Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 46 St. Viktor, Südturm 1461

Beschreibung

Helena-Glocke in der Glockenstube des Südturms.1) Bronze. Glockengießer: Wilhelm van Wou, Nimwegen. Oktavglocke, mittlere Rippe. Schlagton: cis´ + 4. Sechshenklige Krone mit Masken bärtiger Männer, alle aus demselben Model. Die Haube ist durch sieben Grate im Rhythmus 1:2:1:2:1 gegliedert; Stegkombinationen auch auf Wolm und Schlagrand. Am Glockenhals verlaufen zwischen zwei Rundstegen zwei Inschriften in einer Zeile, beginnend hinter einem Doppelspiralenkreuz. Auf eine lateinische Glockenrede, bestehend aus Namensansage und Funktionsangabe (A), folgt hinter der Gießermarke des Wilhelm van Wou ein mittelniederländischer Gießervermerk mit Datum (B)2). Unter der Schrift ein Blattfries aus hängenden Kreuzblüten und Lilien im Wechsel an Rundbögen, an jeweils zwei gegenüberliegenden Stellen durch das Nimwegener (ca. 6 x 5 cm) und das Xantener Wappen (ca. 5 x 5 cm) unterbrochen. Dazwischen zwei rechteckige Reliefs mit der Krönung Mariens (5 x 6 cm) und zwei Medaillons mit der Vera Icon (Dm. 6 cm), ebenfalls jeweils gegenüberliegend, wobei sich rechteckige und runde Reliefs abwechseln. Der Fries am Hals hat ein Pendant auf der Flanke oberhalb des Schlagrings: Auf einem Rundsteg stehend Kreuzblüten und Trauben auf halben Vierpässen im Wechsel, unterbrochen auch hier durch abwechselnd runde und rechteckige Bildreliefs, die genau unter den entsprechenden Figuren des oberen Frieses stehen. Diese Reliefs zeigen eine Strahlenkranzmadonna3) (7 x 8 cm), die Beschneidung Christi (7 x 8 cm), den hl. Georg zu Pferd im Kampf mit dem Drachen (Dm. 9 cm) sowie eine Kreuzigungsszene mit den beiden Schächern, Longinus und Stephaton und mehreren weiteren Personen (Dm. 9 cm).

Maße: H. 117 cm (ohne Krone); Dm. 147,5 cm; Bu. 2,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Kath. Propsteigemeinde St. Viktor Xanten (Foto Paul Ley/Helmut Kernder) [1/5]

  1. A

    + Nascens · de · vena · regali · dicor · helena ·Sum · iubilo · plena · mala · pello · voce · serena ·

  2. B

    willem · van · wov4) · heft · my · ghemaect · int · iaer · m · cccc · lxi

Übersetzung:

(A) Geboren aus königlichem Blut, werde ich Helena genannt. Ich bin voller Jubel, vertreibe mit meiner heiteren Stimme das Böse.

(B) Wilhelm van Wou hat mich gemacht im Jahr 1461.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (unisoni) (A).

Wappen:
Stadt Nimwegen5), Stadt Xanten6), Wou7)

Kommentar

Die Ausführung der insgesamt gelungenen Schrift zeigt gewisse Schwächen in der Zeilenführung, die an einigen Stellen unregelmäßig verläuft (etwa bei mala pello). Der Text beginnt mit einem N-Versal aus dem unzialen Formenkanon, der größenmäßig den Minuskelbuchstaben entspricht. Er ist offen, aber flächig, der verkürzte Schaft endet in einem stumpfwinkligen Sporn. Der Beginn des zweiten Verses ist ebenfalls durch einen Versal gekennzeichnet, ein flächiges S mit ausgeprägten, am Ende kugelig verdickten Sporen, das in der Höhe ebenfalls nicht über den Mittellängenbereich hinausragt. Das Schluss-s in Nascens ist seitenverkehrt ausgeführt. Die Verlängerung der ersten beiden Schäfte des w findet sich noch bei Wilhelms Sohn Gerhard (vgl. Nr. 59). Bund und Poettgen weisen auf zahlreiche stilistische Übereinstimmungen der Schrift auf der Helena-Glocke mit den Modeln Gerhards van Wou hin und vermuten, dass Vater und Sohn dasselbe Modelalphabet verwendeten.8) Allerdings unterscheiden sich die Schriftformen beider Gießer in zahlreichen Details. Folgende (Zier)Formen der Helena-Glocke lassen sich bei Gerhard nicht nachweisen: der linke Teil des gebrochenen oberen Bogens beim a als feiner Bogen; ein einseitig linker Zacken am l und am Schaft-s; die Verbreiterung des l am oberen Ende zu einem Dreispitz, dessen rechte obere Spitze nach unten umgebogen ist; der in einem kleeblattähnlichen Ornament endende Zierstrich an der zum Quadrangel reduzierten Fahne des r. Ein nach rechts führender, sehr feiner Zierbogen mit gespaltenem Ende unten am rechten Schaft des h kommt gelegentlich auch bei Gerhard vor, ist dann aber kräftiger ausgeführt. Als Worttrenner fungieren auf der Helena-Glocke Trauben, wie sie auch am Fries auf der Flanke zu finden sind (in Inschrift A), sowie Kreuzblüten und Lilien im Wechsel (B).

Die „Helena“ wird als die klanglich schönste Glocke des Xantener Geläuts angesehen. Der Vorstellung, dass Helena „aus königlichem Blut“ stammte, liegt eine Idealisierung der Mutter Konstantins und Stiftspatronin ohne Bezug zur tatsächlichen Herkunft der Kaiserinmutter zugrunde.9) Wilhelm van Wou ist seit 1436 als Geschütz- und Glockengießer belegt.10) Bei Pels wird die „Helena“ für das Jahr 1734 als zweite Glocke des Hauptgeläuts im Südturm aufgeführt und als „Campana B(eatae) Mariae V(irginis) et S(anctae) Helenae“ (‚Glocke der Seligen Jungfrau Maria und der heiligen Helena‘) bezeichnet.11)

Anmerkungen

  1. Bevor die Anna-und-Antonius-Glocke fertiggestellt war, diente die „Helena“ als Angelusglocke mit dreimal drei Anschlägen; zum Domgeläute insgesamt s. Schaeben, Bericht über die Glocken und das Läutewerk des St. Victor-Domes zu Xanten, 6. 6. 1955 (Stiftsarchiv Xanten); Bader, Dom I (1978), S. 286.
  2. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 182, Abb. 31.
  3. Ebd., S. 161.
  4. Vor dem Namen die Marke des Gießers im Wappenschild.
  5. Doppelköpfiger Adler mit Löwe im Herzschild.
  6. Zwei gekreuzte Schlüssel.
  7. Marke, s. Anhang, Nr. 2.
  8. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 160.
  9. R. Klein, Art. Helena II (Kaiserin), in: RAC 14 (1988), Sp. 372.
  10. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 153. Zu Leben und Wirken Wilhelms van Wou siehe ebd. S. 153–171.
  11. Pels II, Deliciae (1734), p. 60.

Nachweise

  1. Pels II, Deliciae (1734), p. 60.
  2. Cuno in: Heckes Restaurations-Bau (1989), Glocken, S. 4.
  3. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 160ff.
  4. Ley/Kernder, „Mit heiterer Stimme“ (2005), S. 23–28.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 46 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0004607.