Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 185 St. Viktor, Langchor 1574
Beschreibung
Zwei gewirkte Bildteppiche, die sog. Wylich-Teppiche, benannt nach ihrem Stifter, dem Xantener Kanoniker Adolf von Wylich. Aufgehängt im Langchor neben den Zugängen im Süden und Norden über dem Chorgestühl. Bildthemen sind der Kniefall Esthers vor Ahasver im Süden1) und Abigails vor David im Norden2). Das querrechteckige Bildfeld ist jeweils gerahmt von Bordüren, auf denen links und rechts unter Baldachinen sitzende Musikantinnen unter Frucht- und Blattständen dargestellt sind. Die Horizontalbordüren sind, über beide Teppiche verteilt, zwischen Balustern mit einer Ahnenprobe zu 16 Vollwappen gefüllt, wobei auf dem Esther-Teppich die Wappen der väterlichen, auf dem Abigail-Teppich die der mütterlichen Linie jeweils mit den Wappen der männlichen Vorfahren oben und denen der jeweiligen Ehefrauen unten angeordnet sind. In der Mitte zwischen dem zweiten und dritten Wappen Schrifttafeln mit Bildbeischriften (A, C) oben sowie die gleich lautenden Stifterinschriften (B, D) in Niederländisch unten.
Im Zentrum des südlich aufgehängten Teppichs Esther vor Ahasver3): Esther, jüdische Königin im Perserreich des Großkönigs Ahasver/Xerxes I., bittet diesen zum ersten der Gastmähler, in deren Verlauf sie den Sturz Hamans, des Vertrauten des Königs, bewirkt und die Juden rettet. Ahasver empfängt Esther, die mutig das Verbot umgangen hat, den Innenhof des königlichen Palastes unaufgefordert zu betreten, und streckt ihr zum Gnadenerweis sein Zepter entgegen. Zwei Hofdamen halten die Schleppe der Königin. Hinter dem Thron Ahasvers Mordechai, Onkel und Vormund der Esther, der durch seine Unbotmäßigkeit Haman gegenüber den Zorn des Großfürsten gegen die Juden im Reich ausgelöst hatte, hinter ihm das Gesicht des Haman. Ein junger Mann neben Ahasver dreht sich zu Haman um und zeigt triumphierend auf Esther, weitere Personen im Hintergrund beobachten das Geschehen im Palasthof.
Im Bildteil des nördlichen Teppichs die Darstellung Abigails vor David, einer Erzählung, die zur Regierungszeit König Sauls spielt.4) Der reiche Nabal hat die Gastfreundschaft Davids übel vergolten und Gastgeschenke an die von David ausgesandten Boten brüsk abgelehnt. Daraufhin rückt David mit einer Heerschar an und will Nabal und sein Haus vernichten. Da zieht ihm Nabals kluge Frau Abigail ohne Wissen ihres Mannes mit reichen Gaben entgegen, wirft sich ihm zu Füßen und bietet ihm Ersatz für die von Nabal verweigerten Abgaben. David lässt sich besänftigen und nimmt nach dem baldigen Tod Nabals Abigail zur Frau. Auf dem Bild ist der gerüstete David vor seinen Kriegern vom Pferd gestiegen und geht freundlich auf Abigail zu, die, in ein kostbares Gewand gehüllt, von ihrem Esel abgestiegen ist und vor David niederkniet. Vor und neben Abigail stehen Gaben, die sie dem König anbietet. Knechte und Mägde bringen weitere Geschenke, die von Eseln herbeigetragen werden.
Konservierung 1962 durch V. Thorn, Wuppertal, Nadelrestaurierung durch E. Klein-Köppen, Düsseldorf-Wittlaer, unter Fachaufsicht der Zentralen Forschungsstelle für die Restaurierung historischer Gewebe, Krefeld.5) 1995 Stickstoffbegasung.6)
Siehe Lageplan.
Maße: Esther vor Ahasver: H. 137 cm; B. 268 cm; Bu. 3,2 cm. Abigail vor David: H. 140 cm; B. 268 cm; Bu. 3–3,5 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
HASVEROS · / · EN · ESTHER · / · CAP · 7a)
- B
· DIT · TAPPIITS · / · GHEEFT · HEER · / · ADOLF · VAN · / · WIELICK · 1574 ·
- C
· VAN · DAVIT · / · EN · ABIGAEL · / · I · SAMVEL · / · CAP · 25 ·
- D
· DIT · TAPPIITS · / · GHEEFT · HEER · / · ADOLF · VAN · / · WIELICK · 1574 ·
Übersetzung:
(B, D) Diese Teppiche gab Herr Adolf van Wylich 1574.
Wappen auf dem Esther-Teppich: | |
Wylich7) | Bylandt8) |
Boetzelaer9) | Langerack10) |
Bylandt | Linden11) |
Schulenburg12) | Cuinre13) |
Wappen auf dem Abigail-Teppich: | |
Milendonck14) | Strecke15) |
Drachenfels16) | Palandt zu Wildenburg17) |
Hoemen zu Odenkirchen18) | Palandt zu Breidenbend19) |
Monfort20) | Goor21) |
Textkritischer Apparat
- 7 falsch für 5.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker/Jaques: I-60a.
- Inv.-Nr. nach Hölker/Jaques: I-60b.
