Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 99 St. Viktor, südliches Seitenschiff 1525
Beschreibung
Retabel des Märtyreraltars an Pfeiler 27 zwischen den beiden südlichen Seitenschiffen, gestiftet zu Ehren Mariens und der Heiligen Christophorus, Erasmus, Georg, Bartholomäus sowie der Zehntausend Märtyrer.1) Holz. Schrein und Predella sind geschnitzt, vergoldet und gefasst, die Flügel bemalt. Das Retabel weist an der rechten Wange des Schreins das Antwerpener Gildezeichen – eine ausgebreitete Hand – auf und gilt als Schablonenarbeit einer der erfolgreichen Antwerpener Werkstätten, die zu dieser Zeit nach ganz Europa exportierten.2)
Während der Auszug mit einem einfachen Flügelpaar geschlossen werden kann, tragen die Predella und die Hauptzone des Schreins jeweils doppelte Flügelpaare. Die Predella ist in fünf, der Schrein in neun Räume unterteilt, die nach vorn durch gotisches Maßwerk begrenzt sind. Im zentralen Fach der Predella steht eine von Arndt van Tricht geschaffene Reliquienbüste (um 1540–45)3), flankiert von den Standfiguren der hll. Viktor und Georg sowie von szenischen Darstellungen der Martyrien des hl. Erasmus (links) und der Zehntausend Märtyrer (rechts). Auf den Innenseiten der äußeren Predellaflügel kniet links Christus auf der liegenden Geißelsäule und präsentiert seine Wundmale (ostentatio vulnerum), rechts steht der hl. Bartholomäus mit Messer. Auf den Innenseiten der inneren Flügelteile links die hl. Agatha mit Initialen (G) unten am Bildrand4), rechts der Stifter Wessel Hotmann, Xantener Kanoniker und Propst von Rees, in Adorantenhaltung kniend, mit seinem Wappen. Der hinter ihm stehende hl. Petrus empfiehlt ihn, über beiden windet sich ein Schriftband mit einer zweizeiligen Stifterinschrift (B). Auf den Flügelaußenseiten sind die Heiligen Helena, Christophorus, Anna Selbdritt und Maria Magdalena dargestellt. Auf eine Hohlkehle oberhalb der Predella ist eine einzeilige Stiftungsinschrift in Gold auf schwarzem Untergrund (A) aufgemalt, unterbrochen durch das Stifterwappen.
Im Schrein sind vollplastisch gearbeitete Szenen aus dem Leben Jesu und Mariens zusammengestellt. In der untersten Abteilung flankieren die Geburt und die Beschneidung (links) sowie die Anbetung der Könige und die Darbringung Jesu im Tempel (rechts) einen Raum mit vier Propheten, die Spruchbänder mit Zitaten aus den entsprechenden Bibelbüchern in den Händen halten (D–F).5) Sie lenken den Blick auf den im Hintergrund thronenden Jesse, aus dem die Wurzel Jesse wächst. Um eine vielfigurige Kreuzigungsszene im Auszug des Schreins sind Szenen aus der Passionsgeschichte angeordnet, die sich auf den Schnitzaltar und die gemalten Flügel verteilen: links Christi Gefangennahme, Verspottung, Ecce homo (Flügel am Auszug) und Kreuztragung, rechts Abstieg in die Vorhölle (Flügel am Auszug), Kreuzabnahme, Grablegung (mit angedeuteter Inschrift in Quasi-Schrift auf dem Salbgefäß) und Auferstehung. Zu beiden Seiten der Kreuzigung windet sich die Wurzel Jesse mit zwölf Königen in ihrem Geflecht empor und gipfelt in der Gottesmutter Maria. Die Außenseiten der Flügel des Aufsatzes zeigen bei geschlossenem Altar zwischen dem Opfer des Melchisedech links und dem Mannaregen rechts, den typologischen Vorbildern des Messopfers im Alten Testament, auf vier Tafeln die Gregorsmesse mit Passionssymbolen im Auszug. Als Bekrönung des Altars eine Figurengruppe mit Christophorus und Christuskind mit (sinnloser) Buchstabenfolge auf dem Mantelsaum (C). Alle Inschriften sind aufgemalt, A wurde 1962 erneuert. Erhebliche Kriegsschäden; bei der Restaurierung 1961/2 durch Otto Klein nach älteren Fotos aus dem RBA wurden auch die Fehler älterer Restaurierungen beseitigt.6) Dennoch muss von Veränderungen des Textbestandes durch Übermalungen ausgegangen werden.
