Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 255 St. Viktor, Lapidarium 17. Jh.

Beschreibung

Gesims von der Fassade der Antoniuskapelle vor dem Klever Tor (Ecke Antoniusstraße/Siegfriedstraße). Baumberger Sandstein. Vor der Zerstörung der Kapelle 19451) unterhalb eines skulptierten Kruzifixes (mit Totenschädel und gekreuzten Knochen)2) in die Fassade eingefügt. Sieben Fragmente des Gesimses sind im Lapidarium erhalten.3) Die Inschrift, eine exegetische Bildbeischrift in Form eines Figurengedichts, ist unter einer durch Stege und Hohlkehlen profilierten Rahmenleiste erhaben aus dem leicht eingetieften Grund herausgehauen, die Zeilen sind durch Stege voneinander abgesetzt. Die beiden klanglich völlig parallel gebauten Hexameter verteilen sich graphisch auf drei Zeilen. Der Text ist so gesetzt, dass Wortteile, die in beiden Versen vorkommen, in der mittleren Zeile zusammengefasst und sowohl in der ersten als auch in der dritten Zeile in die Lücken, die an den betreffenden Stellen gelassen wurden, einzusetzen sind.4) Der Raum zwischen den Wortfragmenten ist mit Rankenornament gefüllt.

Ergänzungen nach Rein.

Maße: H. ca. 27 cm; Bu. 4 cm (1. und 3. Zeile), 3,5 cm (2. Zeile).5)

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Foto Kristine Weber) [1/6]

Text in seiner graphischen Anordnung:

  1. Q[U]       A               [T               D]                 [F]U               STR   OS       NGUIS       [RISTI       IRUS D]E         [NERE]         AV[IT] [H]       SA              [CH              M]                VUL                  L

Zu lesen:

  1. QUOS ANGUIS TRISTI DIRUSa) DE FUNERE STRAVIT HOS SANGUIS CHRISTI MIRUSa) DE VULNERE LAVITb)6)

Übersetzung:

Diejenigen, die die grässliche Schlange ins Verderben stürzte, die wusch das wunderbare Blut aus der Wunde Christi rein.

Versmaß: Hexameter mit zweisilbigem Zäsur- und Endreim (Figurengedicht).

Kommentar

Die Buchstaben sind sehr sorgfältig gehauen, die Bögen gleichmäßig gerundet und mit leichten Schwellungen versehen. Die offenen Enden der Schäfte, Balken und Bögen enden in Serifen. Zwischen konsonantischem V und vokalischem U wird unterschieden. Das oben erläuterte Prinzip, das dem Layout der Schrift zu Grunde liegt, wird nur bei ANGUIS/SANGUIS durchbrochen: A aus ANGUIS rückt, offenbar aus Gründen der Symmetrie, in die obere Zeile, das S aus der dritten Zeile wird durch ein A ergänzt.

Die Inschrift nimmt Bezug auf den Gegensatz zwischen der Erbsünde, herbeigeführt durch die Untat der Schlange, und der Erlösung durch den Tod Christi. Die jeweiligen ersten Halbverse des Figurengedichts gehen auf Hugo von Orléans (ca. 1086–ca. 1160) zurück, dessen Version des Gedichts bis ins 17. Jahrhundert hinein rezipiert wurde.7)

Die sprachlich anspruchsvolle Gestaltung der Inschrift und ihre qualitätvolle Ausführung stehen in einem gewissen Gegensatz zum schlichten Backsteinbau mit geschwungenem Giebel und zu dem schlichten Kruzifix. Die Kapelle ist im 17. Jahrhundert als Nikolauskapelle bei dem sog. Campus des hl. Antonius bezeugt und nahm offenbar später den Namen des umliegenden Terrains an. Ob das Gesims mit dem Figurengedicht tatsächlich für die kleine Kapelle angefertigt oder aus anderem Zusammenhang übernommen wurde, lässt sich nicht mehr klären.

Textkritischer Apparat

  1. Fehlt bei Engelskirchen.
  2. Engelskirchen notiert gegen den Befund das A aus ANGUIS in der zweiten Zeile.

Anmerkungen

  1. Zum Aussehen der Kapelle vgl. RBA 820111 (1948), RBA XR 24/12.
  2. Auf alten Aufnahmen ist ein Kreuztitulus zu erahnen.
  3. Inv.-Nr.: 686 a-g. Die Fragmente 686 c und 686g tragen keinen Text.
  4. Die vergleichbare Anordnung zweier Distichen ist aus Paderborn überliefert, vgl. Paul Michels, Paderborner Inschriften, Wappen und Hausmarken, gesammelt und ausgewertet für die Familienforschung, Paderborn 1957, S. 191, Bildbeilage S. 16, Nr. 8 (1693).
  5. Eine Angabe der Breite ist nicht mehr möglich.
  6. Vgl. Hugo von Orléans: „Quos anguis tristi virus mulcedine pavit / hos sanguis Christi mirus dulcedine lavit“, vgl. Wilhelm. Meyer, Die Oxforder Gedichte des Primas (des Magisters Hugo von Orléans), Berlin 1907, ND 1970, S. 79.
  7. Beliebt war ihre Verwendung zur Ausgestaltung von Buchtiteln, siehe etwa La passione del nostro Signore Giesu Christo, Venezia 1606 (Saverio Franchi, Drammaturgia Romana. Repertorio bibliografico cronologico dei testi drammatici pubblicati a Roma e nel Lazio, secolo XVII [Sussidi eruditi 42], Rom 1988, S. 40). Als Inschrift ausgeführt wurde der Text am Portal der Kirche von Troistorrents (Kanton Wallis, Schweiz) (Théophile de Gautier, Les vacances du lundi. Tableaux de montagnes, Paris 1881, Réédition partielle Seyssel 1994, S. 138f.).

Nachweise

  1. Rein, Gedenktafel (1869), S. 176f. (unter Berufung auf Cuno).
  2. Kraus, Christl. Inschriften II (1894), S. 301, Nr. 657 (unter Berufung auf Rein).
  3. Engelskirchen, Xantener Kapellen (1957), S. 224.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 255 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0025500.