Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 77 Stiftsmuseum E. 15.–A. 16. Jh.

Beschreibung

Korporalientüchlein,1) niederrheinisch (?), Seidentuch mit Deckfarbenmalerei, kleinere Farbabsplitterungen. Das Korporalientüchlein bedeckte ursprünglich die Deckelinnenseite eines Korporalienkästchens (vgl. Nr. 257).2) Auf der Vorderseite befindet sich in einem profilierten braunen Rahmen die qualitätvolle Malerei einer Kreuzigung vor einem Sternenhimmel über braunem Erdgrund: Dargestellt ist Christus am Kreuz (mit Titulus) zwischen Maria und Johannes, Engel fangen das aus den Wunden Christi fließende Blut in Kelchen auf. Am Fuß des Kreuzes kniet anbetend ein nimbierter Geistlicher, vielleicht der hl. Norbert als Vertreter seiner geistlichen Mitbrüder am Xantener Stift.3) Die Rückseite des Tuchs ist grün und rot gestreift.

Maße: H. 18,5 cm; B. 18,5 cm; Bu. ca. 0,3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. INRI4)

Kommentar

Das N ist retrograd ausgeführt, die unteren Enden des linken Schaftes und des Schrägschaftes berühren einander nicht. Ob diese Form bereits als bewusstes Aufgreifen von Formen der frühhumanistischen Kapitalis gewertet werden kann, ist fraglich, zumal andere typische Elemente wie etwa der Nodus am I fehlen. R hat eine geschwungene, verkürzte Cauda, der letzte Buchstabe ist kleiner als die anderen. Angesichts des geringen Buchstabenbestandes kann der Schriftbefund wenig zur Datierung des Tüchleins beitragen, steht aber der Datierung ins Ende des 15. oder an den Anfang des 16. Jahrhunderts durch die kunsthistorische Forschung5) nicht entgegen.

Bei der Messliturgie wurde unter dem Kelch ein Kelchtuch, das sog. Korporale, ausgebreitet. Es stellte symbolisch das Grabtuch Christi dar und wurde gefaltet in einem Korporalienkästchen oder einer Korporalientasche zum Altar getragen (s. Nr. 257).

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. nach Hölker (1925): I-81. Vgl. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 139, Nr. 30.
  2. Anders Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 125, der an eine palla corporalis zur Abdeckung eines Kelches denkt. Format und Gestaltung des Tüchleins sprechen jedoch gegen diese Deutung, vgl. Bachem, Korporalienkästchen (2000), S. 174–191, und A. Vokner, Zwei Korporalienladen, in: Kat. Basler Münsterschatz (2001), Nr. 42, S. 142–144, Abb. 133; s. auch Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), S. 164.
  3. Wegen des Nimbus liegt die Deutung auf den hl. Norbert nahe (Clemen, KDM Kreis Moers [1892], S. 139), der „hier exemplarisch für die Stiftsherren in das Passionsgeschehen einbezogen ist.“ (Grote, Schatz von St. Viktor [1998], S. 126). Im Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010) wird auf diese Deutung verzichtet. Zur Ikonographie und zur kunsthistorischen Einordnung siehe Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 125–127.
  4. Nach Io 19,19.
  5. Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 127; Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), S. 164.

Nachweise

  1. Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 125–127 (mit Abb.).
  2. Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), Nr. VII/04, Abb. S. 165.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 77 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0007700.