Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 123 St. Viktor, Kreuzgang 1528–1541?, 1587
Beschreibung
Epitaph für Aegidius (I), Arnold und Aegidius (II) de Platea (alias Jelis/Gelis van der Straten)1) in der Ostwand des Kreuzgangs, Joch U1. Baumberger Sandstein. Das Epitaph besteht aus einem Bildrelief in Ädikularahmung2) und einer separat gearbeiteten, unten angesetzten Schrifttafel. Das Relief zeigt die Auferstehung Christi. In der Mitte entsteigt dem steinernen Sarkophag der über den Tod triumphierende Christus (Kreuzstab abgebrochen). In der hügeligen Landschaft lagern Wächter, die noch im Schlaf versunken sind oder aus dem Schlaf aufschrecken. Links im Hintergrund befindet sich die Silhouette der Mauern Jerusalems, rechts nähern sich die drei Marien der Grabstätte. Im Vordergrund links kniet der betende Stiftsherr, die rechte Seite ist durch ein Schriftband mit einem Bibelzitat als Trostspruch (D) und dem Stifternamen mit Datum (E) gefüllt. Das Bildfeld mit rundbogigem Abschluss wird von gotischem Stabwerk und Rollkrabben in den Zwickeln gerahmt. Im Sockelfeld halten zwei nackte Genien ein Wappen. Darunter eine Rollwerkkartusche mit Widmung (A), Setzungs- und Sterbevermerk (B) und Bibelparaphrase (C). Das Epitaph war ursprünglich gefasst.3) Ende des 19. Jahrhunderts war das Epitaph bereits „leicht beschädigt“.4) Die Wächterfigur vorne rechts hatte schon vor 1945 den Kopf eingebüßt. 1945 wurde das Epitaph zerschlagen, 1955 restauriert.5) In der Edition sind die bei der Restaurierung wiederhergestellten Textteile der Inschrift B in eckige Klammern gesetzt. Alle Inschriften sind eingehauen.
Ergänzungen nach Fotos.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 205 cm; B. 130 cm; Bu. 1 cm (A), 1,5 cm (B–E).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
[D](EO) · O(PTIMO) · M(AXIMO)
- B
AEGID[IOa) · DE · PL]ATEA · ECCLESIAE · X[AN]TEN(SIS)b) PORTARIO · AC · ARNOLDO · DE · PLATEAc) / CANONIC[IS · VIRIS ·] ANIMI · CANDORE · AC [· INTEGR]ITATE · VITAE · CO(N)SPICVIS · QVORV(M) · ILLE / OBIIT · A(NN)Od) 1528 · [DIE · 9 · D]ECEMB(RIS)b) HIC · AVTE(M) · PA[TR]VV(M) · SEQVVTVS · DIE · 31 · MARTII · A(NN)Od) · 1541 / AEGIDIVS · DE · PL[ATE]A · ET IPSE · HVIVS · [S]ACRAE · AEDI[S · C]ANO(NICVS)b) PIETATIS · ERGO / CO(N)SANGVINEIS [· SVIS ·] CHARISSI(MIS)b) SIBIQ(VE) · VIVE(N)S · P[O]NI · CVRAVIT · OBIIT / A(NN)Od) · 1587 · DIE · 2 · IA[N]VARII ·e)
- C
POSVIS[T]I · TERMINOS · HO(MIN)ISf) · [Q]VI · PRAETERIRI · / NO(N) [· PO]TERVNT6)
- D
[CR]EDO VIDERE BONA //g) DO[MINI IN TERRA]h) VIV[EN/T]IV[M]i)7)
- E
[EGIDIVS / DE PLATEA / CANO]//NICV[S]h) ET / [PORTARIVS] / XA[NT]EN(SIS)j) / [1528]
Übersetzung:
(A) Dem besten (und) höchsten Gott.
