Bucelinus, KDM Helmstedt.
- handt Anonymus, Bucelinus, KDM Helmstedt.
- hie Anonymus.
- bekerdten Anonymus.
- Landt Anonymus, KDM Helmstedt.
Anmerkungen
- Die Inschrift ist in DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 39, ediert.
- Duden, Historia, S. 38; Anonymus, Annales, S. 80.
- Duden, Historia, S. 38. Bei dieser Gelegenheit gelangte auch der sog. Kelch des hl. Liudger nach Werden, vgl. Nr. 7. Die Reformation setzte sich 1568 in Helmstedt weitgehend durch, weswegen die Rückführung der Gegenstände wahrscheinlich nicht geplant war, vgl. Rademacher, Bronzekruzifixus, S. 146.
- Duden, Historia, S. 38, Anm. 1. Nach Rademacher, Bronzekruzifixus, S. 148, Anm. 18, befand sich eine Tafel mit gemalter Inschrift am Fuße des Kreuzes, das „vor einigen Jahren“ (vor 1941) durch ein glattes Holzkreuz ohne Inschrift ersetzt wurde. Die Inschrift wurde damals für eine Holzkopie des Kruzifixes neu angefertigt.
- Inv.-Nr. 55. Zu der Figur des Gekreuzigten vgl. Rademacher, Bronzekruzifixus, passim, und zuletzt Kat. Paderborn 2006, S. 323f., Nr. 430 (R. K[ahsnitz]). Die Herstellung des Kruzifixus wird von der neueren Literatur in Werden vermutet (Rademacher, Bronzekruzifixus, S. 145, nennt Helmstedt als Entstehungsort).
- Duden, Historia, S. 38. Zur Bedeutung der Historia vgl. Stüwer, GS Werden, S. 236f., zum Verfasser vgl. Nr. 144.
- Anonymus, Annales, S. 80. Die Identifizierung des Autors bei Jacobs, Annalen, S. 10ff.
- Vgl. Anonymus, Annales, S. 43–49 (Einleitung von O. Schantz).
- Vgl. Lasch, Grammatik, § 405.
- Neumüllers-Klauser, Schrift, S. 74ff.
- Zum Beispiel DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 91.
- Neumüllers-Klauser, Schrift, S. 75.
- Vgl. die tabellarischen Übersichten bei Wulf, Typologie, S. 129f.; Hoffmann, Inschriften, S. 22ff.
- Vgl. z. B. DI 26 (Stadt Osnabrück), S. XXVI; DI 36 (Stadt Hannover), S. XXVI; DI 58 (Stadt Hildesheim), S. 58. In Hameln setzt der Wechsel bei den überlieferten Hausinschriften erst nach dem ersten Viertel des 17. Jh. ein, vgl. DI 28 (Stadt Hameln), S. XXVIII.
- Thietmar, Chronik (hg. v. R. Holtzmann, MGH Script. rer. germ. N. S. 9, S. 208); Röckelein, Halberstadt, S. 68. Zur Werdener Karlstradition vgl. Elbern, Karlstradition, S. 519–523.
- DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 54.
- Meyer, Werden und Helmstädt, S. 6.
- Diekamp, Vitae, S. 276.
Nachweise
- Duden, Historia, S. 38.
- Anonymus, Annales, S. 80.
- Bucelinus, Germania 2, S. 322.
- BSBM, Cgm 2213 (Slg. Redinghoven) 16, fol. 112r (nach Bucelinus).
- Schunken, Reichsabtei, S. 163.
- Pingsmann, Ludgerus, S. 67.
- Diekamp, Vitae, S. 176, Anm. 1.
- Jacobs, Annalen, S. 97 (= Duden, Historia).
- KDM Helmstedt, S. 28.
- Rademacher, Bronzekruzifixus, S. 146.
- Elbern, Erinnerung, S. 20.
- ders., Karlstradition, S. 520.
- ders., Kelch, S. 6.
- Kat. Corvey 1966 2, S. 752, Nr. 596.
