Inschriftenkatalog: Stadt Xanten
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 92: Stadt Xanten (2017)
Nr. 91 St. Viktor, Langchor/Stiftsmuseum 1520
Beschreibung
Sechs Bildteppiche, Stiftung der Gebrüder Sibert, Wolter und Arnold von Riswick.1) Wolle, gewirkt. Vier Großteppiche befinden sich heute in situ hinter dem Chorgestühl, jeweils zwei auf der Epistel- und der Evangelienseite des Langchores. Zwei kleinere Teppiche, bestimmt für die Rückseite des Lettners, wurden in das Stiftsmuseum übernommen.2) Alle sechs Teppiche zeigen eine einheitliche Gestaltung mit großformatigen Figuren und reicher, naturnah wiedergegebener Pflanzen- und Blütenwelt auf blauem Grund.3) Vor diesem Hintergrund stehen auf den beiden kleinen Teppichen der hl. Petrus bzw. der hl. Kunibert im Halbprofil, bei entsprechender Hängung einander zugewandt. Auf den großen Teppichen sind den zentralen Darstellungen des Gnadenstuhls, der Maria als Himmelskönigin, des Evangelisten Johannes sowie der Maria Magdalena je zwei flankierende Heilige beigegeben. Daneben sind auf zwei der vier großen Teppiche am linken, auf den anderen beiden am rechten Rand des Bildfeldes die Allianzwappen der Eltern der drei Stifter abgebildet. Die Position der Wappen ist so gewählt, dass auf den Innenseiten der beiden nebeneinander hängenden Teppiche jeweils beide einander zugewandten Wappen zu sehen sind, wobei auf dem linken Teppich das väterliche Wappen heraldisch rechts steht und linksgewendet ist, auf dem rechten Teppich das mütterliche. Alle Darstellungen sind durch Namensbeischriften auf geschwungenen Schriftbändern identifiziert, die am unteren Rand der Teppiche scheinbar auf eine rahmende Bordüre aufgelegt sind. Auf Schriftbänder am oberen Rand der vier großen Teppiche verteilt ist eine Stifterinschrift (A2, B2, C2, D2); ihr Text gibt die Reihenfolge der Hängung vor. Auch das zweifach mitgeteilte Stiftungsdatum ist jeweils über zwei benachbart hängende Teppiche verteilt: Am rechten oberen Rand des jeweils linken Teppichs befindet sich, ebenfalls in einem Schriftband, das Jahr (A1, E1), am linken Rand des benachbarten Teppichs das Tagesdatum (B1, D1). Die Inschriften sind mit dunklem Faden ausgeführt, einzelne Wortanfänge und die Worttrenner in Rot. Alle Teppiche sind heute verblasst.4) Konservierung durch V. Thorn, Wuppertal, 1961–1963; Nadelrestaurierung E. Klein-Köppen, Düsseldorf-Wittlaer, unter Fachaufsicht der Zentralen Forschungsstelle für die Restaurierung historischer Gewebe, Krefeld, 1961–1965.
I-58 A: Bildteppich für die Epistelseite des Chorgestühls. Zentral die Trinität in der Darstellung als Gnadenstuhl: Gottvater als bärtiger König mit Bügelkrone, bekleidet mit Albe und Chormantel, hält in seinen Händen das Taukreuz mit dem bis auf das Lendentuch nackten Leib des Sohnes, die Taube als Symbol des Heiligen Geistes weist im Flug auf das Kreuz Christi (mit Titulus A6). Links und rechts die beiden nimbierten Kirchenpatrone: Links der hl. Viktor, zeitgemäß gerüstet, mit kreuzgeschmückter Lanzenfahne in der Linken, in der Rechten den Wappenschild mit demselben Kreuz. Rechts die hl. Helena mit Bügelkrone und in prächtiger Gewandung nach der Mode der Zeit, mit den Händen das Kreuz umgreifend. Neben der hl. Helena die Allianzwappen, über eine Staude im Bildhintergrund gehängt. Auf der Bordüre über den Wappen die Jahreszahl der Stiftung (A1), über der Trinität der Beginn der Stifterinschrift (A2), unten Beischriften auf Namensbändern (A3-5).
