Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 120 St. Viktor, südliche Chorkapelle 1540 o. wenig früher
Beschreibung
Grabplatte des Kanonikers Sibert von Riswick.1) Blaustein mit Messingeinlage, gegossen und graviert. Die Platte lag in der äußeren südlichen Chorkapelle (Joch C1) ursprünglich vor dem Heilig-Kreuz-Altar, wurde aber bereits vor 1925 in die Wand neben der Märtyrerpforte eingelassen.2) Im Mittelfeld eine Messingeinlage, die den Verstorbenen als stehenden Kanoniker im Chormantel mit Birett zeigt, die Hände zum Gebet erhoben, zu seinen Füßen zwei Allianzwappen. Am Rand umlaufend sind Messingbänder in den Stein eingelegt und vernietet. Sie tragen einen Sterbevermerk mit Fürbitte (A), in den Ecken Vierpässe mit den Evangelistensymbolen und Namensbeischriften auf Schriftbändern (B–E). Die Buchstaben der Umschrift, die figürlichen Darstellungen und die Ornamente sind in Kontur auf kreuzschraffiertem Hintergrund graviert; die Beischriften C bis E konturiert mit Binnenschraffur auf glattem Grund. Nur die Namensbeischrift B fällt aus dem Rahmen: Während das S am Beginn von S(ANCTVS) noch in Kontur mit Kreuzschraffur ausgeführt ist, ist der Name dünn graviert. Der umlaufende Sterbevermerk A ist von zwei Schmuckbändern gerahmt. Das innere Band ist mit einem Fries aus Blattranken gefüllt, die sich um ein Seil winden, das äußere mit einem Bogenfries aus zwei ineinander verschlungenen Bogenketten mit aufgestellten Kreuzblüten. Beide Friese sind von glatten Stegen eingefasst. In den Vierpässen ergänzen Rankenwerk und Fischblasenmotive die figürlichen Darstellungen. Deutlich erkennbare Abweichungen der Hintergrundschraffur im Bereich der Jahres- und Tagesangabe sowie des Monatsnamens lassen erkennen, dass die Platte zu Lebzeiten Sibert von Riswicks vorbereitet und nach seinem Tod um das Sterbedatum ergänzt wurde.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 325 cm; B. 182 cm; Bu. 8 cm (A), 2 cm (B–E).
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
- A
An(n)o · M · ccccc · xla) die · 22b) / mens(is) · Juniic) · O(biit)d) ven(erabilis) et magnific(us) d(omi)n(u)s Sibert(us) de Ryswick Aldenzalen(sis) Cliven(sis) et san(c)/ti Cunb(er)tie) Colonien(sis) p(re)posit(us) / ac h(uius) Cano(n)ic(us) et Thesaurari(us) eccl(es)iar(um)f) I(n) eccl(es)ia Traiecten(si) Archi(diaco)n(us)g) c(uius) a(n)i(m)a cu(m) (christo)h) q(ui)escat Ame(n)
- B
· S(anctus) // matheus ·i)
- C
· S(anctus) · iohannes ·
- D
· S(anctus) · // marcus ·.
- E
· S(anctus) · // luc[a]s ·
Übersetzung:
(A) Im Jahre 1540 am 22. Tag des Monats Juni verstarb der hochwürdige und hochherzige Herr Sibert von Riswick, Propst der Kirchen in Oldenzaal3), Kleve und von St. Kunibert in Köln, Kanoniker und Thesaurar an der hiesigen Kirche, Archidiakon in der Kirche von Utrecht. Seine Seele möge mit Christus ruhen. Amen.
Riswick4), de Mol oder Schairdt5) |
Textkritischer Apparat
- xl nachgetragen. Beiderseits der Zahl wurde die freie Fläche gröber schraffiert.
- Zahl auf gröber schraffiertem Hintergrund nachgetragen.
- Beide i hochgestellt. Monatsname nachgetragen.
- Kürzung durch Schrägstrich durch das O.
- Richtig: Cunib(er)ti.
- Richtig: ecclesiae.
- n verkleinert und hoch gestellt.
- Buchstabenbestand: xpo.
- Am Ende der Beischriften Quadrangel mit Zierhaken oben und unten.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): H-68.
