Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 158 St. Viktor, Kreuzgang 1556

Beschreibung

Epitaph für Nikolaus Ruter im Ostflügel des Kreuzganges, Joch U3.1) Baumberger Sandstein. Das Epitaph besteht aus einem Bildrelief mit architektonischer Rahmung und einer separat gearbeiteten Schrifttafel. Im Relief ist die Begegnung Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen vor der Kulisse des Ortes Sychar dargestellt.2) Die Samariterin, mit einem Krug in der Rechten, ist im lebhaften Gespräch mit dem ihr gegenüber sitzenden Jesus begriffen. Im Hintergrund kommen einige Jünger hinzu. Am linken Bildrand der kniende Stiftsherr in Adorantenhaltung. Die flankierenden Pilaster sind mit Stabkandelaber-Ornament, Gebälkfries und Sockelfeld mit Arabesken verziert. Im Aufsatz zwischen kugelförmigen Akroterien ein eingezogener, leicht konkav geformter und mit Muschelornament gefüllter Dreiecksgiebel, an den sich seitlich ursprünglich jeweils ein (heute verlorener) Putto anlehnte. Im Unterhang zwischen Volutenkonsolen eine querrechteckige Inschrifttafel. Die siebenzeilig eingehauene Inschrift ist teilweise abgesandet, aber noch weitgehend lesbar.3) Sie enthält einen mit einer Widmung verbundenen Setzungs- und Sterbevermerk mit engem Bezug zur Darstellung im Relief (A) und einen Trostspruch in Form eines Schriftzitats (B). Das Epitaph wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und 1955 restauriert.4) Das Gesicht der Frau ist heute nicht mehr zu erkennen.

Ergänzungen nach Foto.

Siehe Lageplan.

Maße: H. 155 cm; B. 86 cm; Bu. 2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit humanistischer Minuskel (A), humanistische Minuskel (B).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Foto Sonja Hermann) [1/2]

  1. A

    D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) NICOLA[O R]VTERO CANO(NICO)a) ETb) ECCLESIA[=]/STAE XAN(TENSI)c) Qui c[um a]nnis aliquot dulciss(imi)c) diuini / uerbi aquas ex ipsis [scripturae] fontib(us)c) haust[as] di/ligenter populo [m]ini[str]asset : eidem [pio o]peri im/mortuus est. Cuius in[ter]itum tota [defleuit] Resp(ublica). / Obiit An(no) do(mini) 1.5.5.6. [D]ie 19. Martii : / EXEC(VTORES)c) POS(VERVNT)d)

  2. B

    Bonorum laborum glorios[us e]st fruct(us) . Sap(ientia) 3 :5)

Übersetzung:

(A) Dem besten (und) höchsten Gott. Für Nikolaus Ruter, Kanoniker und Prediger in Xanten. Nachdem er etliche Jahre hindurch dem Volk mit den Wassern des höchst erquickenden göttlichen Wortes, die aus den Quellen der Schrift selbst geschöpft waren, umsichtig gedient hatte, ist er über dieser frommen Tätigkeit gestorben. Seinen Tod hat das ganze Gemeinwesen beweint. Er verstarb im Jahre des Herrn 1556 am 19. März. Die Testamentsvollstrecker haben (dieses Epitaph) errichtet.

(B) Ruhmreich ist der Lohn guter Mühen. Weisheit 3.

Kommentar

Der Renaissancerahmen mit Muschelgiebel verweist das Epitaph in den Umkreis Arndt van Trichts, der einen fast identischen, vielleicht mit Hilfe einer Schablone hergestellten Rahmen selbst schon beim Epitaph Ludgeri verwendet hatte (Nr. 147). Varianten sind lediglich die Kugelakroterien und zwei heute nicht mehr vorhandene Putten im Aufsatz.6) Parallelen zum Epitaph für Otto und Heinrich Ingenwinkel (Nr. 163, vgl. auch Nr. 156), die Kamphausen hinsichtlich der Ornamentik und der Stilistik erkennt,7) lassen sich für die Schrift jedenfalls unschwer feststellen. Zu nennen sind sowohl die Kombination von humanistischer Minuskel und Kapitalis als auch die stilistische Gestaltung der breit proportionierten Kapitalisbuchstaben wie des M mit schrägen Außenschäften und kurzem Mittelteil. Die Kürzung erfolgt durch zwei übereinander gesetzte Dreispitze oder einzelne Dreispitze auf der Zeile. Einige Wortanfänge sind vergrößert. Wie beim Ingenwinkel-Epitaph setzt sich der Text hier aus einem Sterbe- und Setzungsvermerk (wobei Letzterer hier optisch durch die Verwendung der Kapitalis hervorgehoben ist) und einem davon durch das Layout abgesetzten Bibelzitat zusammen. Die von Kamphausen postulierte Anfertigung der beiden Epitaphien durch Arndt van Tricht ist daher wahrscheinlich.