- Kahsnitz, Psalter, S. 43.
- Kat. Essen 1990 1, S. 38, Nr. 20 (G. Rabeneck).
- Kat. Essen 1999, S. 348, Nr. 50 (R. Ka[hsnitz]).
- DI 61 (Stadt Helmstedt), Nr. 39.
- Kat. Paderborn 2006, S. 323, Nr. 430 (R. K[ahsnitz]).
Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 109† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0010905.
Kommentar
Die älteste Überlieferung der Inschrift bietet die von dem Werdener Archivar und späteren Abt Heinrich Duden (1573–1601) verfasste ‚Historia regalis et insignis monasterii et abbatiae Werthinensis’.6) Hier wird von der Überführung von Helmstedt nach Werden berichtet; außerdem betont Duden, dass das in der Inschrift genannte Kreuz einst von Karl dem Großen in der Helmstedter Kirche aufgestellt worden sei. Duden war selbst an der Überführung beteiligt, deshalb wurde seine Überlieferung dem Editionstext zugrunde gelegt. Die Inschrift wird auch in den ‚Insignis monasterii sancti Ludgeri Uuerthinensis annales et catalogus abbatum’ eines anonymen Verfassers wiedergegeben. Diese Annalen werden dem Essener Pfarrer Heinrich Saldenberg (gest. 1608) zugeschrieben und gehen zu großen Teilen auf Dudens Historia zurück.7) Sie sind in zwei Abschriften aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts überliefert.8)
Alle drei Überlieferungen geben die Inschrift mit Merkmalen des Niederdeutschen wieder. Dazu gehören das Demonstrativpronomen dit, die Formen cruitz/crutz und bekierden und das Personalpronomen he/hie. Darüber hinaus zeigen die Überlieferungen aber auch orthographische Abweichungen, die in der Edition wegen der besonderen Berücksichtigung des sprachgeschichtlichen Aspektes wiedergegeben werden. Auffällig ist die Form seiner bei Duden, während in den Annalen die niederdeutsche Form syner steht.9)
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Inschrift erst nach oder anlässlich der Überführung des Kreuzes 1547 angefertigt wurde, auszuschließen ist dies aber nicht. Eine Datierung anhand der sprachlichen Merkmale ist, auch wegen der nicht ganz einheitlichen Überlieferung, nur sehr eingeschränkt möglich. Vereinzelte deutschsprachige Inschriften sind bereits aus dem 13. Jahrhundert bekannt,10) Reimverse finden sich schon Mitte des 14. Jahrhunderts.11) Bei diesen frühen Beispielen handelt es sich meist um Bau-, Glocken-, Stifter- oder Künstlerinschriften.12) Zahlenmäßig stärker vertreten sind deutschsprachige Inschriften erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts, wobei regionale Unterschiede zu beobachten sind und die Überlieferungsproblematik nicht außer Acht gelassen werden darf.13) Der Übergang von Niederdeutsch zu Hochdeutsch fand im Allgemeinen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts statt.14) Die niederdeutschen Merkmale liefern somit keine Datierungshinweise, da der Terminus ante quem 1547 bekannt ist. So kann die Entstehung der Inschrift letztendlich nur vage vom 15. Jahrhundert bis 1547 datiert werden.
Auch über den Inhalt der Inschrift ist keine engere zeitliche Einordnung möglich. Die Berufung des Helmstedter Klosters auf Karl den Großen, zu dessen Regierungszeit der heilige Liudger das Kloster auf Eigengut gegründet hat, findet sich zum ersten Mal bei Thietmar von Merseburg (gest. 1018).15) Diese Vorstellung blieb in Helmstedt präsent und wurde 1556 nochmals in einer Inschrift betont;16) noch 1836 wurde das mittlerweile in Werden aufbewahrte Kruzifix als „Standarte Karls des Großen“ bezeichnet.17) Im Werdener Reliquienverzeichnis von 1512 wird ein Kreuz angeführt, „dat sent Ludgher by sich to voren plach, darmede he Freyslant Christo bekeerde.“18)