Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 48† St. Viktor, Hochchor 1468–1477?

Beschreibung

Glasgemälde auf den südlichen Chorfenstern beim Hochaltar1) mit Darstellungen der hl. Helena und ihres Sohnes Konstantin. Die Fenster waren offenbar schon in den 1880er Jahren nicht mehr vorhanden.2) Unterhalb der dargestellten Personen war in Form von Distichen als Bildbeischriften (oder Bildinschriften?) ein Gespräch zwischen Mutter und Sohn ausgeführt (A, B), dessen Text zusammen mit dem dritten Distichon (C) erstmals bei Gelenius überliefert ist. Pels bietet die Inschriften nach Gelenius, und zwar unter der Überschrift „Carmina prope Bannitam“.3) Die sog. Bannita4), das Gericht des Stiftes, befand sich an der Nordwestecke des Kapitelplatzes. Weder Gelenius noch Pels erwähnen den Träger der Inschriften, erst Beissel bringt die ersten beiden Distichen mit den Chorfenstern in Zusammenhang. Ob sich auch Inschrift C in Verbindung mit einer bildlichen Darstellung auf einem Fenster befand oder ob die Verse im 18. Jahrhundert (zusätzlich?) auf einem anderen Träger angebracht waren, ist unklar. Da Pels mit den Verhältnissen vor Ort aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Xantener Kapitel bestens vertraut war und die Inschriften selbst gesehen hat, wird seiner Überlieferung der Vorzug gegenüber Gelenius gegeben.

Inschriften nach Pels.5)

  1. A

    Edicto defende tuo fratres rogo filiPraedia cum populo Victoris martyris almi.

  2. B

    Libertamus ea quae poscis mater HelenaBannimus pravos primum virgis bene coesos.

  3. C

    Contulit insigne decusa) hoc pia turba BannitaeUt memori vitae sedeat sociata benigne.

Übersetzung:

(A) Schütze durch deine Verordnung die Brüder, ich bitte dich, mein Sohn, die Güter und das Volk des gütigen Märtyrers Viktor.

(B) Gerne bewilligen wir, was du verlangst, Mutter Helena; wir strafen die Übeltäter, nachdem sie zuvor mit Ruten scharf gezüchtigt worden sind.

(C) Diesen prächtigen Schmuck brachte die fromme Schar an der Bannita an, damit sie in Frieden zu einem Leben im Gedenken vereint bleibe.

Versmaß: Hexameter mit Zäsur- und Endreim (A), einsilbig leoninisch gereimt (B), cruciferi (C).

Kommentar

Pels führt die Bannita auf die (legendenhafte) Gründung der St. Viktorkirche durch die hl. Helena zurück, die die Kirche und ihre Gläubigen dem Schutz ihres Sohnes, des Kaisers Konstantin, unterstellt habe.6) Erstmals belegt ist die Bannita in einer Urkunde aus dem Jahr 1300 als der Ort, an dem ein Ministeriale in die Kegelgilde aufgenommen wurde.7) 1468 verzeichnen die Baurechnungen Ausgaben für die Erneuerung der Bannita selbst, für die Ausführung ihres Fundaments und ihres Daches, die Farbfassung sowie für eine Skulptur des hl. Viktor, die an der Bannita aufgestellt wurde.8) Möglicherweise hängt Inschrift C mit diesen Neuerungen zusammen. Wenige Jahre später wurden Fensterrahmen für die neuen Chorfenster angeschafft (1474) und der Fabrikmeister erhielt eine Geldspende „zum neuen Werk oben im Chore“ (1477), worunter vielleicht neue Glasgemälde zu verstehen sind.9) Dass es sich um die von Beissel beschriebenen Malereien auf den südlichen Chorfenstern handelte, ist allerdings nicht sicher belegbar. Die auf diesen baugeschichtlichen Quellen basierende zeitliche Einordnung der Inschriften ist also lediglich als Vorschlag zu verstehen.

Textkritischer Apparat

  1. So Gelenius; Deus Pels.

Anmerkungen

  1. Bader, Dom I (1978), S. 215.
  2. Beissel, Bauführung II (1889), S. 13: „sah man ehedem …“.
  3. An anderer Stelle bietet Pels nur die ersten beiden Verspaare, die ihm dort als Erläuterung zum (angeblichen) Ursprung der Bannita dienen (Pels IV, Famae Victorianae [1754], p. 1).
  4. Zum Wort „Bannita“, das vom germanischen „banna“ (‚Aufgebot, Befehl, Bann‘) abgeleitet ist, siehe Stotz, Handbuch, Bd. 1 (2002), III, § 32.2–3.
  5. Pels II, Deliciae (1734), p. 105.
  6. Pels IV, Famae Victorianae (1754), p. 1. Vgl. ebd.: „Haec itaq(ue) jurisdictio sive Bannita ab initio fundationis Ecclesiae Xantensis legitime instituta …“. Einzelheiten zum Disziplinarrecht des Stifts und seiner praktischen Umsetzung hat Bader aufgezeichnet (Dom I [1978], S. 202–214).
  7. Weiler, Urkundenbuch (1935), Nr. 347 von 1300 Aug. 24. Zur Kegelgilde siehe Beissel, Bauführung II (1889), S. 13–16; Bader, Dom I (1978), S. 215–217; Hawicks, Xanten (2007), S. 158f.
  8. Beissel, Bauführung III (1889), S. 38f. 1541 erfolgte eine Erneuerung der Farbfassung der Statue bei der „bannyet“ (ebd., S. 106).
  9. Ebd., S. 5f.

Nachweise

  1. Pels II, Deliciae (1734), p. 105.
  2. HAStK, Best. 1039 (Farrag. Gelenianae), Bd. 1 (1645), fol. 60r.
  3. Pels IV, Famae Victorianae (1754), p. 1 (A, B).
  4. Spenrath/Mooren, Merkwürdigkeiten, Bd. 2 (1837/1838), S. 13.
  5. Beissel, Bauführung II (1889), S. 13f. (A, B).

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 48† (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0004805.