Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 146(†) St. Viktor, Kreuzgang 1552
Beschreibung
Epitaph des Kanonikers Friedrich Vulturius (alias Gyer oder Ghyr).1) Standort war der Westflügel des Kreuzgangs, Joch U26. Seit 1945 ist das Epitaph bis auf wenige Fragmente verloren. Baumberger Sandstein. Aus zwei Teilen zusammengesetzte Schrifttafel in profiliertem Rahmen mit Giebelaufsatz. Die Schrifttafel war im oberen Drittel schmaler als im unteren Bereich, eine kurze, schräge Rahmenleiste schaffte den Übergang zwischen dem schmaleren und dem breiteren Teil. Der dreieckige, eingezogene Giebel war konkav geformt und mit einem Muschelornament gefüllt. Die drei ursprünglich vorhandenen Akroterien sind verloren, lediglich das Postament auf der Giebelspitze ist im Lapidarium erhalten.2) Das Schriftfeld enthielt einen neunzeiligen Verfasser- und Sterbevermerk (A), gefolgt von einem vierzeiligen Grabgedicht mit einer Grabbezeugung und einer Bitte um Fürbitte, das von dem humanistisch gebildeten Kanoniker selber stammte (B). Beide Inschriften sind heute ebenfalls verloren. Erhalten ist der untere Teil der Schrifttafel, der ein geschwungenes und an den Enden eingerolltes Schriftband mit einem Epigramm trägt (C). Inschriften eingehauen. Mittig unter den Inschriften war ein Loch angebracht, das einst vermutlich zur Befestigung eines separat gearbeiteten Wappens diente; es ist heute verputzt.
A und B nach Foto.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 135 cm; B. 70 cm; Bu. 2 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A†
M(AGISTER) FREDERICVS VVLTVRIVS GRECO ET / LATINO ELOQVIO COPIOSISSIME IMBV/TVS CARMINE ET PROSA NOBILITER EXCEL/LENS NEC MINVS MORVM HONESTATE Q(VAM)a) / SCIENTIA SCRIPTVRARVM CONSPICVVS RE/SOLVTIONIS SVE NON IMMEMOR SVVM / ET FRATRIS EPITAPHIVM HISCE CARMINI/BVS CONSCRIPSIT PRIMA FEBRVARII / ANNO 1552 VIAM VNIVERSE CARNIS INGRESSVS EST
- B†
HIC EGO VVLTVRIVS IACEO FREDERICVS HVMATVS /HVIVS DVM VIXI PARS PROPE NVLLA GREGIS /ORO QVIBVS DABITVR PRESENS CALCARE SEPVLCHRV(M) /HVIC ANIME DICANT O MISERERE DEVS /
- C
INDOLE SVNT MVLTI NOMINE VVLTVR EGO
Übersetzung:
(A) Magister Friedrich Vulturius, ein überaus reich begabter Kenner der griechischen und lateinischen Sprache, ein wohlbekannter, brillanter Dichter und Prosaiker, sich nicht weniger durch seine charakterliche Redlichkeit als durch sein literarisches Wissen auszeichnend, schrieb, seiner Vergänglichkeit eingedenk, diese Verse hier für sein und für des Bruders Grabmal. Am 1. Februar im Jahre 1552 trat er den Weg allen Fleisches an.
(B) Hier liege ich, Friedrich Vulturius, begraben. Zu meinen Lebzeiten war ich fast ein Niemand in dieser Gemeinschaft. Ich bitte, dass alle, denen es gegeben sein wird, das hier befindliche Grab zu besuchen, für diese (meine) Seele sprechen: O erbarme dich, Gott!
(C) Ihrem Charakter nach sind es viele, ich bin (nur) dem Namen nach ein Geier.
Versmaß: Elegische Distichen (B), Pentameter (C).
Textkritischer Apparat
- Kürzung durch Zeichen in Form einer arabischen 3 und Kürzungsstrich.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-60.
- Inv.-Nr. 522.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 283. Den Text des Spruchbandes nimmt Pels mit Bezug auf den Bruder Balthasar auf und formuliert ihn mit einer dem Original entsprechenden Bissigkeit um.
- Matrikel Köln 2 (1919), 496,47f.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 148.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 181; Successio, fol. 44v. S. zu ihm auch Kloosterhuis, Erasmusjünger (2006), S. 420 u. 591.
- Wilkes, Studien (1952), S. 148.
Nachweise
- Foto: RBA 25207 (vor 1945).
- LAV NRW R, HS N III Nr. 2 (von Dorth, Notizen [1659–1674]), fol. 60v.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 150, Nr. 34.
- Hölker, Inventar (1925), H-60.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 38, Nr. 44.
- Bambauer/Kleinholz, Inschriften, Teil 2 (1980), S. 219f.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 146(†) (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0014604.
Kommentar
Das Epitaph weist in Gestaltung und Schrift große Ähnlichkeit mit dem Epitaph des Bruders Balthasar auf (Nr. 136); neben häufiger belegten Schriftdetails sind es individuelle Merkmale wie das A mit einseitigem Deckbalken, die dafür sprechen, dass die Inschriften nicht nur aus derselben Werkstatt, sondern vom selben Steinmetz angefertigt wurden. Die Texte zeichnen sich durch ein besonders flüssiges Latein aus, die Verse sind gut gebaut und verifizieren den lobenden Inhalt des Nachrufs.3)
Friedrich Vulturius aus Wesel wurde 1512 gemeinsam mit seinem Bruder in Köln immatrikuliert und erlangte 1515 das Lizenziat der Artes.4) 1544 ist er als Kleriker der Diözese von Utrecht nachgewiesen.5) Im selben Jahr, am 17. August, wurde er in Xanten auf Grund der Präsentation des Herzogs von Kleve aufgenommen und erhielt die Priesterpräbende seines Bruders Balthasar nach dessen Verzicht.6) Sein in der Inschrift verzeichnetes Todesdatum wird allgemein bestätigt. Von 1545 bis 1564 wird er als Inhaber der Kurie 28, heute im Bereich des Stiftsmuseums Kapitel 21, geführt.7)