I-58 B: Bildteppich für die Epistelseite des Chorgestühls. Zentral die Gestalt Johannes des Evangelisten in langem Gewand und kostbar verziertem Mantel, in der Hand den Giftbecher, aus dem das Gift in Gestalt zweier Drachen entweicht.5) Der Evangelist wird begleitet von den Thebäerheiligen Gereon links und Cassius rechts: Gereon in Halbharnisch und Mantel, in der Linken die Lanze mit der Kreuzfahne, in der Rechten den Schild mit Kreuz haltend. Auf der anderen Seite sein Gefährte, dessen Prunkgewand die Rüstung weitgehend verdeckt, in der Linken die Fahnenlanze mit schwarzem Adler auf der Fahne, über den Arm am Ledergurt sein Wappenschild mit demselben Adler, die Linke am Griff seines Schwertes. Links neben Gereon die Allianzwappen. Auf der Bordüre über den Wappen der Stiftungstag (B1), über der Gestalt des Johannes der zweite Teil der Stifterinschrift (B2), unten Beischriften auf Namensbändern (B3-5).
I-58 C: Bildteppich für die Epistelseite des Chorgestühls am Lettner, heute im Stiftsmuseum. Im Zentrum der Apostel Petrus, schlicht gekleidet, barfuß und barhäuptig, mit zwei Schlüsseln als Symbol der höchsten Binde- und Lösegewalt in der Linken und geschlossenem Buch in der Rechten. In der Bordüre unter dem Heiligen seine Namensbeischrift (C).
I-58 D: Bildteppich für die Evangelienseite des Chorgestühls. Im Zentrum die Himmelskönigin in einer Strahlenmandorla, auf der Mondsichel stehend, auf dem Haupt eine sternenbesetzte Krone und gewandet mit rotem Kleid und blauem Mantel darüber. In den Armen hält sie ihr nur mit einem Hemd bekleidetes Kind, das ihr einen Rosenkranz reicht. Links Papst Clemens in Pontifikalkleidung mit Tiara, Kreuzstab und geöffnetem Buch6), das Zeichen seines Martyriums, ein Anker, ihm zu Füßen. Ganz links die Allianzwappen, darüber in der Bordüre die Angabe des Stiftungstages (D1). Auf der rechten Seite Bischof Plechelmus im Bischofsgewand mit Mitra, Bischofsstab und geöffnetem Buch. Beide Assistenzfiguren sind nimbiert. In der Bordüre über dem Wappen Angabe des Stiftungstages (D1), über Maria ein Band mit dem dritten Teil der Stifterinschrift (D2), unten Namensbeischriften (D3-5).
I-58 E: Bildteppich für die Evangelienseite des Chorgestühls. Im Zentrum Maria Magdalena in zeitgenössischer Gewandung einer Patrizierin, mit Salbgefäß. Links der hl. Nikolaus als Bischof im Pontifikalgewand mit Bischofsstab, die Rechte zum Segen erhoben, rechts der hl. Luthard als Ritter in modischer Tracht mit Kirchenmodell und Wappen der klevischen Herzöge7), alle mit schmalem Nimbus. Ganz rechts die Allianzwappen, darüber in der Bordüre die Jahreszahl (E1). Über Maria Magdalena der Schluss der Stifterinschrift (E2), unten Schriftbänder mit Namensbeischriften. (E3-5).
I-58 F: Bildteppich für die Evangelienseite des Chorgestühls am Lettner, heute im Stiftsmuseum. Im Zentrum Bischof Kunibert in Pontifikalkleidung mit Mitra, Bischofsstab und Kirchenmodell8). In der Bordüre unter dem Heiligen die Namensbeischrift (F).
Siehe Lageplan.
Maße: I-58 A: H. 163 cm; B. 526 cm; Bu. 3–3,5 cm. I-58 B: H. 168 cm; B. 530 cm; Bu. 3,5 cm. I-58 C: H. 160 cm; B. 228 cm; Bu. 3 cm. I-58 D: H. 163 cm; B. 516 cm; Bu. 3,5 cm. I-58 E: H. 161 cm; B. 511 cm; Bu. 3,7–4 cm. I-58 F: H. 147 cm; B. 229 cm; Bu. 3–3,5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A2–A5, B1–D5, E2–F), Kapitalis (A6).
