Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 59(†) Stiftsarchiv 1495

Beschreibung

Anna- und Antonius-Glocke. Bronze. Nach Pels zählte die Anna- und Antonius-Glocke 1734 zum Hauptgeläut im Südturm und diente als Chorglocke („Campana, qua pulsatur ad Chorum“).1) Gießer: Gerhard de Wou. Die Glocke wurde 1945 durch einen Granattreffer zerschlagen. Ein Nachguss erfolgte 1962 durch Monasterium Eijsbouts KG, Münster i. Westf.; die neu gegossene Glocke hat in etwa die Dimensionen der alten Glocke, das Material stammt ebenfalls zum größten Teil von der originalen Glocke.2) Vier Originalscherben aus der Zier am Hals haben sich bis heute erhalten, sie befinden sich im Magazin des Stiftsarchivs. Drei von ihnen (Scherben a–c) tragen Fragmente einer Glockenrede (Widmung mit Meisterinschrift und Datum), die auf die neue Glocke übernommen wurde.3) Sie beginnt hinter einem Tatzenkreuz, verläuft zwischen zwei Linien und wird in harmonischem Abstand von zwei Rundstegen begleitet; ober- und unterhalb durch Hohlkehlen abgesetzt Friese aus Perlstäben, halben Vierpässen und Kreuzblüten. Dreifache Stegkombinationen auf Wolm und Schlagring.

Ergänzungen nach Cuno (1868).4)

Maße: Scherbe a: H. 39 cm; B. 48,5 cm. Scherbe b: H. 20 cm; B. 19,5 cm. Scherbe c: H. 18,5 cm; B. 13,9 cm; Bu. 2,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Paul Ley/Helmut Kernder [1/2]

  1. [+ ad · laudem · dei · sanctaa) · annab) · matris · marie · et · sancti]a) · antonijc) · gerha[rdus · de · w]ou · me [· fecit · anno · domini · m] · cccc xc[v]

Übersetzung:

Zum Lob Gottes, der heiligen Anna, der Mutter Mariens, und des heiligen Antonius hat mich Gerhard de Wou im Jahre des Herrn 1495 gemacht.

Kommentar

Für die Inschrift hat Gerhard van Wou dieselben Model verwendet wie zwei Jahre zuvor beim Guss einer Glocke für St. Lamberti in Münster.5) Der hohen Qualität der Glocke entsprechend ist auch die Schrift hervorragend ausgeführt. Mit dem doppelstöckigen a, gespaltener Oberlänge bei h und t sowie dezenten Zierstrichen weist sie zeittypische Elemente der gotischen Minuskel auf. Der Balken des e ist zu einem geschwungenen, oben über den abgeknickten oberen Bogenabschnitt hinaus verlängerten Bogen umgearbeitet. Die umgebrochenen Enden des linken und des mittleren Schafts beim w sind über das Mittelband hinaus verlängert. Quadrangel in der Zeilenmitte dienen als Worttrenner.

Gerhard van Wou, Sohn des Gießers der Xantener Helena-Glocke (Nr. 46) Wilhelm van Wou, war zunächst in ’s-Hertogenbosch, dann in Kampen ansässig. Er gilt in gusstechnischer, ästhetischer und klanglicher Hinsicht als der bedeutendste mittelalterliche Glockengießer und fertigte zwischen 1474 und seinem Tod 1527 etwa 200 Glocken.6)

Textkritischer Apparat

  1. Die Verlesung sancti zu santi bei Cuno ist im Gutachten Schaebens vom 28.2.1962 bezeugt (Stiftsarchiv Xanten). Auch santa statt sancta ist von Cuno vermutlich irrtümlich gelesen worden und wird hier korrigiert. Als man die Glocke neu goss, übernahm man die Schrift in der Fassung, wie sie Cuno aufgezeichnet hatte einschließlich der falschen Lesarten.
  2. sancta anna falsch anstelle des korrekten Genitivs sancte anne.
  3. Ligatur in Form eines y.

Anmerkungen

  1. Pels II, Deliciae (1734), p. 60; Bader, Dom I (1978), S. 286.
  2. Aus dem Schriftverkehr der Firma Monasterium Eijsbouts mit den zuständigen Gremien in Xanten geht hervor, dass 1953 1037,5 kg Scherben von der alten Glocke an die Vorgängerfirma Feldmann & Marschel zu treuen Händen geliefert worden waren.
  3. Gipsreste an den Scherben weisen darauf hin, dass man für den Neuguss Abdrücke genommen hat. Diese Abdrücke befinden sich heute im Magazin des Nordturms.
  4. In: Heckes, Restaurations-Bau (1989), S. 4.
  5. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 162.
  6. Vgl. zu ihm Fehrmann, Klokgieters (1967), S. 249–301; Poettgen, Glocken der Spätgotik (1997), S. 32f. sowie die einschlägigen Beiträge von Konrad Bund, Jörg Poettgen und Sjoerd van Geuns im Jahrbuch für Glockenkunde 11/12 (1999/2000).

Nachweise

  1. Cuno in: Heckes, Restaurations-Bau (1989), Glocken, S. 4.
  2. Pels II, Deliciae (1734), p. 60.
  3. Schaeben, Berichte und Gutachten 1955 und 1962 (Stiftsarchiv Xanten).
  4. Bader, Dom I (1978), S. 286.
  5. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 156, 162.
  6. Ley/Kernder, „Mit heiterer Stimme“ (2005), S. 29–32.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 59(†) (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0005909.