- Vgl. Est 4,11 und 5,1f. sowie zur Ikonographie I. Weber, Art. Esther, in: LCI, Bd. 1 (1968), Sp. 684–687. Ahasver (Ahaschverosch) ist der hebräische Name Xerxes‘ I. (486–465 v. Chr.), so genannt in den griechischen geschichtlichen Quellen (z. B. Herodot), in den griechischen Ergänzungen zum Buche Esther als Artaxerxes bezeichnet.
- Vgl. I Sm 25,2–42.
- Ausführlicher Bericht bei Jaques/Rotthoff, Parament (1987), S. 70f.
- Siehe Heitmeyer-Löns, Inventar Paramente (2008), Bd. 7, Nr. 813f.
- Fahne, Köln. Geschlechter 1 (1848), S. 458.
- Ebd., S. 59.
- Müller-Westphal, Wappen (1989), S. 99.
- Löwe, belegt mit Turnierkragen.
- Rotes Kreuz in Gold (statt goldenes Kreuz in Rot, so bei Rietstap, Armorial, Bd. 2 [1887], S. 119).
- Ebd., S. 734.
- 6 rote Schrägbalken in Gold.
- Quadriert: 1/4. Balken, 2/3. Drache (?) (vgl. Fahne, Köln. Geschlechter 1 [1848], S. 282, dort Balken).
- Roter Turnierkragen (in Gold?).
- Müller-Westphal, Wappen (1989), S. 248.
- Wappenbild unkenntlich. Vgl. Müller-Westphal, Wappen (1989), S. 661.
- Fahne, Köln. Geschlechter 1 (1848), S. 159.
- Wappenbild weitgehend unkenntlich. Müller-Westphal, Wappen (1989), S. 661.
- Rietstap, Armorial, Bd. 2 (1887), S. 251.
- In Gold 3 rote steigende Halbmonde (vgl. Müller-Westphal, Wappen [1989], S. 383, dort über flammendem Herzen).
- Göbel, Wandteppiche, III. Teil (1934), S. 20f.
- Ebd., S. 71f.
- Vgl. Nr. 180 und Nr. 164; vgl. auch Wilkes/Brandts, Inventar (1957), Stammtafel der Familie Wylich; ferner Pels II, Deliciae (1734), p. 269 und 310, Successio, fol. 41v–42r. In der Successio wird er „Adolphus a Wylich van gen Disfoert“ genannt.
- Wilkes, Studien (1952), S. 50 mit Quellenangaben in Anm. 28, S. 55.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 269, 310; Successio, fol. 41v–42r.
- Wilkes/Brands, Inventar (1957), Nr. 1030 von 1598 Aug. 4; Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 69.
Nachweise
- Clemen KDM Kreis Moers (1892), S. 114 (C).
- Hölker/Jaques, Inventar (1925/75), I-60.
- Klapheck, Dom (1930), S. 137.
- Jaques/Hilger, Paramente (1979), Tf. 50f.
- Schiffler, Inventar (1981), Mp. IV, Textilien, Nr. 5.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 69.
- Heitmeyer-Löns, Inventar Paramente (2008), Bd. 7, Nr. 813/14.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 185 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0018507.
Kommentar
Die Schrift ist insgesamt sorgfältig gearbeitet und gleichmäßig proportioniert, die Schaft-, Balken- und Bogenenden tragen Serifen. B mit deutlich kleinerem unterem Bogen verleiht der Schrift allerdings eine ungelenke Note. Der untere Balken des F durchkreuzt den Schaft. Auffälligstes Element sind die ausgeprägten, leicht geschwungenen i-Striche anstelle von i-Punkten. Die Worttrennung erfolgt durch Quadrangel in der Zeilenmitte.
Jaques/Rotthoff gehen mit Bezug auf das sechsbändige Werk über Wandteppiche von Göbel22) ausführlich auf die Frage der Werkstatt ein und kommen zu dem Schluss, dass die Wylich-Teppiche vermutlich im Umkreis der berühmten Werkstatt des Brüsselers Johann van Tiegen in Wesel entstanden. Der Protestant Johann van Tiegen war 1568 vor den Repressalien des Herzogs Alba aus Brüssel nach Köln geflohen, von dort 1570 wegen Ketzereiverdachts verbannt worden und mit seiner ganzen Werkstatt nach Wesel übergesiedelt.
Die Familie des Xantener Kanonikers Adolf von Wylich war auf dem nahe bei Wesel gelegenen Schloss Diesfordt ansässig.23) Adolf von Wylich (quellenmäßig belegt 1573–1599) gehörte der 7. Generation der Familie van Wylich auf Schloss Diersfordt bei Wesel in der Linie der klevischen Erbhofmeister an.24) Er war der Sohn des Adolf von Wylich (1523–1591) und dessen erster Frau Elisabeth, Tochter des Dietrich von Millendonk und dessen Frau Agnes von Drachenfels. 1566 wurde er als Kanoniker am Viktorstift zugelassen, er erhielt die Präbende des Heinrich von Riswick (vgl. Nr. 193). Adolf von Wylich verließ Xanten 1569 zu Studienzwecken, ist aber 1576–1581 als Bewohner der Kurie Nr. 10 nachgewiesen.25) Am 3. Dezember 1580 verzichtete er auf sein Kanonikat,26) 1598 ist er als klevischer Erbhofmeister bezeugt.27)