- A1
1520
- A2
Persica · tres · quondam · previso · sydere · Jesu · /danaa) · recens · nato · contribuere · Magi ·
- A3
Santusb) · victor
- A4
Sanctac) · trinetesd) ·
- A5
Sanctac) · Eleenae) ·
- A6
INRI9)
- B1
· Idus · Januariusf)
- B2
Tres · tibi · sic · fratres · redimiti · tempora · sertis · /Magiue · dedunt · Victor · texta · peristromata ·
- B3
Santusb) · Geroeng) ·
- B4
Santush) · Ioha(n)nes · E[van]g(e)lista ·
- B5
Santusb) · Cassyesi) ·
- C
Sanctus · Petrus
- D1
Idus · Ianuarii
- D2
Tres · fratres · germani · nuper · ex · more · huius · Eccl(es)ie · ad · triu(m) · Magoru(m) · / sanctoru(m) · Memoriam · coronis · insigniti · hec · dono · aulea · dederunt ·
- D3
Santusb) · Cleme(n)s · papa
- D4
Sanctac) · maria
- D5
Santush) · plechelmus
- E1
1520
- E2
Pro · sacre · diuij) · Victoris · ac com(m)ilitonu(m) · [Ed]is de·core · supplices · Aldezelen(sis) · / Ẹt · Wischeṭen(sis)k) · p(re)p(osi)tusl) · d(omi)n(u)s · sibertus · Wolterus · et · Arnoldus · de · Ryswijch
- E3
Santusb) · Nicolasm) ·
- E4
Sancta · maria · maddelenan)
- E5
Santusb) · lijthardus
- F
Sanctus · Cunibertus
Übersetzung:
(A2) Wie einst drei Magier den Stern sahen und dem neugeborenen Jesus Geschenke aus dem Morgenlande brachten,
(B2) so stiften dir, Viktor, drei Brüder oder Magier, die Schläfen mit Kränzen umwunden, gewebte Teppiche,
(D2) drei leibliche Brüder, die jüngst nach der Sitte dieser Kirche hier zum Gedächtnis an die heiligen drei Magier mit Kronen ausgezeichnet wurden und diese Teppiche gestiftet haben,
(E2) zur Zierde des Tempels des hl. Viktor und seiner Gefährten, demütig (bittend) der Propst von Oldenzaal und Wissel, Herr Sibert sowie Wolter und Arnold von Riswick.
Versmaß: Elegische Distichen (A2 und B2).
Riswick10), de Mol oder Schairdt11) |
Herzogtum Kleve |
Textkritischer Apparat
- Falsch für dona.
- Volkssprachliche Form für sanctus.
- S seitenverkehrt.
- Falsch für trinitas.
- Gemeint ist Helena.
- Grammatisch falsch für Ianuarii.
- Gemeint ist Gereon.
- Volkssprachliche Form statt sanctus. S seitenverkehrt.
- Volkssprachliche Form für Cassius.
- Kreis als diakritisches Zeichen, irrtümlich zwischen dem Schaft des i und dem ersten Schaft des u angebracht.
- Versehentlich t statt l ausgeführt?
- Kürzungszeichen nicht (mehr) erkennbar.
- Volkssprachliche Form für Nikolaus.
- Volkssprachliche Form für Magdalena.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. nach Hölker (1925): I-58 A-F.
- Zu allen Teppichen und zu den Restaurierungen siehe die detaillierte Beschreibung bei Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 54–64.
- Zum symbolischen Charakter der Pflanzen und Blumen s. Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 134.
- Einen Eindruck von der ursprünglichen Farbigkeit kann man sich durch eine Aufnahme der Rückseite des Teppichs I-58 E bei Jaques/Hilger, Paramente (1979), Tf. 45, machen.
- Nach der Legende von der Auseinandersetzung des hl. Johannes mit dem Oberpriester des Dianaheiligtums von Ephesus, s. M. Lechner, Art. Johannes der Evangelist (der Theologe), in: LCI 7 (1974), Sp. 107–130 (hier: 119).
