Inschriftenkatalog: Stadt Zeitz

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 52: Stadt Zeitz (2001)

Nr. 55† Posa, Kloster um 1500

Beschreibung

Wandmalerei; Freskotechnik(?). Die Malereien mit Beischriften befanden sich wahrscheinlich in den Mönchszellen. Zader überliefert sie nach Johann Lincke1), der die Inschriften 1576 im Original gesehen hat. Inschrift (A) befand sich vielleicht neben einer Darstellung der Kreuzigung, Inschrift (E) neben dem Bild eines knienden Mönchs. Bei Inschrift (E) sind die Textzeilen in je eine gezeichnete Leiter eingeschrieben, anscheinend der Vorlage folgend. In Inschrift (F) waren die benediktinischen Tugenden um sieben Äste eines aus einem Mönchsgrab herauswachsenden Baumes (durch Zader als Skizze wiedergegeben)2) angeordnet. Inschrift (I) stand bei einer Darstellung Satans, der sieben Häupter mit sieben Hörnern in seiner Hand hielt.3)

Offensichtlich gibt Zader (Lincke folgend) in den Inschriften (A), (C), (D), (E), (F), (H), (I) die Anordnung von Textteilen, in den Inschriften (B), (C), (D), (E), (G), (H) die Zeilentrennung des Originals wieder.

Inschriften nach Zader/O.

  1. A

    Quinque sunt opera Cellae p(rae)cipua 1 lussis intendere 2 Utiliter legere 3 Medita(ti)o(n)i insistere 4 Frequenter orare 5 Decenter q(ui)escere / S(anctus) Bernhard(us) / Surge piger cur dormitas imitare Coenobitas antiqvorum temporum Erant modo crucifixi cum vitiis e(t) transfixi charitatis gladio Vitam hanc parvi pendebant Nam coelesti adhaerebant toto desiderio Corpus satis castigabant lectionib(us) vacabant e(t) orabant jugiter Nunqvam erant otiosi v(ir)ib(us) effectuosi tu vade Fac similiter

  2. B

    Pretiosa in conspectu Domini mors Sanctorum ei(us)4)/ Qvare / Qvia est introitus ad reqviem / in veram vitam / ad Securitatem / in abundantiam / ad claritatem / ad laeticiam e(t) pacem / ad aeternitatem e(t) / sanctorum societatem

  3. C

    Mors peccatorum pessima (Psalm)a) 325)Mors est triplexb)corporalis q(u)a separat(ur) a(n)i(m)a a corpore [Haec est] malaSpiritualis q(u)a separat(ur) De(us) ab a(n)i(m)a Haec estb) pejoraeterna q(u)a corp(us) et a(n)i(m)a in inferno cruciabunt(ur) [Haec est] pessima

  4. D
    Subdens seb) Majoriiste estb) Magnus 
    [Subdens se] Aequali[iste est] Major 
    [Subdens se] Minori[iste est] M(a)x(im)us 
  5. E

    Scala qua fratres coelum petiere / 1 Time Deum / 2 Nec velle tuum fac / 3 Te regat alter / 4 Dura feras / 5 Nil corde tegas / 6 Sed e(t) infima q(uae)ras / 7 Esto peripsima6)/ 8 Solus agas non / 9 Obstine lingvam / 10 Risus parcus / 11 Sermo gravis / 12 Gestus humiles sint
    Scala q(u)a infernum adiere / 1 Consvetudo peccandi / 2 Libertas peccandi / 3 Rebellio / 4 Murmura(ti)o / 5 Peccatorum defensio / 6 Praesumtio / 7 Arrogantia / 8 Singularitas / 9 Factantia / 10 Inepta laeticia / 11 Levitas mentis / 12 Curiositas

  6. F

    Opera eorum sequunt(ur) illos.7)
    ObedientiaCastitas  PaupertasPatientia      CharitasHumilitas           Pax

  7. G

    Triplex vita / ACTIVA VITA

  8. Activae vitae parsc) superiorc) praedicatio 
      lectio 
     inferiorc) exhibitio mi(ss)ae 
      dispositio familiae 
  9. CONTEMPLATIVA VITA

