Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)

Nr. 341 Braunschweigisches Landesmuseum um 1510

Beschreibung

Flügelaltar; Holz. Er ist das namengebende Hauptwerk des sog. Meisters der Braunschweiger Sippentafeln1). Es gilt als sicher, daß dieser Altar einer der Braunschweiger Stadtkirchen angehörte, da auf der Außenseite des rechten Flügels Auctor und Cyriacus, also der Stadtheilige Braunschweigs und der Titelheilige des Cyriacusstifts, dargestellt sind2). Die Mitteltafel zeigt rechts im Vordergrund den nicht identifizierten Stifter in weltlicher Kleidung mit einem von den erhobenen Händen ausgehenden, über den Kopf geschwungenen Schriftband (A). Er kniet auf dem mit rechteckigen Fliesen ausgelegten Boden und blickt auf die im Mittelpunkt des Bildes auf einer Bank sitzende Gruppe der Anna selbdritt. Über den Köpfen der sie umgebenden Sippenmitglieder kurze, an den Enden eingerollte Schriftbänder mit Tituli: Rechts neben Anna deren Tochter Maria Cleophas mit Kind, links neben Maria deren Halbschwester Maria Salome mit Johannes Ev., daneben Elisabeth mit Johannes d. T. (B1–B9, Inschriften hier wie im folgenden von links nach rechts). Zu Füßen der Mütter als Kindergruppe Simon, Joseph Justus und Jacobus d. J.; zu Füßen von Maria Salome Jacobus d. Ä. (C1–C4). Hinter der Bank stehend die zugehörigen Ehemänner und weiblichen Verwandten (D1–D13). Links im Hintergrund eine hügelige Landschaft mit einem aufragenden Felsen, rechts eine Ansicht der Stadt Jerusalem. Die Mitteltafel ist an den Seitenrändern beschnitten, so daß einige Namen nur teilweise lesbar sind. Die Innenseiten der Altarflügel zeigen links oben Maria mit Kind im Strahlenkranz, von einem Rosenkranz umgeben, links unten die Zurückweisung von Joachims Opfer im Tempel: Ein Priester weist Joachim, der sich nach rechts abwendet, aus dem Tempel, wobei er die dargebrachten Münzen vom Altar nimmt, um sie Joachim hinterherzuwerfen; Inschrift E ist auf dem vorderen Saum des Altartuchs angebracht; rechts, ohne Inschriften, oben die Vermählung Josephs mit Maria, unten die Heimsuchung. Auf der Außenseite des linken Flügels oben Laurentius, unten Nikolaus; auf der Außenseite des rechten Flügels oben Auctor, unten Cyriacus. Die Heiligen sind mit ihren Attributen, der hl. Auctor mit einem stilisierten Stadtmodell Braunschweigs dargestellt. Die Namensbeischriften F1–F4 befinden sich am oberen Bildrand, jeweils links und rechts oberhalb des Nimbus; vor, zwischen und hinter jedem Wort eine Schmuckranke. Der Altar wurde 1912 vom damaligen Herzoglichen Museum aus Braunschweiger Privatbesitz erworben und später an das Braunschweigische Landesmuseum abgegeben.

Maße: H.: 99 cm, Br.: 84 cm (Mitteltafel); H.: 99 cm, Br.: 38 cm (Flügel innen); H.: 101 cm, Br.: 37 cm (Flügel außen); Bu.: 0,5 cm (A), 0,6–0,7 cm (B–E), 2,2 cm (F).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    help · sunte · anna · sülft · dridde ·

  2. B1

    maria · cleofe

  3. B2

    S(anctus) m[...]cia(us)a)

  4. B3

    Sa(nc)ta · anna

  5. B4

    ihesus · cr[i]stus

  6. B5

    Sancta · maria

  7. B6

    iohan(n)es · ewa(n)ghel(ista)

  8. B7

    maria · salome

  9. B8

    Sancta · elizabeth

  10. B9

    iohan(n)es · baptist[a]

  11. C1

    S(anctus) · symon

  12. C2

    S(anctus) · ioseph · just(us)

  13. C3

    S(anctus) · iacobus · minor

  14. C4

    S(anctus) · iacobus · maior

  15. D1

    alpheus

  16. D2

    joachim

  17. D3

    cleofas

  18. D4

    salome

  19. D5

    jsmaria

  20. D6

    [...]cimieb)

  21. D7

    s(an)ct(us) · seruacius

  22. D8

    ioseph

  23. D9

    maria · jacobi

  24. D10

    esmeria

  25. D11

    [zeb]edeus

  26. D12

    memelia

  27. D13

    sacharias

  28. E

    maria · gra[...]c) ple//d)3)

