Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 35: Stadt Braunschweig I (1993)
Nr. 4 Herzog Anton Ulrich Museum (1077)
Beschreibung
Bleitafel als Grabbeigabe. Die durch einen Querriß gespaltene, an den Rändern stark beschädigte Bleitafel wurde 1668 einem steinernen Sarkophag entnommen, der im Begräbnisgewölbe der Braunschweiger Herzöge unter dem Hohen Chor des Domes stand. Sie wurde wohl im 17. Jahrhundert in das eingetiefte Rechteck einer hölzernen, unten mit einem Stiel versehenen Tafel eingelassen und mit fünf Schrauben im Holz befestigt. Die Buchstaben der fünfzeiligen Inschrift stehen zwischen doppelt gezogenen Linien. Die Tafel befindet sich heute im Ausstellungsraum des Museums in der Burg Dankwarderode.
Maße: H.: 7,5 cm; Br.: 10,5 cm; Bu.: 1,2 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
HIC [RE]QV[I]/ESCIT GERDR/VDIS DEVOTA / (CHRISTI)a) FAMV[LA] / XII K(A)L(ENDAS) A[VGVSTI]
Übersetzung:
Hier ruht Gerdrud, die fromme Magd Christi. 21. Juli.
Textkritischer Apparat
- XPI.
Anmerkungen
- Ausführliche Schriftbeschreibung bei Hartmut Ehrentraut, Bleierne Inschrifttafeln aus mittelalterlichen Gräbern, Diss. (masch.) Bonn 1951, S. 48.
- Ebd., S. 49.
- Ebd., S. 10.
- Ebenfalls Herzog Anton Ulrich-Museum (Burg Dankwarderode); vgl. Bilderhefte 1, S. 9f. und Abb. 12.
- Hermann Dürre, Das Register der Memorien und Feste des Blasiusstiftes in Braunschweig, in: Zs. des historischen Vereins für Niedersachsen 48, 1886, S. 1–104, hier S. 37.
- Bethmann, 1860.
Nachweise
- Abb.: de Winter, Abb. 28.
- Lit.: wie Anm. 1–6.
Zitierhinweis:
DI 35, Stadt Braunschweig I, Nr. 4 (Andrea Boockmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di035g005k0000403.
Kommentar
Die Tafel zeigt eine breite Schriftgestaltung ohne Ligaturen und Enklaven, auch ohne die in dieser Zeit wiederaufgenommenen hohen, schmalen Proportionen1). Im Ganzen überwiegt ein „konservativer Grundcharakter“ der Schrift, die die epigraphischen Neuerungen des 11. Jahrhunderts noch keineswegs rezipiert hat2).
Der Text nimmt mit der Formel hic requiescit die Wortfolge rheinischer Grabschriften auf, wie sie seit Anfang des 8. Jahrhunderts üblich waren. Im 11. Jahrhundert erscheint diese Formulierung vorwiegend auf Bleitafeln in Trier, erstmals 1035, dann in mehreren Beispielen bis zum Ende des Jahrhunderts3). Im sächsischen Raum ist die Grabtafel der Gräfin Gerdrud die frühest bezeugte. Ein späteres Beispiel ist die Grabtafel Kaiser Lothars III., die in der Stiftskirche von Königslutter gefunden wurde4), weitere sind nicht überliefert. Das Todesdatum der Gräfin Gerdrud, deren Memorie jährlich in der Krypta der Braunschweiger Stiftskirche gefeiert wurde, ist auch in das älteste Memorienverzeichnis des Blasius-Stiftes aus dem Jahr 1380 aufgenommen worden5). Die eingehende Kommentierung dieses Verzeichnisses am Ende des 19. Jahrhunderts durch Hermann Dürre und eine Untersuchung durch den Braunschweiger Historiker Ludwig Bethmann führten erstmals zu einer korrekten Identifizierung der Brunonengräfin Gerdrud, die zuvor meist mit ihrer gleichnamigen Enkelin verwechselt worden war, und zur Aufklärung der dynastischen Verbindungen6).