  10. Contemplativae vitae parsc) sup(er)iorc) considera(ti)o sup(eri)orum 
      in spiritu S(ancto) gaudium 
     inferiorc) scripturae medita(tio) 
      vocalis decanta(tio) vel laus 
  11. VITA ANGELICAS(anctus) Bernh(ardus)Sancti Angeli Dei cellas habent pro Coelis e(t) aeque delectant(ur) in cellis ac in coelis Libenter esto in cella e(t) semper age ali(qu)od in ea q(u)od te aedificat e(t) a majore injungit(ur) reputans q(u)od tui juris non sit eam exire sine licentia q(ui)a q(u)od gerit(ur) in coelis hoc e(t) in cellis Haec Hugo8)

  12. H

    Qui plasma(vi)sti me miserere mei e(t) fac felici reditu ad te reverti a(n)i(m)am q(u)am inspira(vi)sti
    Morti tuae tam amaraegrates ago Jesu chared)[...]esto praesens pie De(us)fac q(uod) petit tu(us) re(us)ut absq(ue) te non finiar

  13. I

    Satan stabat a dextris ei(us) ut adversaret(ur) ei Zachar 39) Ideo resistite Diabolo e(t) fugiet a vobis Jacob 410) Apoc 1211) Vae terrae q(ui)a modicum temp(us) habet Ergo sobrii estote e(t) vigilate q(ui)a adversari(us) vester Diabol(us) circumit 1 Pet 512) /Apoc 1213) Ecce Draco magnus e(t) rufus habens 7 capita i(d) e(st) 7 criminalia vitia e(t) in capitib(us) suis septem diademata i(d) e(st) victorias in vitiis

     Sup(er)bia  
    Luxuria  Avaritia 
    Gula  Ira 
    Invidia  Acedia14) 

Übersetzung:

Es gibt fünf hauptsächliche Tätigkeiten in der Zelle: 1. Die Befehle befolgen. 2. Das Nützliche lesen. 3. Beim Meditieren verharren. 4. Häufig beten. 5. Gesittet ruhen. Der heilige Bernhard. Erhebe dich, du Faulpelz! Was schläfst du? Ahme die Mönche der alten Zeiten nach. Sie waren nur ans Kreuz geschlagen mit ihren Lastern und durchbohrt mit dem Schwert der Liebe: dieses irdische Leben achteten sie gering. Denn dem himmlischen Leben hingen sie an mit ihrer ganzen Sehnsucht. Sie züchtigten den Körper sehr, widmeten sich den Lesungen und beteten beständig. Niemals waren sie müßig, sondern nach Kräften wirksam. Du, gehe hin und tue desgleichen! (A)

Kostbar [ist] vor dem Angesicht des Herrn der Tod seiner Heiligen. Warum? Weil er der Eintritt zur [ewigen] Ruhe ist, zum wahren Leben, zur Sicherheit, zum Überfluß, zum Glanz (Licht), zur Freude und zum Frieden, zur Ewigkeit und zur Gemeinschaft der Heiligen. (B)

Der Tod der Sünder ist am schlimmsten. Psalm 32. Der Tod ist dreifach: der körperliche, durch den die Seele vom Körper getrennt wird, dieser Tod ist schlimm; der geistige, durch den Gott von der Seele getrennt wird, dieser Tod ist schlimmer; der ewige, durch den Körper und Seele in der Hölle gemartert werden, dieser ist der schlimmste. (C)

Wer sich einem Höheren unterordnet, der ist groß; wer sich einem Gleichen unterordnet, der ist größer; wer sich einem Niederen unterordnet, der ist der Größte. (D)

Die Leiter, auf der die Mönche den Himmel erlangten: 1. Fürchte Gott! 2. Führe nicht deinen Willen aus! 3. Laß dich von einem anderen leiten! 4. Ertrage Hartes! 5. Verstecke nichts im Herzen, 6. Suche aber auch das Niedrigste! 7. Sei der Abschaum! 8. Handle nicht allein! 9. Hüte die Zunge! 10. Sei sparsam nut dem Lachen! 11. [Dein] Reden sei ernsthaft! 12. (Deine) Gesten seien demütig. Die Leiter, auf der sie [die Mönche] in die Hölle gelangten: 1. Gewöhnung zu sündigen. 2. Freiheit zu sündigen. 3. Aufruhr. 4. Murren. 5. Verteidigung der Sünder (der Sünden). 6. Anmaßung. 7. Überheblichkeit. 8. Absonderlichkeit. 9. Prahlen. 10. Unpassende Fröhlichkeit. 11. Wankelmütigkeit des Geistes. 12. Neugier. (E)

Ihre Werke folgen ihnen: Gehorsam, Keuschheit, Armut, Duldsamkeit, Liebe, Demut, Friedfertigkeit. (F) Das dreifache Leben.