  29. F1

    sanct(us) · laure(n)cius

  30. F2

    sanct(us) · nicolaus

  31. F3

    sanct(us) · auctor

  32. F4

    sanct(us) · cyriacus

Kommentar

Die Hl. Sippe ist durch acht männliche Mitglieder und neun Frauen mit ihren Kindern vertreten. Um Anna gruppieren sich ihre drei Ehemänner und die aus diesen Ehen entstammenden Marien. Auch Maria und Joseph, Elisabeth und Zaccharias sowie Annas Schwester Esmeria mit Maria Jacobäa sind paarweise einander zugeordnet. Die weiteren, in der hinteren Reihe stehenden Personen sind jedoch nicht alle zu identifizieren. Der auf dem Titulus D6 durch das Fehlen des oder der ersten Buchstaben nicht zu deutende Name kann nicht auf die das Kind Servatius (D7) haltende Mutter zutreffen, denn die Eltern des hl. Servatius, der als Nachkomme der Hl. Sippe galt, hießen Enim und Memelia4). Ein Titulus mit dem Namen der Mutter (D12) erscheint aber, in die Stadtarchitektur hineinreichend, am oberen rechten Rand über einer männlichen Hintergrundfigur, von der nur das Gesicht zu erkennen ist. Demnach würde Enim auf der Tafel fehlen, es sei denn, man hielte die unter dem Schriftband memelia stehende männliche Figur für Enim und die Frau mit dem nicht gedeuteten Namen, die den hl. Servatius hält, für die Mutter; die Namen des Elternpaares wären dann verwechselt. Noch hinter den Personen der hinteren Reihe und im Profil sichtbar steht die mit jsmaria (D5) bezeichnete Frau mit hoher, reich geschmückter Haube, die auf einen Apfel (?) in ihren Händen blickt. Gmelin hielt sie für Martha5), die aber eigentlich nicht zum Figurenkreis der Hl. Sippe gehört.

Der Meister der Braunschweiger Sippentafeln hat die Hl. Sippe außer auf diesem Stück und dem Schreinaltar (Nr. 299) auch auf der Außenseite des linken Flügels eines Passionsaltars im Dom zu Halberstadt dargestellt. Das hochrechteckige Format der Tafel bedingte jedoch eine von der Braunschweiger Fassung abweichende dreireihige Gruppierung der Personen. Diese sind nicht durch Tituli bezeichnet, können aber mit Hilfe der auf dem Braunschweiger Altarbild angeordneten und bezeichneten Figuren gedeutet werden6).

Textkritischer Apparat

  1. Das Schriftband ist z. T. vom Rahmen überdeckt oder abgeschnitten; die Auflösung des Namens ist nicht möglich. Vielleicht ist Judas Thaddäus gemeint, der vierte Sohn der Maria Cleophas, der auf dem Altar fehlt (vgl. die Darstellung auf dem linken Innenflügel von Nr. 299).
  2. Name unklar; Gmelin las civate.
  3. Die letzten Buchstaben von der Hand des Priesters verdeckt.
  4. Das Wort endet an der rechten Ecke des Altars, vor dem der Priester steht, die fehlenden Buchstaben sind also an der rechten Querseite zu denken.

Anmerkungen

  1. Zum Werk dieses Meisters vgl. Gmelin, S. 407–420; ausführliche Beschreibung ebd., S. 414–417; vgl. Nr. 299. Zur Darstellung der Hl. Sippe vgl. auch Nr. 285.
  2. Vgl. Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 946, S. 1078. Ebd., S. 1079, wird in Erwägung gezogen, daß der Altar ehemals als Hochaltar von St. Ägidien diente.
  3. Nach den Worten Gabriels an Maria bei der Verkündigung (Lc. 1,28) ist zu lesen (Ave) maria gratia plena. Unklar bleibt, welcher theologische Zusammenhang hinter der Einbringung des Englischen Grußes in die eher seltene Darstellung des Opfers Joachims steht (vgl. LCI 7, Sp. 60–66, hier Sp. 65). Möglicherweise ist die Szene hier typologisch als Präfiguration der Verkündigung und damit des beginnenden Heilsgeschehens zu lesen.
  4. Vgl. LCI 4, Sp. 163f.
  5. Vgl. Gmelin, S. 414. Der Apfel als Attribut ist weder für Martha noch für eine der Figuren der Hl. Sippe nachgewiesen.
  6. Vgl. ebd., S. 420.

Nachweise

  1. Abb.: Gmelin, S. 413–416; Kat. Stadt im Wandel 2, S. 1079.
  2. Lit.: Gmelin, S. 414–417; Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 964, 1078f.

Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 341 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0034101.