(B) Für Aegidius de Platea, Portar der Kirche von Xanten, und Arnold de Platea, beide Kanoniker, hervorragende Männer von redlicher Gesinnung und tadellosem Lebenswandel, von denen jener im Jahre 1528 am 9. Dezember verstarb, dieser aber seinem Onkel am 31. März im Jahre 1541 folgte, hat Aegidius de Platea, auch selber Kanoniker am hiesigen Gotteshaus, aus Pietät seinen lieben Verwandten und sich selbst zu seinen Lebzeiten (dieses Epitaph) errichten lassen. Er starb im Jahre 1587 am 2. Januar.
(C) Du hast dem Menschen Grenzen gesetzt, die man nicht überschreiten kann.
(D) Ich glaube die Güter des Herrn im Land der Lebenden zu sehen.
(E) Aegidius de Platea, Kanoniker und Portar in Xanten 1528.
Platea8) |
Textkritischer Apparat
- Die beiden ersten Buchstaben sind größer ausgeführt.
- Kürzung durch Doppelpunkt.
- Endbuchstabe aus Platzgründen kleiner ausgeführt und rechter Schrägschaft verkürzt.
- Endbuchstabe hochgestellt.
- Ein Doppelpunkt dient hier zur Trennung der Inschriften B und C.
- Kürzungsstrich fehlt heute, ist auf älteren Aufnahmen sichtbar.
- An dieser Stelle kreuzte ursprünglich ein (heute verlorener) Abschnitt des Spruchbandes. Die Fehlstelle bestand bereits, als die ältesten Fotos aufgenommen wurden.
- Die Fehlstelle bestand bereits, als die ältesten Fotos aufgenommen wurden; ein Stück des Spruchbands ist abgebrochen, ein Befestigungsloch liegt frei.
- Der obere Rand des Schriftbandes ist heute abgebrochen, die Buchstaben VENT sind dadurch beschädigt.
- Kürzungszeichen fehlt.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-26.
- Die Ädikula orientiert sich an Formen der ionischen Ordnung (Volutenkapitelle, Dreieckgiebel). Die unteren Bereiche der Halbsäulen sind mit Groteskendarstellungen im Flachrelief verziert.
- Bader, 1600 Jahre (1964), S. 357.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 146.
- Siehe RBA 831001 bis 831004.
- Nach Iob 14,5.
- PsG 26,13.
- Im ungeteilten Feld rechts ein Mühleisen (niederländische Form), links ein Löwe. Die Zugehörigkeit zu Aegidius de Platea II ist anhand von Siegeln an Xantener Urkunden nachweisbar (Kastner, Urkunden IV [2013], Nr. 3164 von 1561 Juni 19 und Nr. 3374 von 1580 Apr. 20).
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 105; Successio, fol. 18v.
- Successio, fol. 18v.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2440 von 1502 Dez. 4, Nr. 2937 von 1541 Mai 16 (posthum).
- Beissel, Bauführung II (1889), S. 4.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 105; s. auch Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2551 von 1515 Juli 7, Nr. 2653 von 1523 Juli 14.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 105; Successio, fol. 18v; s. auch Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2656 von 1523 Sept. 22 und Nr. 2698 von 1526 Apr. 16. Nach Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2731 hatte am 10. Feb. 1528 ein anderer dieses Amt inne.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2937 von 1541 Mai 16.
- Neben der Inschrift gibt auch die Bursenrechnung den 9. Dezember als seinen Todestag an (Classen, Archidiakonat [1938], S. 105). Pels (II, Deliciae [1734], p. 142), Weise (Memorien [1937], S. 151: „in festo Conceptionis gloriose virg. Marie“) und die Successio (fol. 17r) hingegen überliefern den 8. Dezember.
- 1515–1541 war er außerdem Kanoniker in Rees (Classen, Archidiakonat [1938], S. 143 und 286; Pels II, Deliciae [1734], p. 188; Successio, fol. 47v, 48r).
- Classen, Archidiakonat (1983), S. 143, zusätzlich ist auf Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2784 von 1531 Juli 11 zu verweisen.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 143; Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2835 von 1534 März 21 erinnert man sich noch an den „ehemaligen“ Präsentiar.
- Kastner, Urkunden V (2014), Nr. 3672 von 1630 Okt. 26.
- Zählung nach Wilkes, Studien (1952), S. 80.