Das aktive Leben. Der höhere Teil des aktiven Lebens (ist die) Predigt (und) die Lesung. Der niedrigere Teil des aktiven Lebens (ist) das Feiern der Messe und das Sorgen für die Gemeinschaft.

Das kontemplative Leben. Der höhere Teil des kontemplativen Lebens (ist die) Betrachtung der erhabenen Geheimnisse (und) die Freude im Heiligen Geist. Der niedrigere Teil des kontemplativen Lebens (ist die) Meditation über die Schrift (und) der Vokalgesang oder das Lob.

Das himmlische Leben. Der heilige Bernhard: Den heiligen Engeln Gottes sind die Zellen wie der Himmel und sie freuen sich in den Zellen gleich wie im Himmel. Gern sollst du in der Zelle sein und immer etwas in ihr tun, was dich erbaut und vom Älteren auferlegt wird, und halte es nicht für dein Recht, sie zu verlassen ohne Erlaubnis, weil das, was im Himmel geschieht, auch in den Zellen geschieht. Soweit Hugo. (G)

Der du mich geschaffen hast, erbarme dich meiner und laß meine Seele, die du mir eingehaucht hast, in glücklicher Heimkehr zu dir zurückkommen! Für deinen so bitteren Tod sage ich Dank, lieber Jesus, [...] sei zugegen, gütiger Gott, tu, was dein Sünder erbittet: daß ich nicht ohne dich ende! (H)

Der Satan stand zu seiner Rechten, um sich gegen ihn zu wenden. Zacharias 3. Daher widersteht dem Teufel, und er wird von euch fliehen. Jacobus 4. Apokalypse 12. Wehe der Erde, weil sie nur noch wenig Zeit hat. Also seid nüchtern und wacht, weil euer Gegner, der Teufel, umhergeht. Petrus 5. Apokalypse 12. Siehe da, ein großer und roter Drache mit sieben Köpfen, d. h., die sieben Hauptlaster, und auf seinen Köpfen sieben Kronen, d. h. die Siege bei den Lastern. Hochmut, Unzucht, Geiz, Völlerei, Zorn, Neid, Trägheit. (I)

Versmaß: Vier Hexameter (E).  Trochäische Dimeter, endgereimt, formal und inhaltlich dem „Dies irae“ nahe verwandt (H).

Kommentar

Die Inschriften lassen den Einfluß des ersten Traktats „De gradibus humilitatis et superbiae“ Bernhards von Clairvaux (1090–1153) erkennen. In diesem Traktat faßt er, der Regula Benedicti15) verpflichtet, die Lehren für das mönchische Leben in Clairvaux zusammen.

Die Heiligen als Verstorbene (Inschrift B), die öffentliche Verehrung genossen, halfen im irdischen und jenseitigen Leben. So waren sie – nach Christus – Vorbild im Leben und Sterben.

Die Vorstellung vom dreifachen Tod (Inschrift C) entspricht der vom dreifachen Leben (vgl. Inschrift G). Entscheidend ist die Reue in der Stunde des Todes, die zum ewigen Leben im Paradies oder zur Verdammnis in der Hölle führen kann.16)

Die Thematik von der Rangordnung in der Gemeinschaft (Inschrift D) wird vor allem in Kapitel 63 der Benediktinerregel behandelt (De ordine congregationis).

Die zwölf Stufen der Demut, aus denen sich die Gegenteile ergeben (Inschrift E), gelten als Grundregeln des hl. Benedikt (Kap. 7).

Das sogenannte dreifache Leben (Inschrift G) wird unterschieden erstens nach dem aktiven, tätigen in der Welt, zweitens nach dem beschaulichen, geistig-kontemplativen außerhalb der Welt und drittens nach dem höchsten, dem himmlisch-paradiesischen Leben Gottes schon auf Erden, das aber nur wenigen Auserwählten wie dem heiligen Bernhard beschieden ist. Die Anschauung von der vita angelica ist nur in der Klosterzelle, wenn überhaupt, zu verwirklichen.17)

