Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 19† Rellinghausen, St. Lambertus 1039–1058

Beschreibung

Kreuz. Silber, vergoldet. Die beiden Inschriften (der Stiftervermerk A und die exegetische Bildbeischrift B) befanden sich vermutlich wie beim sog. Theophanu-Kreuz aus der Domschatzkammer (Nr. 18) an den Seitenflächen des Kreuzes.1) Sie werden als fehlerhaft und schlecht aufgeteilt beschrieben. Eine weitere, nicht überlieferte Inschrift soll das Entstehungsjahr des Kreuzes mitgeteilt haben. Das Kreuz war mit einem „clipeo antiquo Palatinatus Rheni“ ausgestattet. Es bleibt unklar, um was es sich dabei genau gehandelt hat; vielleicht wurde ein Relief mit Löwendarstellung oder ein Medaillon mit Rautenmuster irrtümlich als Wappen der Pfalzgrafschaft gedeutet. Die Überlieferung der Inschriften geht auf einen verlorenen Text zurück, der 1592 abgeschrieben wurde. Diese heute ebenfalls verlorene Abschrift verwendete Nikolaus Kindlinger (gest. 1817), in dessen Version die Inschriften auf uns gekommen sind.2) Weitere Überlieferungen der Inschriften finden sich bei Gabriel Bucelinus und Jodocus Nünning. Letzterer gibt die Anordnung der Inschriften am Kreuz leicht abweichend zu Kindlingers Version wieder, außerdem überliefert er unvollständige und deshalb unverständliche Reste einer dritten Textzeile für Inschrift A, möglicherweise eines weiteren Verses. Beides weist darauf hin, dass er eine weitere, von Kindlingers Vorlage unabhängige Überlieferung nutzen konnte.

Nach Kindlinger und Nünning (3. Zeile von A).

  1. A

    Christe Deus votum Theophanua) cerne benignumQuaeb) crucis hocc) mire signum fecit redimired)[ – – – ]gella deumque

  2. B

    Pro seruis dominum3) credimus quo flamine pastume)Qui nunquam meruit vulnera sustinuitDisce redemptoris pietatem disce fidelisHacf) homo perpendas quaeg) fuerith) pietas

Übersetzung:

Christus, Gott! Erkenne das freigiebige Geschenk Theophanus, die dieses Zeichen des Kreuzes wunderbar einfassen4) ließ. (A) Wir glauben, dass der Herr für seine Knechte (…)5) verzehrt wurde (oder: erlitten hat)6), der niemals die Wunden verdient hat, die er ausgehalten hat. Erfahre die Gnade des Erlösers, erfahre, Gläubiger: Hier, Mensch, mögest du wohl erwägen, welch eine Gnade dies war. (B)

Versmaß: Hexameter (A) und zwei elegische Distichen (B), leoninisch ein- und zweisilbig rein gereimt.

Kommentar

Die Inschriften weisen Übereinstimmungen mit der Inschrift am sog. Brauweiler Kreuz auf, das heute in der Minoritenkirche in Köln aufbewahrt wird.7) Dieses 120 cm hohe Kreuz wurde vermutlich im Auftrag von Theophanus Mutter Mathilde (gest. 1025) hergestellt.8) Inschrift A thematisiert in der Anrede Christe Deus die Lehre von den zwei Naturen Christi, die auf dem Konzil von Chalcedon (451) formuliert wurde: Christus ist „vollkommen in der Gottheit und vollkommen in der Menschheit“, er ist „in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar“.9) Die Anrede findet sich bereits bei einigen frühchristlichen Autoren wie z. B. Paulinus von Nola10) und Prudentius11), später z. B. auch bei Rabanus Maurus12). Die direkte Aufforderung an den homo als Betrachter der Kreuzigungsszene, zu erwägen (perpendas), was Christus für die Menschheit getan hat, findet sich in vergleichbarer Wortwahl auch auf einem um 1180 datierten Buchdeckel aus dem Stift Fritzlar.13)

Die Existenz eines von Theophanu für Rellinghausen geschenkten Kreuzes wurde zuletzt von Paul Derks bezweifelt.14) Er bewertete die Überlieferung, in der ein Grabmal für eine Mathilde in der Rellinghauser Stiftskirche und das Kreuz beschrieben werden, als Fälschung. Da seine Bedenken gegen die Echtheit der Überlieferung aber entkräftet werden konnten,15) spricht nichts dagegen, hier von einem verlorenen Kreuz aus dem Stift Rellinghausen auszugehen.

Theophanus Fürsorge für die geistliche Gemeinschaft in Rellinghausen, der sie vermutlich auch als Pröpstin vorstand,16) zeigt sich neben der Schenkung dieses Kreuzes auch in der Berücksichtigung der Gemeinschaft in ihrer Memorialverfügung.17) Dort sind die Summen festgelegt, die sie den Stiften Essen, Gerresheim, dem sie ebenfalls vorstand, und Rellinghausen vermachte, um ihr Totengedenken zu sichern.