- Pels II, Deliciae (1734), p. 271.
- Zählung nach Wilkes, Studien (1952), S. 82 und 84. Vgl. Nr. 172. Siehe auch Roder, Familiäre Identität (2015), S. 144f.
- Kastner, Urkunden IV (2013), Nr. 3261 von 1565 Nov. 23. Letzte Nennung als Vikar ebd., Nr. 3244 von 1562 Dez. 3 (b).
- In einer Urkunde vom 26. März 1587 wird sein Tod vorausgesetzt (Kastner, Urkunden III [2007], Nr. 2412,5). S. auch ebd., Nr. 2272, Transfix von 1587 Apr. 2 und Pels II, Deliciae (1734), p. 271.
- Pels I, Stella lucida (1733), p. 379ff.
- Bistumsarchiv Münster, Außenstelle Xanten, T12-97, Bl. 1v (zitiert nach Roder, Familiäre Identität [2015], S. 147).
- Roder, Familiäre Identität (2015), S. 147–149.
- Kamphausen, Plastik (1931), S. 83f. Schirmer schließt sich seiner Datierung des Epitaphs in die Jahrhundertmitte an, schließt aber auch die „Möglichkeit einer späteren Komplettierung des 1528 datierten Reliefs mit einer Rahmung in den 80er Jahren“ nicht völlig aus (Plastik [1991], S. 89).
Nachweise
- Fotos: RBA 25160, 25161 (A–C) (beide vor 1945).
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 146, Nr. 5.
- Hölker, Inventar (1925), H-26.
- Kamphausen, Plastik (1931), S. 82–84.
- Engelskirchen, Inschriften (1937), S. 24f., Nr. 5.
- Schirmer, Plastik (1991), S. 233.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 123 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0012301.
Kommentar
Aegidius de Platea (I) wurde am 1. April 1493 durch Provision des Apostolischen Stuhls Kanoniker am Xantener Stift.9) Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Datar des Papstes, also Leiter des päpstlichen Pfründenamtes.10) Zwischen 1502 und 1541 wird er in den Urkunden des Xantener Stifts als Magister geführt.11) Im Stift bekleidete er die Ämter des Fabrikmeisters (1504–1506),12) des Offizials des Propstes (1513–1526)13) und des Portars (1522–1526)14). 1520 stiftete Aegidius de Platea (I) den dreiarmigen Chorleuchter aus Messing, der heute noch im Chor steht (siehe Nr. 92). Neben solch glänzender Stiftung soll die großzügige Unterstützung einer bedürftigen Verwandten Erwähnung finden.15) Aegidius de Platea (I) starb am 8. oder 9. Dezember 1528.16)
Arnold de Platea, Neffe des Aegidius I und Vater des Aegidius II, war von 1519 bis zu seinem Tod im Alter von 51 Jahren am 31. März 1541 Kanoniker in Xanten.17) Als Kellner und Bursar wird er in den Jahren 1522–1524 und 1529–1531 geführt,18) als Präsenzmeister 1519–1520.19) Noch 1630, mitten im Dreißigjährigen Krieg, erinnerten sich die Vertreter der Stadt in der Zwangslage, die anstehenden Kontributionen begleichen zu müssen, an eine Stiftung des Arnold de Platea zugunsten der Armen Mägde, aus der sie zu vertretbaren Zinsen einen Kredit zu erhalten trachteten.20) Nach den Präsenzrechnungen war Arnold de Platea 1526–1541 Besitzer der Kurie Kapitel 16.21)
Aegidius de Platea (II), nach Pels der natürliche Sohn des Arnold de Platea, war Vikar des Dreikönigenaltars und des Nikolausaltars, auf den er aber bei Erhalt seiner Präbende zugunsten des Portars verzichtete.22) Am 2. November 1564 erwarb der jüngere Aegidius von Adolph Duden die Kurie Kapitel 17 (heute Kapitel 15, in Privatbesitz), die sich nach Auskunft der Präsenzrechnungen zwischen 1496 und 1530 im Besitz seines Großonkels Aegidius de Platea (I) befunden hatte.23) Als Kanoniker und Offizial