- Hölker (Inventar, H-68) berichtet, dass man die Metallteile aus der ursprünglichen Platte herausgenommen und in eine neue Granitplatte eingestiftet habe, bevor man sie an der Wand neben der Märtyrerpforte aufgestellt habe. Die Bezeichnung des Materials ist allerdings falsch, es handelt sich vielmehr auch bei der neuen Platte um einen Blaustein. Die falsche Angabe erklärt sich möglicherweise durch die landläufige Bezeichnung des belgischen Blausteins als „belgischen Granit“. Die Originalplatte, vielfach zerbrochen und wieder zusammengesetzt, hat man in die Westwand des Kreuzgangs eingelassen; es ist die erste Platte von Norden aus gesehen.
- Provinz Overijssel/Niederlande.
- Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 (1986), S. 283.
- Roter Schildhaupt mit drei silbernen Blüten, darunter in Silber drei blaue Pfähle mit je drei silbernen Schilden. Der Familienname der Mutter ist nur über das Wappen zu bestimmen, das unterschiedlich zugewiesen wird. Nach von der Ketten handelt es sich um das Wappen der Familie Schairdt (Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 [1986], S. 384), Rietstap weist es der Brabanter Familie de Mol zu (Armorial, Vol. IV, Bd. 2 [1887], Tf. 222, danach Jaques/Rotthoff, Paramente [1987], S. 40, Anm. 4).
- Es handelt sich um die Epitaphien für die Kanoniker Johannes Junghe (1506) und Heinrich von Berchem (1508). Vgl. dazu demnächst Die Inschriften der Stadt Köln, Bd. 1.
- Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 (1986), S. 286.
- Siehe u. a. Classen, Archidiakonat (1938), S. 107, 287, 319, 365f.; Bader, Dom I (1978), S. 184f., Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f., Janssen/Grote, Zwei Jahrtausende (2001), S. 160f.
- Matrikel Köln 2 (1919), 394,163.
- Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f., vgl. Classen, Archidiakonat (1938), S. 365f. mit weiteren Quellenangaben.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2696 von 1526 März 19.
- Janssen/Grote, Zwei Jahrtausende (2001), S. 160f.; nach Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f., bis 1533.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2673 von 1524 Sept. 23: Präsentation durch Herzog Johann III. Der Präsentierte ist zu diesem Zeitpunkt bereits Propst von Oldenzaal und Kleve sowie herzoglicher Kanzler. Vgl. Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f. und Classen, Archidiakonat (1938), S. 365f. mit weiteren Quellenangaben.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 365f.; nach der Successio, fol. 76v, erhielt er bereits 1502 eine Präbende in Xanten.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 365f., nach Pels II, Deliciae (1734), p. 305; Successio, fol. 76v.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2820 von 1533 März 31; Pels II, Deliciae (1734), p. 305; Successio, fol. 76v; Classen, Archidiakonat (1938), S. 107.
- Ebd., S. 287.
- Ebd., S. 319; Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f.; anders die Successio, fol. 76, nach der er 1513 Propst in Wissel wurde. In Wissel ist Sibert von Riswick zwischen 1498 und 1518 auch als Kanoniker nachgewiesen.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2691,1 von 1535 Jan. 7 (Dorsal auf der ersten Ausfertigung von 1526 Feb. 19); Classen, Archidiakonat (1938), S. 365; Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f.; Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 61.
- Bader, Dom I (1978), S. 185; Classen, Archidiakonat (1938), S. 365f.
- Siehe etwa die Memorialstiftung zugunsten der Hausarmen der sonntäglichen Almosenstiftung, Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2713,1 von 1527 Mai 14.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2890 von 1538 Apr. 5.
- Abweichend von der Grabinschrift überliefern Pels II, Deliciae (1734), p. 230, und die Successio, fol. 75r, 76v, den 25. Juni. Vgl. auch Classen, Archidiakonat (1938), S. 287 und 365. Das Testament Sibert von Riswicks liegt im Stiftsarchiv Xanten (T 13).
- Wilkes, Studien (1952), S. 72.
Nachweise
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 126.
- Hölker, Inventar (1925), H-68.
- Engelskirchen, Nachlese (1939), S. 123, Nr. 2.
- Bader, Dom I (1978), S. 185.
- Rose/Schalles, Stift Xanten (1986), S. 62f.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 120 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0012004.