- Hinweis auf die Schriften des dritten Papstes nach Petrus; Clemens galt als Verfasser der Clemensbriefe.
- Luthard war angeblich klevischer Graf.
- Kunibert gilt als Gründer der Clemenskirche, der späteren Kirche St. Kunibert. Das Modell stellt aber weder St. Kunibert noch den Xantener Dom dar, wie Beissel noch meinte (Bauführung I [1889], S. 80 und Abb. 2, S. 78).
- Nach Io 19,19.
- Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 (1986), S. 283.
- Roter Schildhaupt mit drei silbernen Blüten, darunter in Silber drei blaue Pfähle mit je drei silbernen Schilden. Der Familienname der Mutter ist nur über das Wappen zu bestimmen, das unterschiedlich zugewiesen wird. Nach von der Ketten handelt es sich um das Wappen der Familie Schairdt (Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 [1986], S. 384), Rietstap weist es der Brabanter Familie de Mol zu (Armorial, Vol. IV, Bd. 2 [1887], Tf. 222, danach Jaques/Rotthoff, Paramente [1987], S. 40, Anm. 4).
- Zum Bastunium allgemein s. Beissel, Bauführung I (1889), S. 222ff.; Bader, Dom I (1978), S. 214f.; Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 62; Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 135f.
- Inventar des Stadtarchivs Kalkar, in: AHVN 64 (1897), S. 139, Nr. 425.
- Classen, Archidiakonat (1938), S. 320, 331. S. auch Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 61.
- Schleicher, Slg. von der Ketten, Bd. 4 (1986), S. 286.
- Weiler, Urkundenbuch (1935), Nr. 120 von 1236.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 63.
Nachweise
- Beissel, Bauführung I (1889), S. 222f.
- Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 112f.
- Hölker/Jaques, Inventar (1925/75), I-58.
- Jaques/Hilger, Paramente (1979), Tf. 39–48, S. 107f.
- Schiffler, Inventar (1981), Mp. IV, Textilien, Nr. 3.
- Jaques/Rotthoff, Paramente (1987), S. 54–64.
- Grote, Schatz von St. Viktor (1998), Abb. S. 132f.
- Heitmeyer-Löns, Inventar Paramente (2008), Bd. 7, Nr. 797/8, 799/800, 803/4, 807/8, 809/10.
- Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), Nr. VI/19, Abb. S. 152f.
Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 91 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0009106.
Kommentar
In der gotischen Minuskel werden – zeittypisch – kräftige Schäfte mit feinen Zierstrichen und Zierbögen kombiniert. Ober- und Unterlängen sind bei b, h, l, p und t tief gespalten. Das doppelstöckige a ist in der offenen Form, häufiger aber kastenförmig mit doppeltem Balken ausgeführt. I-Striche und kreisförmige diakritische Zeichen über dem u sind häufig, aber nicht immer vorhanden. Die Versalien sind aus der gotischen Majuskel (A, C, E, G, I, P, R, S, T), der frühhumanistischen Kapitalis (M, T in Inschrift B2, V, W) oder der gotischen Minuskel (N, M in Inschrift D2) abgeleitet. Der S-Versal ist mehrfach seitenverkehrt ausgeführt. In der Jahreszahl werden eine links gewendete 5 und eine spitze 2 verwendet. Die Worttrennung erfolgt durch Quadrangel.