Textkritischer Apparat

  1. Theophanae KDM Essen.
  2. Qui Bucelinus, KDM Essen.
  3. hac Nünning.
  4. Emendiert nach Bucelinus, gefolgt von KDM Essen, und Nünning, der am Rand „oder redimire“ notierte. redimere Nünning (als erste Lesart), Kindlinger.
  5. passum Bucelinus, Nünning.
  6. Haec Nünning, KDM Essen.
  7. Sic!
  8. Nünning notiert „oder fuit“.

Anmerkungen

  1. Die Beschreibung des Kreuzes in der Kindlinger’schen Abschrift lautet: „In argentea cruce auro obducta, Ecclesia Relinghausensis in extremitate laterum hi versus subsequentes inscripti reperiebantur, sed male dispositi et incorrectj cum inscripto clipeo antiquo Palatinatus Rheni et annorum numero, quo Crux Ecclesiae donata“. Beuckers, Derks und Fremer übersetzen dahingehend, dass hier das Kreuz und ein Prunkschild Ezzos, des Vaters der Theophanu, beschrieben werden, und dass sich auf dem Prunkschild die Inschrift mit der Jahreszahl befindet. Allerdings sind aus dem Früh- und Hochmittelalter keine Prunkschilde bekannt, außerdem haben Schilde im Allgemein erst seit dem 12. Jahrhundert heraldische Bedeutung, vgl. Scheibelreiter, Heraldik, S. 25. Theophanus Vater Ezzo war Pfalzgraf von Lothringen. Diese Pfalzgrafschaft wurde ab der ersten Hälfte des 12. Jh. vereinzelt als Pfalzgrafschaft bei Rhein bezeichnet, vgl. M. Schaab, Art. Pfalzgrafschaft bei Rhein, in: LexMA 6 (1993), Sp. 2013f.
  2. StAM, Msc. II (Kindlinger’sche Sammlung) 107, fol. 6r. Zur Überlieferungssituation vgl. ausführlich Nr. 42.
  3. Vgl. Augustinus, Sermones, Sermo 220 (Migne, PL 38, Sp. 1089). Die Predigt zur Osternacht thematisiert auch die göttliche und menschliche Natur Christi.
  4. Der Begriff redimere bei Kindlinger ergibt keinen Sinn, vielleicht ist die von Bucelinus und Nünning vorgeschlagene Version redimire (umkränzen, umwinden) im Sinne von ‚einfassen’ zu verstehen, vgl. die Anbringung des mit einer Inschrift ausgestatteten Randbeschlags beim Theophanu-Kreuz, Nr. 18.
  5. Die Stelle quo flamine ist wohl verderbt; mit flamen ist vermutlich der Heilige Geist gemeint.
  6. Für passum von ‚patior, passum sum, pati’: dulden, erleiden.
  7. Vgl. dazu Bloch, Kreuz, passim; Beuckers, Brauweiler Kreuz, passim.
  8. Beuckers, Brauweiler Kreuz, S. 160ff. Die Inschrift lautet: Ergo, benigne Deus, ligno pendens homo verus / hic te querentes foveas et vota ferentes, nach Stiene, Carmina, S. 113.
  9. Zitiert nach Angenendt, Religiosität, S. 122f.
  10. Paul. Nol., carm. 18,25, 25,3, 27,636 (hg. v. W. Hartel, CSEL 30).
  11. Prudentius, Liber Cathemerinon 4,97 (hg. v. M. P. Cunningham, CCSL 126); ders., Liber Peristefanon 7,83 (ebd.).
  12. Rabanus Maurus, In honorem sanctae crucis 5 (hg. v. M. Perrin, CCCM 100).
  13. DI 14 (Stadt Fritzlar), Nr. 5. Die Inschrift lautet: MORTI VITA DATVR UT VITE MORS SVBIGATVR / HINC HOMO PERPENDAT QVID (CHRISTO) DIGNE REPENDAT (Das Leben wird dem Tode hingegeben, damit der Tod dem Leben unterworfen wird; von hier aus möge der Mensch erwägen, was er Christus in angemessener Weise zurückzuzahlen hat).
  14. Derks, Gerswid, S. 138.
  15. Vgl. Nr. 42.
  16. Zum Verhältnis der Stifte Essen und Rellinghausen vgl. Einleitung 2. 4. und Nr. 42.
  17. Rhein. UB 2, Nr. 176 (1039–1058 März); Essener UB 1, Nr. 30 (vor 1058).

Nachweise

  1. StAM, Msc. II (Kindlinger’sche Sammlung) 107, fol. 6r.
  2. Bucelinus, Germania 2, S. 144.
  3. Müller, Geschichtsschreibung (= Nünning), S. 14.
  4. Funke, Geschichte, S. 47.
  5. aus’m Weerth, Kunstdenkmäler, S. 28.
  6. KDM Essen, S. 68.
  7. Kraus, Inschriften 2, S. 295, Nr. 643.
  8. Humann, Kunstwerke, S. 25.
  9. Beuckers, Ezzonen, S. 119, Anm. 808.
  10. Derks, Gerswid, S. 129.
  11. Fremer, Theophanu, S. 105.
  12. Nielsen, Patronage, S. 101, Anm. 74.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 19† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0001906.