Kommentar
Die Umschrift A ist kunstvoll als Bandminuskel gestaltet, Schäfte und Balken wirken teilweise wie ineinander gesteckt. Die Unterlängen und die gespaltenen Oberlängen schneiden das begrenzende Band. Die spitz auslaufenden freien Enden der Bögen, Cauden und geschwungenen Kürzungsstriche sind am Ende umgebogen, ebenso die gespaltenen Oberlängen. Das O ist spitzoval. Von besonderer Qualität sind die aus der gotischen Majuskel entwickelten Versalien mit Verdoppelung der Schäfte und Bögen, eingestellten Zierstrichen und einseitig gezackten Schäften. Die Auflösung der Versalien in ihre Bestandteile ermöglicht es, diese scheinbar ineinander zu verschachteln und den Eindruck von Dreidimensionalität hervorzurufen. Aufwändig gestaltet sind vor allem die Versalien am Beginn der Inschrift A, die in doppelten Linien ausgeführt sind: Das aus der pseudounzialen Form abgeleitete A im ersten Wort ist mit Kontraschleifen und Gitterornament versehen und erinnert, ebenso wie das von Bändern umwundene, symmetrische unziale M, an Zierformen aus dem Buchdruck.
Als Worttrenner werden paragraphzeichenförmig ausgezogene Quadrangel und oben und unten zu Zierbögen ausgezogene Sternblüten verwendet. Die sehr hochwertige Schrift des Sterbevermerks weist in ihrer Machart Übereinstimmungen mit den Inschriften auf zwei Messingepitaphien in St. Maria im Kapitol in Köln auf, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts angefertigt wurden.6) Da Sibert von Riswick als Propst von St. Kunibert auch Verbindungen nach Köln hatte, ist denkbar, dass die Einlegearbeiten für seine Grabplatte dort entstanden sind.
Sibert von Riswick, nach von der Ketten ein Sohn des königlichen Rentmeisters Derick (Dietrich) von Riswick und seiner Frau Gertrud (de Mol oder von Schairdt),7) hatte eine glänzende politische und geistliche Karriere vorzuweisen.8) 1487 war er an der Kölner Universität eingeschrieben.9) Ab 1498 ist er in herzoglichen Diensten nachweisbar, zunächst als Sekretär und Rat (seit 1504) Johanns II. von Kleve (1481–1521),10) später als Rat (1526–1540)11) und Kanzler (1529–1531)12) Johanns III. von Jülich-Kleve-Berg (1521–1539). Von 1491 bis 1501, dann wieder ab 1524 bis 1529 war er Pfarrer in Kalkar.13) Seit 1508 ist er als Kanoniker in Xanten urkundlich belegt,14) 1521 erhielt er die Diakonatsweihe.15) Am 25. Juni 1533 wurde er auf Grund der Präsentation des Herzogs Johanns III. von Jülich-Kleve-Berg (1521–1539) Thesaurar in Xanten, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1540 innehatte.16) Außerdem war er 1530–1540 Kanoniker in Rees,17) Propst zu Oldenzaal (1518–1540), am St. Clemensstift in Wissel (1495–1520),18) St. Kunibert in Köln (1520–1538) und an St. Maria in Kleve (1520–1540). Ferner hatte er ein Archidiakonat in Utrecht.19) 1510 wurde sein Sohn Heinrich Riswick, später ebenfalls Kanoniker in Xanten, geboren.20)
Sibert von Riswick trat als freigiebiger Stifter in Erscheinung. Berühmt sind die sechs Teppiche, die er und seine Brüder Wolter und Arnold 1520 für den Chor des Xantener Domes stifteten und von denen vier noch heute dort hängen (siehe Nr. 91). Auch die aus vier Gewändern bestehende violette Kapelle im Schatz von St. Viktor ist eine Stiftung Siberts von Riswick (1540). Pels und die Successio heben u. a. seine Großzügigkeit und Milde gegenüber den Armen hervor.21) Am 10. August 1537 stiftete er in Kleve den Riswickschen Armenhof mit neun Armenhäuschen und stattete ihn mit einer Rente aus. Er starb, nachdem er 1538 für seine Memorie vorgesorgt hatte,22) am 22. Juni 1540.23) Sibert von Riswick wird in den Präsenzrechnungen von 1505 bis 1541 (!) als Besitzer der Kurie Kapitel 14 geführt.24)