Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 166 Rees, St. Mariä Himmelfahrt um 1560
Beschreibung
Kasel, vermutlich aus dem Birgittenkloster Marienbaum. Weinroter, ungemusterter Seidensamt aus Italien mit Gold- und Perlstickerei, um 1560.1) Stab und Rückenkreuz mit Gold-, Silber- und Seidenstickerei in Anlege- und Lasurtechnik auf Leinwand entstanden der kunsthistorischen Expertise zufolge um 1550 vermutlich in der Werkstatt des Gommert Minten in Lier (Brabant).2) Vorder- und Rückseite der Kasel sind mit einem aufwändig gearbeiteten stilisierten Granatapfelmuster bedeckt, in das Nomina sacra sowie Heiligennamen als Anrufungen, z. T. mehrfach wiederholt, in weißer Perlstickerei eingestellt sind (A–G). Die Besätze tragen durch eine aufsteigende Ranke verbundene Rundmedaillons mit Heiligendarstellungen und Szenen aus dem Marienleben: auf dem Rückenkreuz im Schnittpunkt der Kreuzarme ein durch die Größe hervorgehobenes Medaillon mit der Geburt Christi, darüber und zu den Seiten der Tempelgang Mariens, die Verkündigung und die Heimsuchung, darunter die Anbetung der Könige, Pfingsten und die mystische Vermählung Christi mit der hl. Birgitta. Auf dem Stab der Vorderseite Krönung und Himmelfahrt Mariens, Maria und Maria Magdalena, der hl. Augustinus und die hl. Birgitta. Den Hintergrund bilden Landschaftsdarstellungen nach dem Vorbild niederländischer Tafelmalerei. Unter dem Querbalken des Rückenkreuzes wurden – wohl im Zusammenhang mit der Stiftung der Kasel nach Marienbaum – im 17. Jahrhundert zwei Wappen im Rautenschild mit Rangkronen hinzugefügt.
Maße: H. 124 cm; B. 95 cm; Bu. ca. 3,3 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
M(A)R(I)A
- B
IHSa)
- C
B(I)R(GIT)TA
- D
ANNA
- E
CAT(HARIN)A
- F
AVG(VSTINV)S
- G
IO(H)AN(NES)
[von Loe]3), Haes4) |
Textkritischer Apparat
- Mit Kreuz über dem Querbalken des H. Eine Auflösung zu IE(SV)S oder zu IH(ESV)S ist möglich, zu weiteren Auflösungen s. die Einleitung, Kap. 1.
Anmerkungen
- Es ist nicht bekannt, wie und wann die Kasel nach Rees gelangt ist.
- Sporbeck/Karrenbrock in Kat. Goldene Pracht (2012), S. 324f.
- Offenbar von Loe. Erkennbar ist noch eine annähernd ringförmige Struktur in dunkler Farbe, wohl ein schwarzer Kesselhaken (vgl. Fahne, Köln. Geschlechter, Bd. 1 [1848], S. 64).
- Ebd., S. 129.
- Sporbeck/Karrenbrock in Kat. Goldene Pracht (2012), S. 324f.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 39; vgl. auch Reichert, Spätgotische Stickereien (1938), S. 84f.
- Scholten, Marienbaum (1909), S. 62.
- Wohnsitz des Ehepaares war Schloss Wissen (Weeze, Kreis Kleve), das sich seit 1461 im Besitz der Familie von Loe befindet (Handbuch der historischen Stätten [2006], S. 1064).
- Frankewitz, Niederrhein (2011), S. 516, 518.
- Kat. Goldene Pracht (2012), S. 325.
Nachweise
- Reichert, Spätgotische Stickereien (1938), S. 84f., Abb. 38.
- Kat. Goldene Pracht (2012), S. 324f., Nr. 162 mit Abb. (Gudrun Sporbeck, Reinhard Karrenbrock).
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 166 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0016600.
Kommentar
Die gestickten Kapitalisbuchstaben tragen Sporen an den Schaftenden. Der obere Bogen des B und der Bogen des R sind tropfenförmig und treffen am Schaft mit dem unteren Bogen bzw. der geschwungenen Cauda zusammen. M hat parallele Außenschäfte und einen weit nach unten, aber nicht bis auf die Grundlinie gezogenen Mittelteil. Das obere Bogenende des G ist über die Cauda hinaus verlängert. Alle Kürzungsstriche sind ausgebuchtet.
Die Datierungen des Trägerstoffs mit den Inschriften wie auch der Besätze folgen der textilhistorischen Einschätzung.5) Sporbeck und Karrenbrock weisen wie bereits Jaques auf die technischen und stilistischen Übereinstimmungen des Kaselbesatzes mit den Bildstickereien auf der Kasel aus der (inschriftlosen) sog. Violetten Kapelle hin, die 1540 von Sibert von Riswick für den Xantener Dom gestiftet wurde und vermutlich ebenfalls aus der Werkstatt des Gommert Minten stammt.6) Ob die Kasel, wie Jaques vermutet, von der Marienbaumer Äbtissin Birgitta von Riswick (1553–1581)7) gestiftet wurde, ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand ungewiss. Ebenso ist fraglich, ob die Wappen von Wessel von Loe zu Wissen III. († 1625) und seiner Frau Sophia Haes von Konradsheim († 1629)8) oder von einem ihrer zwölf Kinder auf der Kasel angebracht wurden und aus welchem Anlass das geschah. Ritter Wessel von Loe war 1593 Rat des Klever Herzogs Johann Wilhelm, 1606 Präsident der klevischen Rechenkammer und machte sich u.a. als Sammler römischer Altertümer einen Namen.9) Zwei Töchter des Ehepaars standen dem Birgittenkloster in Marienbaum als Äbtissinnen vor.10)