des Propstes von Xanten wird er ab 156524) bis zu seinem Tod 1587 in zahlreichen Urkunden genannt.25) Sein Testament zugunsten der Armen und Jungfrauen ohne Mitgift datiert vom 13. Januar 1583.26) Darin verfügt er auch seine Bestattung „in ambitu eccl(es)ie Xantens(is) in sepulchro d(omi)norum Egidii et Arnoldi de Platea charissimorum consanguineorum meorum“.27) Mit Recht weist Roder darauf hin, dass in der Wahl des gemeinsamen Begräbnisorts, der Errichtung (oder Ergänzung) eines gemeinsamen Epitaphs und seiner Gestaltung die enge Verbundenheit des Aegidius de Platea (II) mit der Familie und dem Stift zum Ausdruck kommt.28)
Die Widmung (A) dürfte nachträglich (wenn auch vermutlich ohne größeren zeitlichen Verzug) auf der Schrifttafel angebracht worden sein; anders lässt sich die deutlich kleinere Ausführung der Schrift über der ersten Zeile wohl nicht deuten. Bislang nicht befriedigend geklärt ist die Entstehungsgeschichte des Epitaphs, zumal im Relief nur der ältere, 1528 verstorbene Aegidius (I) dargestellt ist und auch die Spruchbandinschrift E nur auf ihn Bezug nimmt. Die naheliegende Annahme, dass die Planung und Umsetzung des Reliefs mit seinen Inschriften zwischen dem Tod des älteren Aegidius 1528 und Arnolds Tod 1541 stattfand, steht im Widerspruch zu Kamphausens stilistischer Einordnung des Reliefs in die Jahrhundertmitte.29) Ein besonderes Datierungsproblem stellt die architektonische Rahmung des Epitaphs dar: Karyatiden- und Säulenepitaphien werden in Xanten erst ab 1560 geläufig. Das erste in Xanten nachzuweisende Säulenepitaph ist das der Gotfrida von Bemmel 1554, und dieses Epitaph stellt einen Sonderfall dar (Nr. 157).
Die Schlingen des Schriftbandes sind, abgesehen von eingestifteten Überbrückungsstücken, fest mit dem Untergrund verbunden, es gehört demnach zum ursprünglichen Bestand des Reliefs. Das Spruchband stört die Harmonie des Bildes und scheint den Blick des Stifters auf das Auferstehungsgeschehen zu versperren.
Für die Inschriften auf der Rollwerkkartusche ist die Anfertigung nach dem Tode des Stifters Aegidius de Platea (II), also 1587 oder wenig später, nicht zu bezweifeln. Mit den Spruchbandinschriften im Relief haben sie das M mit parallelen Außenschäften und kurzem Mittelteil sowie das C mit flachem Bogen gemeinsam. Auf dem Spruchband wird aber ein N verwendet, dessen Schrägbalken unten vor dem rechten Schaft endet. Bemerkenswert sind auch die Unterschiede in der Gestaltung der Ziffern 2 und 5. Die 2 ist auf dem Spruchband rund ausgeführt, in Inschrift B hingegen spitz. Dort besteht die 5 zeittypisch aus einem großen, nach links offenen Bogen, an den oben ein kurzer Schrägschaft mit Deckbalken angesetzt ist, auf dem Spruchband aus zwei gegenläufigen Bögen. Die ausgebuchteten Kürzungsstriche in B tragen zum Schriftvergleich nichts bei, da auf dem Schriftband keine Kürzungen vorkommen. Insgesamt sind die Schriftunterschiede gering und nicht dazu geeignet, eine Ausführung zu unterschiedlichen Zeitpunkten nahezulegen. Ausgeschlossen ist diese allerdings nicht.
Parallelen lassen sich zur Schrift am Epitaph für Theodor Hanen finden († 1591, siehe Nr. 199), die dieselbe Form des M, ein flaches C und ausgebuchtete Kürzungsstriche aufweist. Vielleicht ist daraus auf die Entstehung der beiden Schrifttafeln in derselben Werkstatt zu schließen.