A nach Ausführung 1962.
Siehe Lageplan.
Maße: H. 342 cm; B. 430 cm (Retabel); Η. 49 cm; B. 36 cm (Stifterbild); Bu. 2 cm (A), 0,7 cm (B), 1 cm (D–F).7)
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A, B, D–F), Majuskelschrift, der frühhumanistischen Kapitalis nachempfunden (C).
- A
Servatori n(ost)ro opt(imo)a) max(imo)a) wesselus hotma(n) p(rae)p(osi)tus ressen(sis) atq(ue) senior in hoc templo cano(ni)c(us) ad martyru(m) (quas // cernis)b) memoria(m) dicavit iconas et rec) et reditus autor a(n)no 1525.
- B
Wesselusd) hinus hotma(n) cognomin[e] / dict(us) canonic(us) eccl(esi)e ressensis p(rae)positusq(ue) / obtulit hoc […]t(us)e) santis / martirib(us) (christi)f) .
- C
X̣IALNOMỌg) // X̣X̣ZFBEOHAP RNO · EPKVPOPFERPIOBR · // ROVM · PA · EIA
- D
Creauit domin[..]h) nomeni) s[u]per8)
- E
[…]entaj) [……..] // u[….] in domo d[...s]
- F
Stellabuntk) montes / dulcedine[m]l)9)
- G
S. M.
Übersetzung:
(A) Unserem besten (und) höchsten Heiland hat Wessel Hotmann, Propst von Rees und Seniorkanoniker in diesem Gotteshaus, zum Gedächtnis an die Märtyrer die Bilder, die du siehst, gewidmet. Er stattete (den Altar) im Jahr 1525 mit Grundbesitz (?) und Einkünften aus.
(B) Wessel Hynus, mit Zunamen Hotmann genannt, Kanoniker (dieser) Kirche und Propst zu Rees, hat (diesen Altar) den Märtyrern Christi zum Geschenk gemacht.
(D) Etwas Neues hat der Herr auf Erden erschaffen: Die Frau wird den Mann umgeben.
(E) … im Haus …
(F) Von den Bergen wird Süßes tropfen.
Hotmann10) |
Textkritischer Apparat
- Kürzung durch zwei übereinander gestellte Quadrangel.
- Unterbrechung durch Wappen. Die runden Klammern markieren hier keine Kürzung, sondern sind Bestandteil der Inschrift.
- Sic! Lesung nach RBA 7796 (vor 1945). Vor dem ersten Buchstaben ein Ornament, das aus einem missverstandenen Buchstaben entwickelt worden sein könnte. Hinweise auf ein Kürzungszeichen gibt es nicht (mehr?). re(rum?) Beissel; re(m) Lieven, der das Wort auf den Altar bezog.
- Wilhelmus Pels, Beissel.
- Lesung unklar. munus Pels, Beissel.
- Befund: xpi mit Kürzungsstrich. Dahinter Rankenornament. Pels bietet den Text in veränderter Reihenfolge, da er zunächst die beiden Zeilenabschnitte vor der Windung des Spruchbands, dann den danach folgenden Text wiedergibt: Wilhelmus Hynus Hottman cognomine dictus obtulit hoc munus Sanctis Martyribus Christi. Cano(nicus) Xant(ensis) et Praepositus Resensis.
- Rechter Arm.
- Buchstabenbestand unklar, am Wortende sind zwei Schäfte erkennbar, die Schaftenden sind beschädigt. Gemeint ist dominus.
- Falsch statt novum.