Der Priester Nikolaus Ruter wurde nach Pels8) am 8. Oktober 1540 als Kanoniker aufgenommen und erhielt eine Priesterpräbende. Seine Fähigkeit zu predigen, die in der Inschrift angesprochen wird, rühmen auch Pels und die Successio: „Nicolaus Ruither fuit in concionando singularis et extraordinarius in Eccl(es)ia Xant(ensi).“9) Nach den Präsenzrechnungen ist er seit 1542 als Nachfolger des Arnold de Platea im Besitz der Kurie Kapitel 16 belegt.10) Friedrich Vulturius bestimmte ihn zu einem seiner Testamentsvollstrecker (vgl. Nr. 146).11) Im Hinblick auf ein Legat, das Friedrich Vulturius zwei Mägden für einen Hauskauf ausgesetzt hatte, verkaufte Ruter wenige Monate später sein ererbtes Haus in der Brückstraße den Mittestamentsvollstreckern für „drei alte und fromme Personen und Dienstmägde“, nach denen das Haus heute als Arme-Mägde-Haus bezeichnet wird.12) Bei diesem Verkauf reservierte Nikolaus Ruter zwei Kammern zur eigenen Verwendung. Ruters Todestag wird, mit der Inschrift übereinstimmend, auch in einer Thesaurierechnung mit dem 19. März 1556 angegeben,13) hingegen vermerken Pels und die Successio abweichend den 19. Februar.14) Das Epitaph im Umgang des Kreuzgangs hat der Verstorbene selbst gestiftet.15) Der Kanoniker hat sich testamentarisch durch Stiftungen hervorgetan, u. a. bedachte er zwei arme Studenten aus seiner Verwandtschaft.16) Die beiden Kammern im Arme-Mägde-Haus hinterließ Nikolaus Ruter zwei armen ehrlichen „frowen oder mannspersonen“, die aus den Mitteln seiner Stiftung eine jährliche Geldspende erhielten.17)

Textkritischer Apparat

  1. A verkleinert und in C eingestellt. Kürzung durch zwei übereinander gestellte Dreispitze.
  2. Verwendet wird die aus dem kursiven Schreiben entwickelte Ligatur.
  3. Kürzung durch zwei übereinander gestellte Dreispitze.
  4. Buchstabenbestand: [P]OS[S]. Kürzung durch zwei übereinander gestellte Dreispitze.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-27.
  2. Nach Io 4.
  3. Vgl. die Vorkriegsaufnahme RBA 25163 und die Aufnahme unmittelbar nach der Restaurierung 1955 (RBA 831009).
  4. Siehe RBA 831006–831010.
  5. Sap 3,15.
  6. Zur ursprünglichen Gestalt des Epitaphs vgl. die Vorkriegsaufnahme RBA 25162.
  7. Kamphausen, Plastik (1938), S. 100. Kamphausen sieht hier denselben Bildhauer am Werk wie beim Ingenwinkel-Epitaph.
  8. Pels II, Deliciae (1734), p. 327; Pels III, Lux in tenebris (1734), p. 213.
  9. Pels II, Deliciae (1734), p. 287; Successio, fol. 50v.
  10. Nach der Zählung bei Wilkes, Studien (1952), S. 80 und 108. Davor hatte er 1541–1550 die Kurie 22a (ehemals Klever Straße 7) in Besitz, die er vor dem 19. September 1552 an Gerhard Keup verkaufte. Erst 1559 wird Karl Harst als Besitzer der Kurie Kapitel 16 in den Präsenzrechnungen genannt.
  11. Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3080 von 1552 Feb. 1.
  12. Ebd., Nr. 3101 und 3102 von 1552 Sept. 6. Namentlich genannt werden als erste Nutznießerinnen die beiden Mägde des Friedrich Ghyr, Anna Bruyns und Alieth Seedreiers.
  13. Classen, Archidiakonat (1938), S. 147.
  14. Successio, fol. 49v, 50r; Pels II, Deliciae (1734), p. 191.
  15. Ebd., p. 287.
  16. Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3319 von 1574 Feb. 1; Pels I, Stella lucida (1733), p. 372–376.
  17. Ebd.

Nachweise

  1. Foto: RBA 25163 (vor 1945).
  2. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S 146f., Nr. 6.
  3. Hölker, Inventar (1925), H-27.
  4. Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 25, Nr. 6.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 158 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0015800.