Die Personifikationen der Laster (Inschrift I) wurden von den frühchristlichen Schriftstellern den Tugenden gegenübergestellt, wohl auch angeregt durch neutestamentliche Stellen wie 1. Kor. 6,9f., Gal. 5,19–21, Kol. 3,5–9. In dieser Inschrift werden in der sog. Saligiaformel die sieben Hauptsünden aufgeführt, auf die sich besonders die Kapitel 4, 7, 24, 25, und 48 der Benediktinerregel beziehen. Diesen Lastern stehen sieben Tugenden gegenüber: die antiken (Platon, Cicero) Tugenden Tapferkeit, Klugheit, Mäßigung und Gerechtigkeit, zu denen seit den Kirchenvätern die drei christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe kamen.18)

Textkritischer Apparat

  1. (Psalm) durch ein griechisches Psi abgekürzt.
  2. Dieser Textteil ist mit dem in drei Zeilen folgenden Text durch eine Klammer verbunden.
  3. Dieser Textteil ist mit dem in zwei Zeilen folgenden Text durch eine Klammer verbunden.
  4. Zader/O II, S. 114/e, fügt am Rand ein: op(er)e es p(rae)sens. Das ergibt keinen Sinn. Das Versmaß ist nicht korrekt; es fehlt die korrespondierende Zeile zu Zeile 6 (freundlicher Hinweis von K. Hallof, Berlin).

Anmerkungen

  1. Höchstwahrscheinlich ist der Vikar der Zeitzer Stiftskirche Johann Lmcke gemeint, der im Jahr 1610 mit 58 Jahren gestorben und auf dem unteren Johannesgottesacker begraben worden ist. Seine Grabinschrift ist verloren, wird aber durch Zader überliefert (vgl. Nr. 237). Zur Überlieferung der Inschriften von Posa vgl. auch Liebner, Bd. 1, S. 201.
  2. Beschreibung der Darstellung bei Zader/O II, S. 114/d: „Arbor cum septem ramis nascit(ur) e sepulcro Monachi in cui(us) summitate scriptum.“
  3. Zader/O II, S. 114/e, am Textanfang: „Imago Satanae tenentis septem in manu caput cum 7 cornib(us).“ Ebd., am Textende: „Haec erat imago Capitis, q(u)od Diabol(us) in manu tenebat cum 7 cornib(us).“ Gemeint ist offensichtlich der siebenköpfige Satan. Zum Ganzen: E. Lucchesi Palli, Drache, in: LCI, Bd. 1, Sp. 516–524, besonders Sp. 519; B. Brenk, Teufel, ebd., Bd. 4, Sp. 298.
  4. Ps. 115,15.
  5. Zu korrigieren: Ps. 33,22.
  6. Vgl. I. Cor. 4,13.
  7. Nach Apc. 14,13.
  8. Gemeint ist Hugo von St. Victor in Paris, gestorben 1141. Das Zitat bezieht sich wohl auf sein Hauptwerk „De sacramentis christianae fidei“ (Über die Sakramente des christlichen Glaubens), in dem Hugo darlegt, wie die sichtbare, irdische Welt mit ihrer Geschichte auf die himmlische, jenseitige verweist.
  9. Za. 3,1.
  10. Nach Iac. 4,7.
  11. Nach Apc. 12,12.
  12. Nach I Pt. 5,8.
  13. Nach Apc. 12,3.
  14. Statt „acedia“ ist häufiger „accidia“ verwendet, auch „tristitia“ als Melancholie, die zum verwerflichen Selbstmord führen kann. Vgl. insgesamt: M. W. Blomfield, The Seven Deadly Sins, Michigan 1952.
  15. G. Holzherr, Die Benediktsregel, lateinisch-deutsch, 2. überarbeitete Auflage, Zürich 1982.
  16. N. Ohler, Sterben und Tod im Mittelalter, München 1990; P. Dinzelbacher, Sterben und Tod im Mittelalter, in: ders. (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1993.
  17. Vgl. dazu M. G. Sargent (Hg.), De cella in seculum, Woodbridge 1989; B. Lang, C. McDannell, Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, Frankfurt a. M. 1990.
  18. Vgl. Tugenden und Laster, in: H. Sachs, E. Badstübner, H. Neumann, Christliche Ikonographie in Stichworten, Leipzig 1973, S. 331–334; Laster, M. Evans, in: LCI, Bd. 3, Sp. 15–27.

Nachweise

  1. Zader/O II, S. 114/c–e.

Zitierhinweis:
DI 52, Stadt Zeitz, Nr. 55† (Martina Voigt), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di052b007k0005501.