Die Teppiche wurden am 13. Januar 1520, am Oktavtag von Epiphanie, von den Kalkarer Brüdern Sibert, Wolter und Arnold von Riswick gestiftet. Die Stiftung setzt den Abschluss der Bauarbeiten am Mittelschiff und an den Seitenschiffen 1519 voraus. Sie hatte über die ästhetische Funktion hinaus auch die praktische Aufgabe, den Aufenthalt der Kanoniker und Chorgenossen zu den Chorgebeten im ungeheizten Dom während der kalten Jahreszeit angenehmer zu gestalten. Anlass der Stiftung war ein Bastunium, das Sibert von Riswick angesichts der neuen Aufgaben, die er 1520 übernahm, vom Kapitel gewährt wurde und in dessen Feierlichkeiten seine mitstiftenden Brüder einbezogen wurden.12) Durch ein Bastunium (von französisch „bâton“ = Stock, Reisestab) wurde Kanonikern die „Abwesenheit“ und damit die vorübergehende Befreiung vom Stiftsleben zum Zweck eines Universitätsstudiums, eines Verwandtenbesuchs, einer Pilgerfahrt nach Rom oder einer Studienreise ermöglicht. Ein Bastunarius stand also immer vor einer Reise, eine Tatsache, die ihn mit den „magi“, den Sterndeutern aus dem Orient, verband, die einst ihrem Stern nach Bethlehem folgten. Und wie diese dem neugeborenen Jesusknaben Geschenke brachten, musste der Bastunarius der Kirche ein Geschenk machen. Die Sterndeuter wurden sekundär als Könige angesehen, und so wurde der Bastunarius im Rahmen einer Andacht mit den Insignien eines Königs ausgestattet und folgte einem Stern, der vor ihm hergetragen wurde. Zur Sitte des Bastuniums gehörte auch eine festliche Bewirtung der Kanoniker.
Zur Biographie des einflussreichen Xantener Kanonikers und Thesaurars Sibert von Riswick s. Nr. 121. Wolter ist als Schlüter in Kalkar nachgewiesen,13) Arnold war seit 1493 Kanoniker in Wissel, verzichtete 1498 zugunsten Siberts und ist 1506–1514 als Richter, 1515 als Bürgermeister, 1526–1546 als Schlüter in Emmerich bezeugt.14) Sein Sohn Dietrich übernahm 1520 die Propstei in Wissel, auf die Anfang desselben Jahres der Onkel Sibert verzichtet hatte, um die Propstei zu St. Kunibert in Köln zu übernehmen. Nach von der Ketten waren die Brüder Söhne des Dietrich von Riswick und der Gertrud von Schairdt.15)
Die Distichen in A2 und B2 lassen sich bis auf den Pentameter in B2 (Vorschlagsilbe ma-, de- in dedunt ist lang) rhythmisch gut lesen. Die Stifterinschriften bilden zusammen einen einzigen Satz und legen auf diese Weise, wie auch die Anordnung der Allianzwappen und (eingeschränkt) die Angaben der Stifterdaten, die Reihenfolge fest, in der die Teppiche gesehen und „gelesen“ werden wollen. Das Bildprogramm lässt die Hand Siberts von Riswick erkennen. Die Assistenzfiguren und die beiden Heiligen der Lettnerteppiche weisen auf die Verflechtungen des Xantener Stiftes ebenso wie auf die vielfältigen Ämter des bekanntesten unter den Stiftern hin: Der hl. Viktor und die hl. Helena sind die Stiftspatrone in Xanten, wo Sibert Kanoniker und Thesaurar gewesen ist. Gereon und sein Gefährte Cassius (I-58 B) sind die Patrone der beiden durch Gebetsbrüderschaft mit Xanten seit 1236 verbundenen und der Legende nach ebenfalls durch die hl. Helena gegründeten Thebäerstifte Bonn und Köln.16) Das Xantener Stift gehörte ebenso wie die Stifte St. Gereon und St. Kunibert (I-58 F), wo Sibert seit Beginn des Stiftungsjahres das Amt des Propstes innehatte, zum Erzbistum Köln. Der Erzbischof von Köln war zugleich der Stellvertreter des Papstes, des Nachfolgers Petri (I-58 C). Maria und der hl. Plechelmus (I-58 D) sind die Patrone der gleichnamigen Stifte in Kleve und Oldenzaal, wo Sibert ebenfalls Propst war. Papst Clemens war Patron der Stiftskirche von Wissel (heute Stadt Kalkar), als deren Stifter Luthard galt, Sibert hatte dort ein Kanonikat. Schließlich war er Pfarrer an der Kirche in Kalkar, deren Patron der hl. Nikolaus ist (I-58 E).
Die Teppiche weisen keinerlei Signaturen auf, doch scheint die Diskussion über den Ort ihrer Anfertigung auf Grund ihrer außerordentlich hohen Qualität beendet. Alle Teppiche wurden wohl in den südlichen Niederlanden/Brüssel aus Wolle und Seide gewirkt und bezeugen die hohe Kunst der niederländischen Wandteppiche dieser Zeit.17)