- Vor dem e ein Versal (J?) und vier kurze Schäfte. Die Schrift wurde vermutlich übermalt.
- Richtig: Stillabunt.
- Vom m sind nur die ersten beiden Schäfte erkennbar.
Anmerkungen
- Zum (Reliquien-)Kult s. Beissel, Bauführung III (1889), S. 72.
- Klein, Märtyreraltar, in: Bader, 1600 Jahre (1964), S. 253. Vgl. dazu Lieven, Memoria (2017), mit weiteren Literaturhinweisen.
- Hilger u. a., Dom zu Xanten (2007), S. 19; Karrenbrock/Kempkens, St. Viktor (2002), S. 62 f.
- Nach Beissel, Bauführung III (1889), S. 75.
- Von den vier Inschriften sind drei noch in Resten zu lesen.
- Klein, Märtyreraltar, in: Bader, 1600 Jahre (1964), S. 253–262, mit ausführlicher und detaillierter Beschreibung der Herstellungstechniken, der Kriegsschäden und der Restaurierungsarbeiten. Eine umfangreiche Beschreibung des Altars auch bei Beissel, Bauführung III (1889), S. 70–75. Über die in den Literaturangaben genannten Fotos aus Klapheck und dem RBA hinaus stehen im Stiftsarchiv Xanten und beim Verein zur Erhaltung des Xantener Domes keine historischen Aufnahmen zur Verfügung.
- Die Maße zu C konnten nicht festgestellt werden.
- Ier 31,22: „Creavit dominus novum super terram, femina circumdabit virum.“ Derselbe Spruch auf einem Glasfenster des Viktordomes; s. Nr. 112.
- Jl 3,18.
- Quadriert: 1/4. silberne Rose in Gold, 2/3. schwarzer Rabe in Rot. Vgl. die Anordnung in Nr. 103.
- Doch vgl. die Vorkriegsaufnahme RBA 341182: Soweit die Schrift erkennbar ist, stimmt sie mit der Restaurierung überein.
- Lieven, Memoria (2017), Anm. 67, nach LAV NRW R, Stift Xanten, A. 11, Bl. 39.
- Kastner, Urkunden III (2007), Nr. 2671 von 1524 Feb. 19.
- Ebd. Vgl. Pels II, Deliciae (1734), p. 85.
Nachweise
- Pels II, Deliciae (1734), p. 85, Nr. 41 (B mit Abweichungen).
- Beissel, Bauführung III (1889), S. 71f. (A, B mit Abweichungen).
- Klapheck, Dom (1930), S. 101.
- Bader, 1600 Jahre (1964), Tf. 55 (C).
- Hilger u. a., Dom zu Xanten (2007), S. 100 (Abb. A, Detail).
- Janssen/Grote, Zwei Jahrtausende (2001), Tf. 134a.
- Lieven, Memoria (2017), S. 17 (A, B).
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 99 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0009908.
Kommentar
Die Inschrift A entzieht sich einer paläographischen Beurteilung, da sie bei der Restaurierung 1962 neu ausgeführt wurde.11) Die gotische Minuskel der Inschriften B und D bis F zeichnet sich durch i-Punkte, Bogen-r (in D) und ausgeprägte Oberlängen mit gegabelten Schaftenden als typische gotische Minuskel der Spätzeit aus. Die (erneuerte?) Gewandsauminschrift C besteht aus einer sinnlosen Buchstaben- und Zeichenreihe und ist, wie viele Gewandsauminschriften, in einer ornamentalen Majuskelschrift ausgeführt, die sich an der frühhumanistischen Kapitalis orientiert.
Der Altar ist nach der Inschrift A in das Jahr 1525 datiert, als Datum der Altarweihe ist der 21. April belegt.12) Urkundlich wird die Altarstiftung durch Wessel Hotmann erstmals 1524 erwähnt,13) die Dotation 152614). Zum ersten Inhaber und Vikar des Altars bestimmte er seinen Familiaren Rutgerus van den Speet (s. Nr. 165). Zur Biographie Wessel Hotmanns siehe Nr. 103.